Rumänien: Es läuft wie geschmiert
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Rumänien darf am 1. Januar 2007 in die EU – wenn das Land die Korruption in den Griff bekommt. Doch davon ist man in Rumänien noch weit entfernt.
„Nuda spaga!“ – „Gib kein Schmiergeld!“ Das Plakat, das ein Fenster der Bahnhofshalle von Schässburg (Sighioara) ziert, ist schon vergilbt. An diesem Nachmittag sieht man alte Frauen mit Kopftüchern auf den Bahnhofs-Bänken der siebenbürgischen Kleinstadt sitzen, die ihre Füße vom Gehen in abgewetzten Plastiksandalen erholen. Ein fliegender Händler mit Bohrmaschinen im Arm steht rauchend auf dem Bahnsteig. Bittend streckt eine Roma zwei blassen Rucksacktouristen ihre leere Hand entgegen.
Das Plakat an der Bahnhofshalle beachtet keiner. Es ist Bestandteil der Anti-Korruptions-Kampagne der rumänischen Regierung und soll ein Wahlversprechen einlösen: 2004 gewann Traian Bsescu von der Demokratischen Partei (PD) das Rennen um die Präsidentschaft mit einer „nationalen Strategie“ gegen die Schmiergeldkultur. Die Korruption in Rumänien ist auch ein zentraler Kritikpunkt der EU-Kommission in ihrem abschließenden Fortschrittsbericht vom 26. September. Zwar stellt die EU dem Land in Aussicht, am 1. Januar 2007 beitreten zu können. Doch die Regierung soll nachlegen im Kampf gegen das alltägliche Bakschisch.
Bezahlung unter der Hand
Von ein paar Plakaten lassen sich die Rumänen jedoch nicht belehren. Sie haben andere Sorgen. Die meisten schlagen sich mit nichts oder wenig durchs Leben: mit ein paar Hektar Land und einer Kuh oder mit Gelegenheitsgeschäften, die Ärmsten nur mit Betteln.
Ein Zug fährt in den Bahnhof Schässburg ein. Die alten Frauen schleppen ihre Plastiktaschen zum Gleis, der Händler seine Bohrmaschinen. Irgendwie müssen sie die Fahrt bezahlen – und wollen dabei sparen. Die eine oder der andere ohne Fahrkarte schiebt dem Schaffner unter der Hand Geld zu. Selbst wenn sie weniger als den offiziellen Fahrpreis bezahlen, der Eisenbahner kann dadurch sein mageres Gehalt aufbessern.
42 Prozent der Rumänen haben einem Bericht der Weltbank im Jahr 2000 zufolge Staatsangestellte bestochen. Glaubt man der NGO Transparency International hat sich daran bis heute trotz der Bemühungen der Regierung nichts geändert. „Von uns durchgeführte Umfragen beweisen, dass die Rumänen heute genau so viel Schmiergeld zahlen wie vor der Kampagne“, bestätigt Victor Alistari, Chef der rumänischen Transparency-Abteilung.
Karies und Korruption
Jeder Zweite, so der Weltbank-Bericht, zahlt in Rumänien extra. Und jeder Dritte Offizielle gibt zu, korrupt zu sein. Als wir im siebenbürgischen Dörfchen Bîrghi nach einem Schlafplatz suchen, werden wir von einem jungen Mann mit nacktem Oberkörper und einem Goldkettchen um den Hals vom Ortsrand aufgelesen. Normalerweise rumpeln Pferdewagen über die staubige Dorfstraße mit Schlaglöchern, doch unser Chauffeur lädt unser Gepäck in einen silbern glänzenden Mercedes-Jeep. Auf unsere verwunderte Frage, wo er den denn herhabe, antwortet er beiläufig: „Der Wagen ist nicht neu. Ist schon zwei Jahre alt.“
Später erfahren wir, wie er seine Luxus-Karosse bezahlen konnte: Er ist der Bruder des Zahnarztes. Jeder zweite Rumäne zahlt beim Zahnarzt Schmiergeld, für eine bessere, schnellere, überhaupt eine Behandlung. Und sei es nur, um sich schwarze Zähne ziehen zu lassen. Auch in den Krankenhäusern fault die Korruption. Für Operationen muss man mehrere hundert Euro zusätzlich aus der Privatkasse investieren. Die schlecht bezahlten Schwestern sind den Patienten täglich zwei, drei Euro „Trinkgeld“ wert. Und das kürzlich erschienene satirische „Korruptionshandbuch“ Manual de Spaga bemerkt sarkastisch : „Schwangerschaft ist jener Zustand des weiblichen Körpers, der zumindest in der Phase vor der Entbindung hohe Schmiergeldzahlungen erforderlich macht.“
Plackerei oder Korruption
Die Ärmsten trifft die Korruption am härtesten. Wie die Karies ihre Zähne faulen lässt, frisst die Korruption tiefe Löcher in die Haushaltskasse, nimmt ihnen über zehn Prozent des Einkommens. Nur naive Fantasten träumen in Rumänien davon, vom Tellerwäscher zum Millionär zu werden. Emöke und Sari aus Bîrghi zählen sicher nicht dazu. Die Schwestern, die zur ungarischen Minderheit in Siebenbürgen gehören, haben den Glauben an die soziale Gerechtigkeit in Rumänien längst verloren. Noch unter Ceauescus Diktatur legte ihr Vater Monat für Monat Geld für ein eigenes Auto zur Seite. Nach dem Umbruch vom Dezember 1989 kam die Wirtschaftskrise. Die Ersparnisse des Vaters schmolzen in der Inflation dahin. Und mit ihnen der Traum vom Auto.
Heute sind Emöke und Sari überzeugt: Wer in Rumänien von Höhenflügen träumt, sollte sich nicht auf die Kraft der eigenen Flügel verlassen – oder ins Ausland gehen. Die Schwestern sagen, es gebe im Land genau zwei Wege, zu Geld zu kommen. Der erste führt über die Plackerei auf den Weinfeldern Italiens, in ostdeutschen Gurkenfabriken, auf Baustellen in Spanien. Der einfachere Weg ist die Korruption, der jedoch nur für Schaffner, Ärzte, Lehrer, Zöllner und Polizisten gehbar ist.
Geld von Tante Tamara
Viele Rumänen sind immer noch überzeugt davon, dass auch die Politiker grundsätzlich korrupt seien. Kein Wunder also, dass Traian Bsescu mit seiner Anti-Korruptions-Kampagne die Wähler von sich überzeugte. Dank des Drucks aus Brüssel sind mittlerweile bescheidene Fortschritte erkennbar. Justizministerin Monica Macovei hat ein Gesetz durchgesetzt, wonach alle öffentlichen Bediensteten ihre Einkünfte offen legen müssen. Inzwischen sitzt sogar Ex-Premier Adrian Nastase wegen ungeklärter Millioneneinnahmen auf der Anklagebank. Ihn habe, so seine abenteuerliche Verteidigung, seine Tante Tamara beerbt, die in einem Bukarester Plattenbau lebt.
Über eine Tante Tamara würden sich viele arme Rumänen sicher freuen. Zwar boomt die Wirtschaft, doch das liegt vor allem an den unglaublich niedrigen Löhnen. Wird der EU-Beitritt Rumänien von der Korruption befreien? Zweifel sind angebracht. Ist das Land erst einmal in der Union, wird der Reformdruck aus Brüssel nachlassen.
Die Wirtschaft müsste noch weiter wachsen, damit der Staat Krankenschwestern, Polizisten und Schaffnern höhere Gehälter zahlen kann. Sie wären auf Schmiergeld nicht mehr angewiesen. Und die Armen müssten vom Wachstum profitieren. Sie könnten sich dann ihre Zugfahrkarten leisten. Doch selbst ein sozial gerechtes Wachstum brächte keine Erfolgsgarantie. Letztlich kommt es auf den Wandel in den Köpfen an – und dafür braucht es mehr als blasse Plakate auf dem Bahnhof.