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Roma: Und täglich grüßt das Schwarz-Weiß-Denken

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Gesellschaft

Die Diskriminierung der Roma scheint in Deutschland und Europa unvermindert. Die Community fordert ein 'Bleiberecht für alle', während die Behörden sie weiterhin in ihre Herkunftsländer abschieben. Der Welt-Roma Tag am 8. April jährt sich diese Woche zum zum 46. Mal. Eines der Ziele des ersten Internationalen Romani-Kongresses war es, eine engere Gemeinschaft zu schaffen. Mit Erfolg?

Die Atmosphäre bei der heutigen Berliner Demonstration schwankt zwischen Wut, Frustration und Kampfgeist. Eine bunte Menschengruppe sammelt sich am Neuköllner Hermannplatz. Auf den Riesenplakaten, die einige Teilnehmer halten, ist die Roma-Flagge zu sehen und Slogans wie „Alle Roma bleiben hier“! Irgendwann setzt sich der bunte Protestzug, begleitet von der Polizei, lautstark in Bewegung. Er wird von einem gelben Kleinlaster mit Lautsprechern angeführt, aus denen entschlossene Parolen schallen.

Gute und schlechte Ausländer

Roma sind die größte ethnische Minderheit in Europa. Viele stammen aus Ost- und Südosteuropa. Roma wird aber ebenso als Oberbegriff für alle Menschen verwendet, die sich als Roma fühlen und schließt nach dieser Definition Sinti mit ein. Die meisten Roma in Deutschland leben seit einer oder mehreren Generationen hier und besitzen die deutsche Staatsbürgerschaft. Sie sehen sich nach einem Bericht der Bundesrepublik an die Europäische Kommission von 2011 selbst als gut integriert an und erhalten keine speziellen Förderprogramme.

Johannes Kiess, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Siegen, erklärt die im letzten Jahr erschienene Studie „Die enthemmte Mitte”. Diese basiert auf bundesweiten Erhebungen zu rechtsextremen Einstellungen innerhalb Deutschlands. Danach sei die Zustimmung zu Rechtsextremismus zwar zurückgegangen, aber ein anderes Problem trete zutage: „Wir gehen weg von einer klassischen Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus und hin zu einer spezielleren Abwertung von Menschen. Das heißt, es gibt ,gute’ und ,schlechte’ Ausländer. Und zu den ,schlechten’ Ausländern gehören Roma, Geflüchtete und Muslime.” Diesen Gruppen würden unterschiedliche negative Eigenschaften zugeordnet: „Roma werden zum Beispiel als Bedrohung für den Wohlstand wahrgenommen”, so Kiess.

Dabei sei es eigentlich gar nicht möglich, Roma als eine einzige Gruppe zu definieren, sagt Georgi Ivanov, der für Amaroforo die Anlaufstelle für soziale Beratung koordiniert. Amaroforo ist der Berliner Landesverband des Vereins AmaroDrom, der sich unter anderem dafür einsetzt, Roma und Nicht-Roma zu mobilisieren und ihnen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen.

Roma sein ist mir peinlich

Eine weitere Hürde für die gesamte Minderheit ist, dass sich viele schwer damit tun, sich selber als Roma zu identifizieren. Safeta Zwietasch von Amaroforo erzählt von einem Jugendlichen, der beim Verband ein Praktikum gemacht hat: „Er schämt sich, das Praktikumszeugnis von Amaroforo zu zeigen, einfach, weil da drin steht, dass unsere Organisation für und mit Roma arbeitet.” Die Bosnierin selbst traut sich erst offen über ihre Roma-Herkunft zu sprechen, seit sie bei der Organisation arbeitet. „Vorher hatte ich Angst, dadurch meine Arbeit zu verlieren und dass mein Kind in der Schule beleidigt und diskriminiert wird. Jetzt will ich gern meine Zugehörigkeit zeigen.”

Dabei ist man von der Zuschreibung, Mitglied der Roma zu sein und damit von Diskriminierung nur betroffen, wenn man bestimmte äußerliche Merkmale aufweist. Dies geht oft einher mit der Konstruktion als „Ausländer”. Kiess bringt es auf den Punkt: „Wenn ein blonder Blauäugiger Roma ist, dann wird er das Problem nicht haben.”

Wer darf bleiben?

In Berlin geht es heute vor allem um eins: einen Abschiebestopp für alle Roma zu bewirken. Laut dem Portal Statista liegt die Roma-Bevölkerung in Deutschland bei ungefähr 120 000 Menschen. Das sind aber lediglich Schätzungen, da in der Bundesrepublik seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr nach ethnischer Zugehörigkeit gefragt werden darf und diese folglich in den Melderegistern auch nicht auftaucht. Offiziell und rechtlich gesehen darf also „Roma-Sein“ überhaupt keinen Einfluss auf den jeweiligen Status in Deutschland haben.

Dennoch kämpfen gerade die Roma selbst meist für ihre Rechte als Roma, weniger für ihre Rechte als beispielsweise Rumänen, Serben oder Albaner. Vielleicht liegt das daran, dass sie nicht nur die größte ethnische Minderheit in Europa stellen, sondern gleichzeitig die Bevölkerungsgruppe sind, die am meisten diskriminiert wird. Laut Marijo Terzic, dem Leiter des kommunalen Integrationszentrums in Duisburg, treffe das gleichermaßen auf die Minderheit innerhalb der Bundesgrenzen zu und sorge so für eine Benachteiligung in sämtlichen Lebenslagen.

Vielleicht kämpfen Roma aber auch deshalb so vehement für ihre Rechte, weil Deutschland ihnen aufgrund ihrer systematischen Vernichtung während des Nationalsozialismus eine bevorzugte Behandlung schuldig sei. Immer wieder wird bei der Demonstration in Neukölln die Verantwortung der Bundesrepublik gegenüber den Roma hervorgehoben. Deutschland sei es ihnen schuldig, sie uneingeschränkt einreisen und vor Ort leben zu lassen.

Wollen und Können

Der Integrationsbeauftragte Marijo Terzic arbeitet im Nordrhein-Westfälischen Duisburg - einem Hotspot für die Roma-Zuwanderung aus der Balkan-Region. Für ihn steht fest: „Der Bund zieht sich ein bisschen aus der Verantwortung und überlässt den Kommunen den komplexen Berg an Integrationsarbeit vor Ort.“ Und die kommen ganz schön ins Straucheln. „Die rennen uns hier die Bude ein, um an Deutschkurse zu kommen, und wir kommen nicht schnell genug hinterher, den Bedarf zu decken“, so Terzic.

Ob die Zugezogenen Roma sind, spiele für ihn, der ebenfalls betont, dass das ohnehin nicht erfasst werden darf, keine Rolle. „Die Integrationsmaßnahmen sind für alle gleich.“ Der zentrale Punkt im Integrationsprozess sei immer „Bildung, Bildung, Bildung. Den Kindern eine Chance geben, später einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Und bei den Erwachsenen spielt die Eingliederung in den Arbeitsmarkt eine enorm große Rolle.“

Die Haltung von Georgi Ivanov in puncto Selbstverantwortung geht in dieselbe Richtung: „Ein bisschen Eigeninitiative müssen sie schon mitbringen. Wenn ich nur zu Hause sitze und mich beklage, dass mir keiner hilft, ist es auch utopisch, integriert zu werden.“ Für ihn stellt jedoch gerade der verschlossene Arbeitsmarkt eines der größten Integrationsprobleme dar. Denn Roma aus Nicht-EU-Staaten dürfen, während sie „geduldet“ sind, nicht arbeiten. „Obwohl viele auch gerne arbeiten würden und viele auch schon die Sprache so weit beherrschen, dass sie arbeiten könnten. Aber das ist nicht erlaubt. Das ist doch paradox.“

Bunter Maßnahmenkatalog in ganz Europa

Die Europäische Union führt seit Jahren Projekte auf verschiedensten Ebenen durch, um die Diskriminierung der Bevölkerungsgruppe zu beenden. 2005 unterzeichneten zwölf der EU-Staaten die Initiative “Roma-Dekade”, die von der EU und der Weltbank gefördert wurde. Deutschland war nicht Mitglied. Im Rahmen des Roma-Jahrzehnts wurde außerdem der “Roma Education Fund”, ein Fonds, der sich für die Bildung von Roma in den Mitgliedsländern der Initiative einsetzt, gegründet.

Trotzdem sind die Kompetenzen der EU im Minderheitenschutz begrenzt. Insgesamt bleibt die Frage, wie sehr alle Bemühungen fruchten, eine, die innerhalb der jeweiligen Landesgrenzen beantwortet wird. Einige Ecken in Duisburg, Mannheim, Gelsenkirchen, Dortmund oder Berlin, die eine vergleichsweise hohe Roma-Population aufweisen, lassen zumindest nicht vermuten, dass die Integrationsstrategien bis jetzt großen Erfolg haben.

„Wir wollen die gleichen Rechte wie die Juden, die nach Deutschland kommen!”, hört man die knackende Stimme durch die Lautsprecher bei der Demonstration. Für Juden sind laut dem Bundesministerium für Migration und Flüchtlinge die Aufnahmevoraussetzungen zwar besondere, sie dürfen aber auch nicht uneingeschränkt zuwandern. So müssen sie zum Beispiel staatenlos oder Staatsangehörige eines Landes der ehemaligen Sowjetunion sein und Grundkenntnisse der deutschen Sprache besitzen.

Roma sind Europäer - ich verstehe nicht, warum sie weg müssen

Zu den Demonstranten in Neukölln gehören auch viele Nicht-Roma. So wie ein brasilianischer Tourist, dem es wichtig ist, sich politisch zu engagieren: „Die Roma sind auch europäisch, ich verstehe nicht, warum sie weg müssen”, sagt er.

Rein rechtlich gesehen müssen sie das in Deutschland auch nicht, weil sie Roma sind. Die Praxis und Selbstwahrnehmung der Betroffenen ist aber ganz offensichtlich nach wie vor anders. Roma werden in Deutschland noch immer diskriminiert. Der gesamten Gruppe eine Opferrolle zuzuschreiben, wäre aber ebenso kurzsichtig, wie sie generell in einen Topf zu werfen. In Deutschland leben deutsche Roma, perfekt integrierte eingewanderte Roma und eben auch solche, die sich nicht integrieren wollen oder können. So bringt es eine junge Frau etwas weiter hinten im Zug auf den Punkt: Die vorherrschenden Vorurteile seien “purer Rassismus”, denn es gäbe schließlich in jeder Personengruppe “solche und solche Menschen”.