Rumänien: Neuer Spielplatz für junge Europäer
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Barbara BraunBillige Arbeitskräfte werden auch in Rumänien gesucht, aber sonst unterscheidet sich das Land gerade von anderen. Junge Europäer verwirklichen hier ihre Träume und schwärmen von Bukarest: Einer Stadt zwischen Sowjet-Kitsch und „New Economy“. Sidonie, Anna und David haben Bukarest, die Stadt „aller Möglichkeiten", zu ihrer Wahlheimat gemacht.
Hinter den kommunistischen Wohnblöcken, abseits der Prachtstraßen, ist so mancher Schatz verborgen. Und genau das lieben Zuwanderer, die hier auf architektonische Entdeckungsreise gehen. Es ist die Mischung der Gebäude, die vom Ceausescu-Regime übrigblieben und den neuen, gemütliche Cafés, die Bukarest so anziehend widersprüchlich macht.
Im Viertel Piata Amzei hat eine französische Buchhandlung in einem alten Haus Quartier Platz gefunden. Es sieht aus wie ein ganz normales Wohnhaus, wenn da nicht das Schild am grünen Tor wäre: „Kyralina – Librairie Française". Drinnen spaziert eine schwarz-weiße Katze zwischen die Kinderbüchern, dem neuesten mit dem Prix Goncourt ausgezeichneten Bestsellern und einer rumänischen Ausgabe von Tim und Struppi herum. Sidonie sitzt hinter ihrem Computer und diskutiert auf Französisch mit einem Kunden aus Bukarest.
„EIN GROSSER SPIELPLATZ"
Sidonie kam 2009 mit einem abgeschlossenen Literatur-Studium von der Sorbonne und etwas Erfahrung im Verlagswesen für ein Praktikum am französischen Kulturinstitut nach Bukarest. Die Buchhandlung des Institutes verkaufte damals wenig. Die junge Frau sah das mit Bedauern: „Ich habe bemerkt, dass sogar die jungen Rumänen sehr frankophil sind. Mein Mann hat hier Arbeit gefunden, und so haben wir beschlossen, eine vom Institut unabhängige, französische Buchhandlung aufzubauen."
Der Erfolg gibt ihr recht. Knapp ein Jahr nach der Eröffnung wurden ihre Erwartungen weit übertroffen. Rund 70% ihrer Kunden sind Rumänen. „Wir sind besonders glücklich darüber, dass wir nicht nur eine Buchhandlung für Exilianten sind."
Ein paar Straßen weiter, im alten Zentrum bietet das "Hub" Arbeits- und Versammlungsraum für junge Selbstständige. Anna ist eine von ihnen. Sie stammt aus den Niederlanden und ist im Oktober 2012 im Rahmen des Europäischen Freiwilligendienstes (EFD) angekommen. Die Projekte ihres Vereins liefen nicht wie sie es sich vorstellte, also rief sie ihr eigenes Projekt ins Leben und entdeckte dabei ihren Unternehmergeist.
Nach ihrem EFD nimmt sie am Programm Erasmus für Jungunternehmer teil und gründet ihre eigene Firma für Kommunikationsberatung: „Ich gebe Pitching-Unterricht und helfe meine Kunden, für ihre Firmen starke Botschaften zu formulieren. Die meisten sind Rumänen. Es funktioniert gut, wahrscheinlich deshalb weil ich die Einzige bin, die das hier anbietet."
Die mangelnde Konkurrenz ist auch ein Vorteil für Sidonie. Sie vergleicht die Stadt gerne mit einer „großen Baustelle", auf der Platz für Experimente und Kreativität ist. „Es ist eine Stadt voller Möglichkeiten. Paris ist voller toller Projekte, aber eindeutig gesättigt. Ich bin nach Bukarest gekommen, weil es ein großer Spielplatz ist."
absurder als bei Ionesco
Die Gastfreundschaft der Rumänen, die Sprache, die Kultur und die schöne Landschaft laden dazu ein, in Rumänien zu bleiben. David ist 2005 in seinem Erasmus-Jahr hier gelandet. Der junge Katalane hat sich sofort in Land und Leute verliebt. „Ich liebe ganz besonders die Kontraste. Es gibt jeden Tag eine Überraschung. Mir ist niemals langweilig." Er spricht mittlerweile Rumänisch, arbeitet halbtags für eine französische Firma und zwei Tage pro Woche für Radio Roumaine Internationale.
Viele Fremde, die ein paar Tage in Rumänien verbringen, nehmen allerdings den Eindruck von der mürrischen Kassiererin und den kurz angebundenen Kellnern mit. David meint dazu: „Das kommt oft vor, und hat sich in den letzten acht Jahren auch nicht geändert." Er kann brillant die Verkäuferinnen für Busfahrkarten imitieren, die den Fahrgast kaum eines Blickes würdigt. „Nachdem ich hier einige Zeit gelebt habe, finde ich die Rumänen gastfreundlich, lebenstüchtig und kreativ, auch wenn sie es selbst nicht so empfinden. In acht Jahren hat man mir nur ein einziges Mal gesagt, dass ich hier nichts zu suchen hätte."
Korrution und drei Jobs gleichzeitig
Das Bild der „unbegrenzten Möglichkeiten" hat auch seine Schwachstellen. Wer Behördengänge scheut, ist in Rumänien fehl am Platz. Ionesco hat davon schon in seinen Stücken geschrieben. Übermäßige Ordnungsstrafen für Belanglosigkeiten und ausufernde Bürokratie stehen dem französischen System in keiner Weise nach. „Die rumänischen Behörden sind ziemlich absurd. Die Eröffnung der Buchhandlung ist aufgrund von Bergen unnötigen Papierkrams verzögert worden", bedauert Sidonie. Ihre böseste Überraschung war der Mietpreis: „Der Immobilienmarkt folgt keinen bestimmten Regeln. Man kann ein sehr billiges Apartment finden, aber ein Geschäftslokal ist teurer als in Paris."
David hatte finanzielle Probleme. „Arbeit findet man leicht, schwierig ist es eine Arbeit zu finden, die ein menschenwürdiges Leben ermöglicht. Für meinen ersten Job bekam ich 500 Lei pro Monat bezahlt (rund 100 €) und meine Stromrechnung betrug schon 300 Lei. Die Gehälter haben sich seit ich hier bin nicht geändert." Obwohl die Preise steigen, bekommt ein junger Professor trotzdem nur 200 Euro pro Monat, eine Arzt nur 500. „Deshalb verbreitet sich Korruption im Bereich Bildung und Medizin", fügt er hinzu.
Trotzdem denkt er nicht daran, Rumänien zu verlassen: „Einige meiner spanischen Freunde sind wieder weggegangen, weil sie keinen Job mit anständigem Gehalt fanden. Ich wollte wirklich hier bleiben. Also habe ich Zugeständnisse gemacht, drei Jobs gleichzeitig gehabt und habe es geschafft." Für Sidonie und Anna hat Rumänien mehr gebracht als erwartet: eine unerwartete Wende in ihrem Leben.
Die Gespräche führte Marine Leduc in Bukarest.
DIESER ARTIKEL ERSCHEINT IN EINEM DOSSIER VON CAFÉ BABEL, DAS SICH MIT IMMIGRATION AUSEINANDERSETZT.
Translated from Jeunes européens : la belle vie, en Roumanie