Saufen für die Völkerverständigung: Meine Reise durch Europa
Published on
Feiernd bin ich durch 22 europäische Länder gereist - bei reichlich Schnaps und Wein erzählten mir junge Europäer ihre tiefsten Sehnsüchte.
„Meine Freundin will heiraten.“ Das erzählt mir Ionut, ein hochgewachsener Rumäne mit einem roten Stirnband um den Kopf, in einer Bukarester Bar. Wir sind uns durch den exzessiven Konsum von Unicum nähergekommen. „Ich bin gerade mal 38. Tickt die denn?“ Ebenso wie bei Ionut, treibt mir das Ultimatum seiner Freundin die Panik ins Gemüt. Aus seinen Augen spricht eine tiefe Angst, die ich gut von mir selber kenne. In Zeiten unbefristeter Arbeitsverträge, in denen wir die Städte wechseln wie unsere liebsten Smoothie-Sorten, scheint nichts mehr sicher. Warum sollten gerade wir an so etwas Längerfristiges wie die Liebe glauben?
Die Love Story der Union ist jedenfalls noch nicht vorbei. Einiges hat sich diese Beziehung gefallen lassen. Die illegalen Grenzbestrebungen des ungarischen Präsidenten Viktor Orbán, die Wahlen zugunsten des Brexit in England und nicht zuletzt die Erfindung des ESC. Zeitweise schien es, als würde der Kontinent an den verschiedenen Wertevorstellungen auseinanderbrechen. Und dann gab es auf meiner Reise immer wieder Gelage an Europas Theken, die mir Hoffnung schenkten. In denen eine einzige Flasche Schnaps verschiedene Völker ins Gespräch brachte. Und sich am Ende fast alle einig waren, waschechte Europäer zu sein. Immerhin trinken wir auf diesem Kontinent doppelt so viel, wie der Rest der Welt.
Mit Kater in Krakau
Ich lande mit einem schlimmen Kater in Krakau. Wie soll ich den Pub Crawl heute Abend überleben? Dann finde ich mich schon mit einem Soplica in der linken Hand und einem piwo, einem Bier, in der rechten Hand an einer Theke wieder. Ich trinke mit Engländern, Deutschen, Arabern und Polen. Nach ein paar Kirschwodka gesteht mir eine junge Krakauerin, dass sie mich liebt. „Obwohl deine Nazi-Großeltern meinen Opa umgebracht haben!“, lacht sie. Ich erinnere mich, das Konzentrationslager Auschwitz liegt nur anderthalb Stunden von Krakau entfernt.
„Tut mir echt leid, was da damals passiert ist“, sage ich und liege mittlerweile halb auf der Theke. Ich erkläre ihr, dass ich mir meiner Verantwortung als Deutsche bewusst bin und jede nationalistische Ideologie entschieden ablehne. Sie nimmt mich in den Arm, um die alkoholisierte Versöhnung zu feiern. Manche Dinge brauchen eben Zeit. Auch im schnelllebigen Europa.
Familienbesuch in Italien
In Norditalien, wo ich für ein paar Tage bei meiner Familie hause - mein Vater ist vor fünfzig Jahren als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen - suhlt man sich derweil in konservativen Traditionen. Auch Rassismus ist hier weit verbreitet. Die Boulevardpresse titelt fast täglich mit einem neuen Verbrechen, angeblich immer von Rumänen oder Eritreern ausgeführt. „Die haben dreckiges Blut“, erzählt mir ein grauhaariger Mailänder in einer tabaccheria, als ich auf die xenophobe Schlagzeile einer Zeitung zeige. „Die neri, die Schwarzen, sind primitiver als wir.“
Gianni, ein Student aus Modena, der bald nach Brüssel zu seiner Freundin ziehen wird, versteht die Ängste der älteren Generationen überhaupt nicht: „Wollen sie diese Menschen ernsthaft vor Lampedusa verrecken lassen? Würden sie sich denn selbst für den Tod entscheiden, anstatt aus der zerbombten Heimat zu fliehen?“ Bei Lambrusco und Grappa sprechen wir lange über die Europäische Union und darüber, dass so viel mehr daraus entstanden ist, als das Schengenabkommen und eine gemeinsame Währung: der uneingeschränkte Frieden.
Yamas auf Rhodos
Was wollen die jungen Europäer denn noch? Geht es ihnen wirklich nur darum, überall in Europa umsonst telefonieren zu können? Eine Antwort darauf finde ich auf Rhodos in einer Strandbar. Tsampikos, ein junger Kellner, der den Sommer über sieben Tage die Woche arbeitet, um die Miete für das Haus seiner Eltern aufzubringen, erklärt seine Abneigung zu Europa so: „In Berlin überlegen die jungen Leute, welche Online-Petition sie unterstützen, während ich mich hier über die steigenden Tomatenpreise ärgere.“ Er schenkt mir einen Tsipouro ein, den wahren Nationalschnaps der Griechen. „Wie soll ich mich mit einem Europa identifizieren, das sich so dermaßen uneins ist?“ In Griechenland herrschen über 43 Prozent Jugendarbeitslosigkeit. Das ist die höchste Rate in Europa. Ob er für einen Grexit stimmen würde? „Ohne Merkels Geld wären wir verloren“, sagt Tsampikos - und trinkt den Schnaps einfach selbst.
In England bekomme ich die Nachwehen des Brexit-Katers aus nächster Nähe mit. Viele junge Menschen bereuen ihre Wahl, sie stimmten aufgrund von Falschinformationen für den Austritt. „Ich würde es heute nicht wieder machen“, lallt mich ein junger Typ aus Newcastle in einem Pub zu, er kann sich kaum noch auf den Beinen halten. „Aber wenn du das meinen Freunden verrätst, kriegst du ein Problem mit mir.“ Später, wir sind auf dem Nachhauseweg, der Himmel ist bedeckt, aber dennoch zeichnen sich die Sonnenstrahlen eines englischen Sommers ab, beichtet er, dass er sich trotz der vielen Vorteile nicht als Europäer sieht. Für ihn sind alle anderen die Europäer, die continentals. „Ich lebe hier immer noch auf einer Insel. Das darfst du nicht vergessen.“
Aktuell sehen sich 68% der Europäer als EU-Bürger. Das ist mehr als je zuvor. Aber es gibt immer noch viele Ungleichheiten zwischen Helsinki und Lissabon. Diese abzuschaffen liegt nicht nur an Brüssel, sondern an uns jungen Europäern. Keine Generation zuvor hatte diese geballte brain power, um die Brüsseler Herren aus ihren Sesseln zu schubsen. Wir brauchen nur den Mut und die richtigen Ideen, um ein vielfältiges, gleichberechtigtes Europa zu erschaffen. Eines, das wir eines Tages wahrhaftig feiern könnten.