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Russische Tränen für Eva Herman

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Gesellschaft

Der Rauswurf der deutschen ARD-Moderatorin wird auch in Moskau registriert - mit Verwunderung. Die Russen sind immer wieder konsterniert, wie empfindlich man in Deutschland auf eine Verharmlosung des Nationalsozialismus reagiert.

Weil die Moderatorin und ehemalige Tagesschausprecherin Eva Herman die Familienpolitik der Nazis gelobt hatte, war sie Anfang September mit sofortiger Wirkung vom Norddeutschen Rundfunk entlassen worden. Sogar in russischen Medien und Blogs zieht die Affäre Kreise. Viele Kommentare sind voller Mitgefühl für die Entlassene. Herman wolle eigentlich nichts weiter, als vor der demographischen Krise in Deutschland warnen.

Herman hatte bei der Vorstellung ihres neuen Buches Das Prinzip Arche Noah – warum wir die Familie retten müssen erklärt, im Dritten Reich sei "vieles sehr schlecht gewesen, zum Beispiel Adolf Hitler." Einiges sei aber auch gut gewesen, "zum Beispiel die Wertschätzung der Mutter." Für die Russen ist es immer wieder erstaunlich, wie empfindlich man in Deutschland auf eine derartige Verharmlosung des Nationalsozialismus reagiert. In Russland wurde die eigene totalitäre Vergangenheit bis heute nicht grundlegend aufgearbeitet. Dass auch unter Stalin Mütter mit Orden ausgezeichnet wurden, findet fast niemand anstößig. Dass Frauen im Sozialismus nicht befreit wurden, sondern als Fabrik- und Hausarbeiterinnen doppelt belastet waren, ist für die Russinnen ausreichender Grund den westlichen Feminismus zu verdammen.

Das wichtigste ist der Apfelkuchen

Natürlich gibt es auch in Russland einige Feministinnen. Man trifft sie im russischen Frauen-Blog livejournal.com/feministki. Über Herman findet man in diesem Blog viel Schmäh. Da schreibt zum Beispiel eine "Frau Schmerler", "in Wirklichkeit war sie mehrmals verheiratet und hatte eine Menge Liebhaber. Sie machte Karriere, bekam ein Kind und erst jetzt schreibt sie Bücher darüber, dass Kinder, der Ehemann und der Apfelkuchen das Wichtigste für eine Frau sind." In dem liberalen Forum der Website Kasparov.ru meint Blogger "DpInRock", offenbar ein Mann, die Kündigung der Fernsehmoderatorin sei ein Fehler. "Die Krankheit zu heilen, indem man sie versteckt ist nicht klug."

Auch regierungsnahe und konservative Zeitungen zeigen Mitgefühl für die entlassene Fernsehmoderatorin: in einem Land, wo viele Männer und Frauen beim Wort Feminismus immer noch die Nase rümpfen und wo eine grundlegende Aufarbeitung der stalinistischen Vergangenheit nicht stattgefunden hat, eigentlich kein Wunder.

Ideologisches Tabu

Das angesehene russische Wirtschaftsmagazin Expert lobt die Entlassene in seiner Online-Ausgabe als mutige Mahnerin. Herman habe an einem "ideologischen Tabu" gerüttelt. Die Fernsehmoderatorin habe eigentlich vor der demographischen Krise in Deutschland warnen wollen. Dieses Anliegen werde vom 'deutschen Establishment' "arrogant zurückgewiesen". Die "Verleumdung" der Journalistin erinnere an ähnliche Vorgänge in der damaligen Sowjetunion.

Wenn eine Journalistin in Deutschland "konservative Familien-Werte" vertrete, sei das offenbar ein "unverzeihlicher Fehler". Herman sei zum Opfer "völlig unsinniger Beschuldigungen" geworden. Dass sie den Verein "Laut gegen Nazis" unterstützt habe, werde von ihren deutschen Kollegen, die sie jetzt als "Abtrünnige abstempeln" nicht in Betracht gezogen. Die liberale Tageszeitung Kommersant zog es vor, selbst nicht Stellung zu nehmen und druckte stattdessen auf der Kommentar-Seite einen kompletten Artikel aus der Süddeutschen Zeitung, "Das letzte Missverständnis", nach.

Auch die Kreml-nahe Iswestija ist voller Mitgefühl für Herman. Die "Telediva" habe "ohne Beanstandungen" 20 Jahre beim Fernsehen gearbeitet, schreibt das Blatt, welches die Kündigung "streng" findet. Herman habe sich "immer durch politische Korrektheit ausgezeichnet, sich von Linken wie von Rechten politischen Kräften distanziert." Den geplanten Auftritt der Fernseh-Moderatorin bei der rechtspopulistischen FPÖ in Österreich erwähnt das Blatt allerdings nicht. Herman sei "auf ebener Fläche gestolpert, indem sie die Familienpolitik von Hitler lobte." Immerhin erwähnt das Blatt, dass es auch eine Kehrseite des Nazi-Mutterkreuzes gab. "Die Deutschen waren verpflichtet, Söhne für die Front zu gebären, die arische Rasse zu verbessern, um die Besiedlung der eroberten Gebiete sicherzustellen." Frauen mit angeborenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen seien zwangssterilisiert worden.

Seitenhieb auf die Bundeswehr

Die Iswestija nutzt den Fall Herman für einen Seitenhieb auf die Bundeswehr. Das Blatt fragt, warum nicht auch Bundeswehrgeneräle entlassen werden, weil sie deutsche Soldaten zu militärischen Wettkämpfen entsenden, die jedes Jahr unter dem Namen "Erna" in Estland stattfinden. Mit den Wettkämpfen ehren die Esten das Aufklärungsbataillon "Erna", welches im Zweiten Weltkrieg unter deutschem Kommando hinter der Linie der Roten Armee Brücken sprengte.

Ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums erklärte im Gespräch mit selbiger Zeitung, bei den Übungen handele es sich um "internationale militärische Wettkämpfe" an denen deutsche Soldaten zusammen mit Soldaten aus anderen Nato-Mitgliedsländern seit mehreren Jahren teilnehmen. Zu historischen Fragen wollte sich der Sprecher nicht äußern.

Der Autor ist Mitglied des Korrespondenten-Netzes n-ost