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'Saakashwilis Politik: ein Verbrechen am eigenen Volk'

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n- ost

Gesellschaft

Interview mit Georgij Chaindrawa, ehemaligen Filmregisseur und einem der herausragenden Köpfe der georgischen Opposition. Im Gegensatz zu den meisten Oppositionsführern, die den georgischen Präsidenten nicht kritisieren wollen, solange russische Truppen in Georgien sind, nimmt Chaindrawa kein Blatt vor den Mund.

Minister Chaindrawa wurde von Präsident Saakaschwili 2006 entlassen, weil er militärische Abenteuer zur Rückgewinnung der abtrünnigen Provinzen ablehnte.

Warum ziehen die russischen Truppen nicht ab?

"Das Ziel Russlands ist die Zerstörung Georgiens als Staat."

Erinnern Sie sich daran, dass die russischen Truppen schon jemals irgendwo abgezogen sind? Aus Afghanistan sind sie erst nach 17 Jahren abgezogen. Natürlich sucht Russland nach Vorwänden, um in Georgien zu bleiben. Sie rauben das ganze Land aus. Das Ziel ist die Zerstörung Georgiens als Staat. Wenn man sich die Taktik der Bombardierungen anguckt, sieht man, dass sie die zivile und militärische Infrastruktur zerstören: Häfen, Kommunikationsknoten, ökonomische Objekte. Sie werden solange in Georgien bleiben, wie der Westen das duldet.

Wer trägt die Schuld am Konflikt?

Wir sind schuld, weil unser Land in der Nähe von Russland liegt. Wir befinden uns praktisch seit 200 Jahren unter der russischen Aggression. Russland ist seit dem 9. Jahrhundert ein imperialistisches, aggressives Land. Es hat sich nie geändert. Russland ist der Urheber der Barbarei, die es heute in Georgien gibt. Natürlich haben die Führung Georgiens und Saakaschwili persönlich Schuld, weil sie die Willkür der russischen Militärs zulassen. Russland hat schon vor einem Monat eine Militärübung unter der Bezeichnung "Kaukasus 2008" durchgeführt, bei der die Okkupation Georgiens trainiert wurde. Dass diese Gefahr eine Realität wurde, ist die Schuld von Saakaschwili.

Die Politik von Saakaschwili ist…

...ein Verbrechen am eigenen Volk. Wir befinden uns in einer Katastrophe mit Tausenden Opfern, zehntausenden Flüchtlingen, einer zerstörten Infrastruktur, einem geplünderten und faktisch

okkupierten Land.

Sie sind ein bekannter Führer der Opposition. Wie reagierte die Regierung auf Ihre Kritik?

"Unter dem Regime Saakaschwili gibt es keine freie Presse mehr und keine unabhängigen Gerichte."

Die Presse, die unter der Kontrolle von Saakaschwilis Partei, der "Nationalen Bewegung", steht, hat eine psychologische Attacke auf mich gestartet. Man ruft mich an und bedroht mich. Ich werde beschattet. Die Mitglieder unseres "Komitees für Gerechtigkeit" - das ist eine Nicht-Regierungsorganisation - wurden vom Geheimdienst zu Verhören geladen. Unter dem Regime Saakaschwili gibt es keine freie Presse mehr und keine unabhängigen Gerichte. Im letzten Jahr gingen Armee-Einheiten mit Gasgranaten gegen eine friedliche Demonstration vor. Dann gab es massenhafte Fälschungen bei der Präsidentschafts- und der Parlamentswahl. Der unabhängige Fernsehkanal Imedi wurde abgeschaltet.

Weil die US-Administration und die Führer der europäischen Staaten aus übergeordneten, geopolitischen Gründen die Augen vor der Willkür in Georgien verschließen und der völlig unausgeglichene Saakaschwili, internationale Unterstützung spürt - ungeachtet dessen, dass er

praktisch ein sowjetisches Regime in Georgien führt -- musste das letztlich zu einer internationalen Krise führen. 

Die Koalition der neun georgischen Oppositionsparteien hat erklärt, man werde Saakaschwili nicht kritisieren, solange russische Truppen im Land sind. Kritik am Präsidenten könnte Russland nützen.

Ich bin mit dieser Position nicht einverstanden, weil die russischen Truppen noch lange im Kerngebiet von Georgien bleiben werden. Ich glaube, wir sind deshalb in einer schwierigen Lage, weil Saakaschwili unbegrenzte Macht hat. In so einer Situation auf eine Verbesserung zu warten, ist sehr schwer.

Soll und kann Georgien Mitglied der Nato werden?

"Man muss nicht unbedingt Mitglied der Nato sein, damit man nicht von Panzern überrollt wird."

In einer Situation, wo Russland 40 Kilometer vor Tiflis steht, kann ich mir nicht vorstellen, wie Georgien Mitglied der Nato werden soll. Wenn die Nato-Mitgliedschaft nur möglich ist, wenn wir gleichzeitig Abchasien und Süd-Ossetien verlieren, macht der Beitritt für uns keinen Sinn. Ich glaube, die Position der westlichen Länder in der Nato-Frage ist nicht richtig. Man muss nicht unbedingt Mitglied der Nato sein, damit man nicht von Panzern überrollt wird.

Ob die Nato Truppen schicken soll, damit die russischen Truppen abziehen? Unter keinen Umständen! Man muss wirtschaftliche Hebel einsetzen. Die Wirtschaft Russlands hängt heute in Vielem vom Westen ab. Russland kann kein Mitglied der G8 sein.

Der Autor des Artikels, Ulrich Heyden, ist Mitglied des Korrespondenten-Netzes n-ost

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