Sänger und Beau Benjamin Paulin: "Ich bin eher Realist als Pessimist"
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Auf seiner Internetseite wird er als „wahrer Franzose“ beworben. Sein erstes Album, das am 16. Oktober erschien, trägt den Titel L’Homme Moderne ('Der Moderne Mann'). Ist Benjamin Paulin also der Prototyp des neuen Franzosen? Gespräch mit dem Sänger über Widersprüche, Stereotype und warum Benjamin sich „menschlich“ fühlt.
Freitagnachmittag, Benjamin Paulin hat es sich - im Anzug, Stil muss sein - in der Ecke eines Pariser Cafés gemütlich gemacht, Blick auf die regennasse Straße. Er hat einen Kaffee bestellt und sucht jetzt jemanden, der das dazu servierte Stückchen Schokolade isst: „Möchtest du Schokolade?“. Der 1978 in Paris geborene Franzose wirkt selbstbewusst und so, als sei er gerade dem Video zu seiner Single "Dites-le avec des flingues" ('Sag es mit Knarren') entstiegen: Eine Mischung aus Serge Gainsbourg und jungem Dandy. Zu Titeln wie dem oben genannten gesellen sich auf dem Album noch andere, gleichermaßen positive (z.B. „Notre futur n’a pas d’avenir“ - Unsere Zukunft hat keine Zukunft).
Ist Benjamin Paulin Pessimist? Er nimmt einen Schluck Kaffee, greift sich in die Haare. Dann beugt er sich vor: „Ich denke, ich bin eher Realist als Pessimist. Tatsächlich gibt es doch in der Periode, in der wir leben, kaum etwas Positives, alles ist eher düster. Es gibt eine Rückkehr zu den Extremen. Trotzdem versuche ich, in meiner Musik ein Gleichgewicht zwischen Heiter- und Traurigkeit beizubehalten. Gleichzeitig habe ich versucht, ironisch zu sein und meinen Texten eine gewisse Leichtigkeit zu geben.“ Dabei inspiriere ihn nahezu alles, auch aktuelle Ereignisse. Allerdings sei es nicht seine Sache, „faits divers“ (die Rubrik „Vermischtes“ in der Zeitung) zu machen: „Ich spreche lieber von Dingen, die die Zeit durchdringen, die in der Menschlichkeit bleiben.“
„Jeder ist ein moderner Mann, sogar du.“
Mit dem Schreiben von Texten sollte Paulin mittlerweile genug Erfahrung haben. Mit gerade einmal 16 Jahren beschloss er, die Schule zu verlassen und sich dem literarischen Schaffen zu widmen. „Ich war mal in einer Hip-Hop-Gruppe“, berichtet er und für einen Moment bin ich irritiert - Bling Bling und halbnackte Frauen, die sich in Rap-Videos auf Autos räkeln, passen für mich nicht mit dem smarten Typen im Anzug zusammen. Aber Benjamin Paulin ist es durchaus ernst: „Im Rap gibt es die Möglichkeit, so viele Dinge zu sagen, du kannst Sachen zerschlagen und wieder neu zusammensetzen.“ Festlegen möchte Paulin sich heute musikalisch nicht: „Meine Musik ist eine Art Kreuzung aus vielen Richtungen: Rock, Pop, Chanson, Rap. Ich mische das alles ein bisschen. Aber ich versuche auch, etwas Neues zu erschaffen. Es gibt in meinen Texten und meiner Musik viele Referenzen, aber in moderner Interpretation.“
A propos 'modern', lieber Benjamin: „Dein Album heißt 'Der Moderne Mann' - warum dieser Titel?“ Benjamin Paulin beugt sich wieder über den Tisch: „Im Prinzip ist doch jeder ein moderner Mann, sogar du.“ Meinen skeptischen Blick bemerkend lacht er und fährt fort: „Der moderne Mann, das ist der postmoderne Mann, der mit seinen Widersprüchen lebt, der sie akzeptiert und der sich ausdrücken möchte.“ Diese Gegensätze werden im Artwork des Albums in recht plakativer Art und Weise umgesetzt: Benjamin zielt mit einer Pistole in Richtung Kamera, im Arm hält er einen Strauß Rosen, auf einem anderen Bild scheint er sich zwischen Knarre und Blumen nicht entscheiden zu können. „Benjamin, mir scheint, dein Image ist dir sehr wichtig. Versuchst du, ein bestimmtes Bild von dir in der Öffentlichkeit zu kreieren?“ „Heute haben wir unglücklicherweise das Bedürfnis, die Menschen zu stigmatisieren“, sagt Benjamin Paulin. „Man muss auf die Karikatur zurückgreifen, um die Menschen einzuordnen.“
Ungebunden durch das Universum der Humanität
So sehr steht der Sänger dann aber wohl doch nicht auf Schubladendenken, ihm scheint es wichtig zu sein, sich nicht in eine Ecke drängen zu lassen. Sowohl musikalisch als auch im wahren Leben: „Ich denke mich selbst nicht in einem französisch-französischen Universum und ich fühle mich auch eher 'menschlich' als europäisch. Heute verschwinden überall die Grenzen, ob es um die Grenzen der Kommunikation geht - wir haben Internet und all das - oder um Ländergrenzen. Ich bin nicht an einen Ort gebunden.“ Trotzdem sei er sehr europäisch: „Meine Mutter ist Polin, mein Vater war zur Hälfte italienisch, zur Hälfte deutsch.“ Sein Vater, das ist der für seine exzentrischen Möbel bekannte Designer Pierre Paulin, der 2009 starb. Von ihm hat Benjamin vielleicht seinen Sinn für Ästhetik und die Vorliebe für’s Unkonventionelle: „Ich bin mit meinem Vater viel gereist. Ich war in den USA, Japan, Korea … aber leider nicht in Deutschland“, fügt Paulin netterweise hinzu, mein „sehr charmanter Akzent“ ist ihm nicht entgangen.
Kürzlich erschien Benjamin Paulins Album, von Erfolg möchte der Sänger aber noch nicht sprechen. „Ich habe eine Etappe geschafft. Die Karriere geschieht in Form von Etappen. Erfolg bedeutet, zu sterben, bevor man alles vermasselt hat.“ Manchmal ist Benjamin eben doch eher Pessimist als Realist.
Foto: ©Paul Kemler/myspace.com/benjaminpaulin; Video: ©clipetzik/Youtube