Sauregurkenzeit: Ehec-Panik in Europa
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An dem gefährlichen Darmkeim Ehec sind bereits 16 Personen gestorben, 15 in Deutschland und eine in Schweden. Weit über tausend Menschen haben sich infiziert. Spanische Gurken sind dafür offensichtlich nicht verantwortlich, doch offizielle Warnungen vor diesem und anderem Gemüse haben den Absatz einbrechen lassen.
Die europäische Presse findet die deutschen Behörden hysterisch und fordert einen rationalen Umgang mit der Epidemie.
Libération: Deutsche werden sich für Anschuldigungen rechtfertigen müssen; Frankreich
Spanische Gurken tragen Ergebnissen vom Dienstag zufolge zwar Ehec-Keime, aber nicht die für die Todesfälle verantwortliche Variante. Die vorschnellen Anschuldigungen gegen spanische Gurken in der vergangenen Woche zeugen von einer kontraproduktiven Hysterie, meint die linksliberale Tageszeitung Libération: "Unsere Gesellschaft ist besessen von der Idee der Vorsorge und will ohne jedes Risiko leben. Eine Infektion mit Ehec passt einfach nicht dazu und ist schlichtweg skandalös. Die deutschen Behörden werden sich für die überstürzte und offensichtlich unbegründete Beschuldigung von spanischem Bio-Gemüse rechtfertigen müssen, da die Verunreinigung doch aus ihrem eigenen Land stammen könnte. Ihre Experten haben Europa mit der Angst vor Gemüse verseucht und sind das Risiko eingegangen, einen ganzen Wirtschaftszweig zugrunde zu richten. Der Verdacht hat in der Gesundheitspolitik nichts verloren, denn er verursacht Panik, während die Verbraucher Aufklärung und Information brauchen. Diese hysterische Politik schadet der Wirtschaft, und erst recht der Gesundheit." (Artikel vom 01.06.2011)
Hospodářské noviny: Angst bedroht uns mehr als das eigentliche Risiko selbst; Tschechien
Die spanischen Gurken sind unschuldig an der lebensbedrohenden Durchfallerkrankung, doch die verfrühte Warnung vor diesem Gemüse hat erhebliche Flurschäden angerichtet, konstatiert die Wirtschaftszeitung Hospodářské noviny: "Was die Epidemie ausgelöst hat, wissen wir nicht. Die Opfer der Affäre aber kennen wir bereits: Spanien, die Gurken und Bio. Gurkensalat ist europaweit von den Speisekarten verbannt, Gemüse aus Spanien kauft kein Mensch mehr und das Wort Bio ist jetzt mit Bakterien verbunden. Die Frage lautet: Ist es vernünftig, im Rahmen des Prinzips der Vorsorge solche Schäden zu riskieren? Nur ein bloßer Verdacht verursacht ernsthafte wirtschaftliche Probleme und bedroht den Export eines 40-Millionen-Landes. Und dann zeigt sich, dass der Verdacht haltlos war. [...] Sorgen um die menschliche Gesundheit sind berechtigt. Aber wir übertreiben es mit unserer Vorsorge. Die Angst bedroht uns mehr als das eigentliche Risiko selbst." (Artikel vom 01.06.2011)
ABC: Deutsche müssen Schuld eingestehen, die sie auf die Schultern Spaniens abwälzen wollten; Spanien
Die deutschen Behörden sollten die Ursachen für den Ausbruch der Krankheit zunächst im eigenen Land suchen, fordert die konservative spanische Tageszeitung ABC: "Trotz der gestrigen Richtigstellung haben die deutschen Behörden mehrere Tage lang ohne Beweise spanische Produkte für die Infektionen verantwortlich gemacht. Diese vermessene Haltung verlangt mehr als nur eine Entschuldigung, zumal der entstandene Schaden nicht mehr rückgängig zu machen ist. Nun müssen sie nachholen, was sie schon von Anfang an hätten tun müssen: untersuchen, wie sich die Verunreinigung während des Transports oder im Zielland ereignet haben könnte, und gegebenenfalls die eigene Schuld eingestehen, die sie auf die Schultern Spaniens abwälzen wollten. Als Deutschland zugeschlagen hat, blieb die spanische Regierung perplex und passiv, weil der Premier und seine Minister zu sehr mit den internen Problemen der Sozialisten beschäftigt sind und keine Zeit haben, sich um das Allgemeinwohl zu kümmern." (Artikel vom 01.06.2011)
De Morgen: Stimme der Wissenschaft in dieser Angstgesellschaft vollkommen unwichtig geworden; Belgien
Seit dem Ausbruch der Ehec-Epidemie in Deutschland erleiden auch belgische Gurkenzüchter große Verluste. Die Angst beherrscht den Verstand, klagt die linke Tageszeitung De Morgen: "In dieser Angstgesellschaft, in der Marketing und Medien uns weismachen wollen, dass wir uns gegen jedes Übel, jede Unsicherheit, Krankheit und Gefahr wappnen können, wenn wir nur die richtigen Pillen kaufen und genug Polizisten auf der Straße haben, ist die Stimme der Wissenschaft vollkommen unwichtig geworden. An die Stelle der rationalen Analyse tritt die emotionale, oft sogar hysterische. [...] Wer die Massenpsychologie der Angst kennt, der weiß, dass auch der neuesten Nachricht keinerlei Bedeutung zugemessen wird: Das Bakterium scheint nicht auf spanischen Gurken gewesen zu sein. Wo es aber war, bleibt ein Rätsel. Dennoch wird der traditionelle Gurkensalat beim Grillen an diesem verlängerten Wochenende fehlen. Obwohl wir wissen, dass er absolut ohne Risiko ist. Aber der Mensch muss auf Nummer sicher gehen, oder?" (Artikel 01.06.2011)
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Illustrationen: Gurke (cc)Pierre Marcel/flickr; Video ©Euronews/ Youtube