Schauspieler als Sehnsuchtsträger
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Das hochkarätig besetzte Werkstattgespräch zum Thema „Theater und Kino: Wohin zielen die Begierden? Schauspieltradition in Deutschland und Frankreich“ kreist um die Unterschiede in Ausbildungssystemen, verschobene Körperwahrnehmungen und endet mit einem Schlagabtausch deutsch-französischer Stereotypen.
Wie kommt es, dass immer mehr deutsche und französische Filme ihre Geschichte mit theatralen Mitteln, mit einer theatralen Schauspielweise erzählen? Ein kurzer Ausschnitt aus dem Berlinale-Wettbewerbsbeitrag „Kreuzweg“ von Dietrich Brüggemann macht die Fragestellung deutlich – die Unterteilung des Films in 14 Plansequenzen nimmt dem Film jegliche Beweglichkeit, die durch Schnitt, Montage oder Kamerafahrten zustande käme. Die starre Kamera ersetzt so das Publikum – das jedoch vor der Leinwand, nicht vor der Bühne sitzt.
Die Sprache macht den Unterschied
Regisseur Denis Dercourt, Schauspielerin Marie Bäumer, Schauspielerin Lucie Aron und Theaterintendant Thomas Ostermeier im Gespräch
Diese Entwicklung könnte man als „Verarmung“ des filmischen Mediums sehen, das seiner eigenen ästhetischen Möglichkeiten beraubt wird – Moderator Frédéric Jaeger sieht darin eine postmoderne Tendenz, die beide Medien bereichert und durchdringt. Wenn das Theater in den Film „überschwappt“, dann bekommt die Sprache mehr Gewicht, betont Lucie Aron, die in „Kreuzweg“ eine Rolle hat. Der Zuschauer verfolgt dann die Geschichte durch das Gesagte, nicht durch die Bilder.
Die junge Schauspielerin verweist auf die fast dogmatische Trennung zwischen Theaterschauspielern und Filmschauspielern in Frankreich. Die Auserwählten unter der Theaterschauspielern schaffen es in die Comédie Française und werden zu "Staatsschauspielern", die die großen Theater in den Metropolen bespielen, oft sechs Wochen lang. In Deutschland hingegen, so Intendant Thomas Ostermeier, steht ein Schauspieler wie Lars Eidinger 20 Mal im Monat auf der Bühne, aufgrund des häufig wechselnden Programms immer in unterschiedlichen Rollen. „Das gibt eine große Selbstverständlichkeit, auf der Bühne zu stehen und trainiert den erotischen Kontakt zum Publikum!“ Lucie Aron nickt und lobt die "eigene Identität der Theater in Deutschland".
Das Deutsch-Französische Jugendwerk und Berlinale im Dialog laden jedes Jahr zu einem Werkstattgespräch im Rahmen der Berlinale ein Fantasien über das andere Land
Dann driftet die Diskussion in die Fantasien der Podiumsteilnehmer über das jeweils andere Land ab, immerhin im schönsten Sprachenmelange von Denis Dercourt, Regisseur und seit drei Jahren in Berlin schwärmt über deutsche Schauspieler: „Ce qui m’a begeistert: Les Schauspielers connaissent toujours leur texte.“ Marie Bäumer, die ihre Schauspielkarriere seit einiger Zeit in Frankreich verfolgt, bedauert, dass man an einem deutschen Drehset kein Gläschen Rotwein zur Auflockerung der Dreharbeiten bekommt. Überhaupt könnten die Deutschen zwar Theater und Musik machen, Bohrmaschinen und Autos bauen, aber deutsche Filme wären „maßlos langweilig“, ebenso die Presse dazu. In Frankreich hingegen würden die Menschen Kinofilme „mit dem Herzen sehen“. Immerhin äußert sie die berechtigte Kritik, dass auf deutschen Leinwänden und Bühnen eine Homokultur vorherrscht, denn „der Deutsche braucht Orientierung.“ Résumée: Das französische Kino gewinnt über die deutsche Filmlandschaft, wohingegen das deutsche Theater mit programmatischer Vielfalt und Schauspielkunst punktet, die man in Frankreich vermisst. Es steht 1:1
Nach diesem unterhaltsamen Austausch vieler Stereotypen über Deutsche und Franzosen, ihrer Theater- und Filmkunst, tut es gut, dass Thomas Ostermeier sich nicht mit der Frage nach den nationalen Eigenheiten von Schauspielern aufhält. „Jeder Schauspieler braucht etwas Anderes – das herauszufinden ist die Schwierigkeit!“ Wenn es Unterschiede gäbe, dann doch nur aufgrund der unterschiedlichen Ausbildungs- und Theatersysteme. Es bleibt zu hoffen, dass der europäische Filmmarkt sein Übriges tut, damit junge, mehrsprachige Schauspieltalente die Theaterbühnen und Filmleinwände in Deutschland, Frankreich und allen anderen europäischen Ländern bereichern. Die European Shooting Stars gehen mit gutem Beispiel voran.
Fotos: Berlinale, Daniel Seiffert