Rumänien und Bulgarien: Hoffnung und Ahnungslosigkeit
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Mit vielen Erwartungen, wenig Ahnung und einigen Befürchtungen blicken Bulgaren und Rumänen einem EU-Beitritt entgegen.
Die Bengel sind abgemagert, mit verlausten dunklen Haaren, wild und doch süß. Die Armenkinder Bulgarien und Rumänien hoffen in eine wohlhabende Pflegefamilie aufgenommen zu werden. In den letzten Monaten haben sie sich bemüht, ihre Hausaufgaben ordentlich zu machen. Sie hoffen, dass sie in der neuen Familie endlich einen Gameboy bekommen, dafür aber nicht mehr als die anderen Kinder mithelfen müssen.
Die Mitgift
Gut ausgebildete und flexible Spezialisten sowie preiswerte Industriestandorte wollen beide Beitrittsländer der EU bieten. Bulgarien bringt zusätzlich noch eine besondere Mitgift mit, wie die bulgarische Europa-Ministerin Meglena Kuneva gegenüber café babel betont: „Kyrillisch, geschaffen von den bulgarischen Brüdern Kyrill und Methodi, wird eins der drei offiziellen Alphabete der EU. Das ist der wertvolle bulgarische Beitrag zur kulturellen Vielfalt in Europa“.
56 Prozent der bulgarischen Bevölkerung sehen laut der jüngsten Eurobarometer-Umfrage der Mitgliedschaft positiv entgegen. In Rumänien sind es sogar 68 Prozent. Bulgaren und Rumänen hoffen auf mehr Reisefreiheit und auf die Chance, selbst zu bestimmen, wo sie in Europa leben, arbeiten oder studieren. Sie erwarten, dass die Wirtschaft und die politische Lage im Land stabiler werden, und auch persönlichen Wohlstand. Insgesamt trauen beide Bevölkerungen internationalen Institutionen mehr als der nationalen, auch wenn sie fast sowenig über die EU wissen wie Kroaten, Türken oder Briten.
Ängste des kleinen Mannes
Viele Bulgaren und Rumänen fürchten aber, dass die Preise ab 2007 steigen werden, und dass sie nicht einmal mehr eine geheizte Wohnung, ein Kilo Schweinefleisch und eine Kinokarte leisten können. Ältere Menschen, Bauern und einfache Leute können so gut wie nichts mit dem Begriff „EU-Beitritt“ anfangen. Sie haben Angst, dass sich die EU zu sehr in die Landwirtschaft einmischt und das Schnapsbrennen zuhause verboten wird.
Die befürchtete Verteuerung des Lebens scheint schon jetzt, weniger als zwei Jahre vor dem möglichen Beitritt, Realität zu werden. Ende September wurde in Sofia ein neues Tourismusgesetz verabschiedet: Die Preise für Bulgaren und ausländische Gäste sollen angeglichen werden. Ausländische Touristen bezahlten bisher in Bulgarien (wie in mehreren anderen osteuropäischen Ländern) im Taxi, im Hotel oder im Museum das Vielfache der Preise für einheimische Touristen. Doch nun fürchtet der bulgarische Otto Normalverbraucher, dass ihn der EU-Beitritt um den Jahresurlaub am Schwarzen Meer bringen wird. Mit durchschnittlich 140 Euro im Monat können die Bulgaren mit den Touristen aus der EU nicht mithalten.
Das Vertrauen in die EU-freundliche politische Klasse leidet auch durch Korruption und Klientelwirtschaft, die in Bulgarien und Rumänien noch gang und gäbe sind. Die größte bulgarische Wochenzeitung „168 chasa“ („168 Stunden“) brachte Ende September die Nachricht, dass der junge, ambitionierte Staatsminister Nikolaj Vassilev angeblich dabei ist, praktisch allein über die Verteilung der Gelder aus den EU-Fonds zu entscheiden.
Der rumänische Präsident Trajan Basescu schlug laut der englischsprachigen rumänischen Tageszeitung „Nine o´clock“ Ende September seinem Volk eine einjährige „Korruptions-Abstinenz“ vor. Danach sei die Korruption endlich ausgerottet...
Die Mafia freut sich
Unterdessen kommen bulgarischen und rumänischen Politiker ins Schwitzen, um ihr Wahlversprechen zu erfüllen – der ersehnte EU-Beitritt im Jahr 2007. Bulgarien verspätet sich mit der Rechtsreform, 22 Gesetzesentwürfe warten noch auf die Verabschiedung. Auch der rumänische Premierminister Calin Popescu Tariceanu wies laut AP Ende September darauf hin, dass das Parlament dort „noch rund 100 Gesetze“ für den EU-Beitritt verabschieden muss.
Über die Verspätung freut sich die Mafia. Die Ausmaße des Menschenhandels in der Region seien alarmierend, teilt Richard Danziger von der Internationalen Organisation für Migration im diesjährigen Bericht über Südosteuropa mit. General Bojko Borissov, bis vor kurzem Generalsekretär im bulgarischen Innenministerium und „Feind Nr.1“ der organisierten Kriminellen, erzählt in einem Interview mit dem bulgarischen Magazin „Egoist“, dass Drogen- und Menschenhandel, Geld- und Kreditkartenfälschung sowie Schutzgelderpressung seit einigen Jahren immer erfolgreicher bekämpft werden. Doch leider seien ihm wegen der gegenwärtigen Gesetzeslage oft die Hände gebunden. Dies soll sich mit dem EU-Beitritt ändern, hoffen Bulgaren wie Rumänen.