Rücktritt: Horst Köhler lässt Deutschland oben ohne
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Ohne Vorankündigung ist Horst Köhler am 31. Mai 2010 von seinem Amt des Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland zurückgetreten. Dem System schadet er damit nicht. Der Demokratie aber durchaus.
Horst Köhler verkündete am Montag seinen sofortigen Rücktritt vom Präsidialamt und hinterließ die Berliner Republik für einen Augenblick in der Schockstarre. Doch Deutschland verfügt über ein viel zu stabiles, viel zu ausgeklügeltes politisches System, als dass ein Rücktritt des Staatsoberhaupts zu einem echten Problem werden könnte.
Bereits am nächsten Morgen steht der Termin für die Neuwahl fest: Der 30. Juni, das verfassungsrechtlich letzte mögliche Datum. Die treusorgenden Staatsdiener haben bei der Terminwahl sogar bedacht, dass die deutsche WM-Mannschaft nicht gerade am Wahltag eine Schlappe in Südafrika einfahren kann. Schon wird über mögliche Kandidaten spekuliert. Ganz vorn im Rennen: Ursula von der Leyen, die Ministerin für Arbeit und Soziales. Die Eurovision-Gewinnerin Lena Meyer-Landrut, soviel steht fest, wird nicht antreten. Ein Kandidat für das Präsidialamt muss in Deutschland mindestens vierzig Jahre alt sein.
So weit, so verfassungskonform
Nachdem sich die erste Aufregung gelegt hat, ist einmal mehr klar geworden, was ohnehin schon alle wussten: Der deutsche Bundespräsident ist politisch machtlos. Die Maschine läuft auch ohne ihn. Wer kannte denn im Ausland Horst Köhler? Und wer, ganz ehrlich, wird Sparkassen-Hotte in Deutschland richtig vermissen? Als ehemaliger Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF) hatte er sogar zur Wirtschafts- und Finanzkrise merkwürdig wenig zu sagen. Nach dem Beginn seiner zweiten Amtszeit im vergangenen Jahr wurde er griesgrämiger und stiller, und am Ende verhedderte er sich in einem Interview über den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr, das er gar nicht hätte geben müssen. Bei aller Aufregung um den präsidialen Showdown darf man also beruhigt feststellen: Politik machen in Deutschland andere. Das Grundgesetz hält für alle verfassungsrechtlichen Eventualitäten eine Lösung bereit und bald wird ein neues Gesicht mehr oder weniger gewichtige Reden halten, Sommerfeste im Schloss Bellevue feiern und Bundesverdienstkreuze verleihen.
Und dennoch: Köhlers Auftritt am 31. Mai 2010 war ein Vertrauensbruch und wird als solcher auch politische Folgen haben. Sein Abgang hinterlässt einen Widerhaken im demokratischen Grundgefühl. Denn der Bundespräsident ist das institutionalisierte Vertrauen in die Demokratie. Er ist die Symbolfigur und das gute Gewissen des Landes. Wenn er nicht mehr will, weil er verschnupft ist und ihm die Lust vergangen ist, dann zerplatzt eine Illusion. Nach dem scheidenden Linken-Parteichef Oskar Lafontaine und dem aktuellen Rücktritt des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch, so erfährt der Bürger und Wähler, verlegt sich nun also auch der Bundespräsident darauf, bei einem Anfall akuter Amtsunlust das Handtuch zu werfen. Politik ist aber kein Saisongeschäft und das Amt des Bundespräsidenten ist es schon gar nicht. Demokratie ist auch Stimmung, nicht nur Verfassung.
Als das Grundgesetz verabschiedet wurde, 1949, steckte Deutschland in einer doppelten Vertrauenskrise: Starke Männer an der Staatsspitze, so hatte man erfahren müssen, waren gefährlich. Und das Volk, das sich solche Männer herbei wählt nicht minder. So entstand das Amt des Bundespräsidenten, der nicht direkt vom Volk gewählt wird. Ein symbolisches, ein vorsichtiges und bedächtiges Amt. Die Bundesrepublik Deutschland ist keine Präsidialdemokratie wie etwa Frankreich, wo der höchste Mann im Staate auch politisch das Sagen hat. Ähnlich wie der italienische Staatspräsident hat der Bundespräsident vor allem eine symbolische Funktion. Auch sein Politikstil ähnelt dem eines europäischen Repräsentativ-Monarchen, und mit Nicolas Sarkozy traf sich bisher nicht etwas Horst Köhler, sondern Angela Merkel.
Der Bundespräsident braucht daher das Vertrauen der Bürger, um nicht wie ein Komparse des Politikbetriebs zu wirken. Umgekehrt strahlt er über sein Amt Vertrauen aus. Die Deutschen haben sich in den vergangen sechzig Jahren mit fast allen ihren Präsidenten anfreunden können und sie haben die altväterliche Aura akzeptiert, die das Amt umweht. Nun hat eine solche Vaterfigur politischen Suizid begangen. Das schockiert. Vielleicht wird es Köhlers ungeordnetem Rückzug wenigstens zu verdanken sein, dass Väterchen Staat bald zum ersten Mal eine Mutter bekommt.
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