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Roma in Frankreich: Im Europäischen Parlament wird der Ton schärfer

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Sophie Beese

Politik

Die verschärfte Politik der französischen Regierung, die seit diesem Sommer die Auflösung von Roma-Lagern sowie die Abschiebung von deren Bewohnern in ihre Heimatländer angeordnet hat, führte in Frankreich zu heftigen Debatten. Die Reaktionen auf europäischer Ebene hingegen waren zuerst einmal ungleich diskreter.

Die Europäische Kommission selbst hält sich zwar zurück - die Abgeordneten jedoch wollen das nicht so hinnehmen und haben sich des Themas angenommen. Letzte Woche Donnerstag (9. September) wurde eine Resolution verabschiedet, die eine entschlossenere Strategie auf europäischer Ebene vorsieht. Neben der französischen Regierung ist es jedoch auch die Europäische Kommission, die durch ihre Trägheit in die Kritik der Parlamentarier geraten ist. Letztere erwarteten von der Institution, aktiv ihrer Rolle als Hüterin von Verträgen und grundlegenden Prinzipien der Union nachzukommen.

Eine Debatte, die ansteckt

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Eigentlich war die Diskussion zur Situation der Roma in Europa für Dienstagnachmittag (7. September) vorgesehen. Doch schon während der morgendlichen Sitzung entspann sich zu dem Thema eine hitzige Debatte, die fast die Rede des Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso vergessen ließ, der sich immerhin gerade zum ersten Mal über die Lage der Union geäußert hatte. Die Abgeordneten, Fraktionsführer an der Spitze, nutzten in der Tat diese feierliche Sitzung, um einhellig die durch die französische Regierung veranlasste Abschiebung der Roma und das Zaudern der Union angesichts dieses Themas zu verurteilen.

Martin Schulz von den Sozialdemokraten übte als erster Kritik: „Eine Regierung, die innenpolitisch unter Druck steht, [darf] nicht zum Mittel der Hexenjagd auf Minderheiten greifen“ sagte er, bevor er die Regierung unter Nicolas Sarkozy namentlich nannte.

Wut bei den Linken, Unbehagen bei den Konservativen

Von wegen: Viele EU-Parlamentarier finden Frankreichs Umgang mit den Roma gar nicht tollDer Chef der christlich-konservativen EVP hingegen, Joseph Daul, vermied es ausdrücklich, Frankreich direkt zu verurteilen. Lieber sprach er vom Ärger seiner Wähler über den Diebstahl von Traktoren in seinem Kanton, also von den Sicherheitserwartungen der Bürger, um davon auf die europäische Ebene überzuleiten. Er drängte auf die gemeinsame Lösung von Problemen, die die Einzelfälle der Roma übersteigen, wie etwa die Themen Sicherheit oder Immigration. Besonders vehemente Kritik übte zweifelsohne Guy Verhofstadt, Fraktionsvorsitzender der europäischen Liberalen (ALDE). Er urteilte, dass „das, was sich gerade in Frankreich abspielt, inakzeptabel ist“. Auch die Europäische Kommission verschonte er nicht, die die „institutionelle Verpflichtung hat, ohne Zugeständnisse zu reagieren“, wenn die fundamentalen Werte der Union in Gefahr seien. Auch der Chef der Grünen-FraktionDaniel Cohen-Bendit, griff die Kommission heftigst an: „Meisterin in generellen Aussagen und Meisterin bei abwesenden Mitstreitern“ sobald es sich darum handle, einen nicht mit den europäischen Grundrechten vereinbaren Missstand aufzuzeigen. Er forderte den Kommissionspräsidenten auf, öffentlich zu sagen, dass „das, was Frankreich tut, nicht mit europäischem Recht vereinbar ist“.

Und tatsächlich überprüft die Europäische Kommission nun die Legalität der von der französischen Regierung ergriffenen Maßnahmen. Untersucht wird, ob die Abschiebung der Roma mit den in der Richtlinie 2004/38/EG festgehaltenen Prinzipien der freien Zirkulation von EU-Bürger im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten sowie der Europäischen Charta der Grundrechte vereinbar ist. Der französische Einwanderungsminister Eric Besson und der Staatssekretär für europäische Angelegenheiten, Pierre Lellouche, sind letzte Woche nach Brüssel gereist, um die zur Beurteilung notwendigen Unterlagen bereitzustellen.

Von den linken Tribünen des Parlaments kam wie zu erwarten deutlich heftigere Kritik an der französischen Politik. Aus einer Unzahl striktester Aburteilungen gegenüber der "Wiege der Menschenrechte" bleiben besonders "inakzeptabel" und "unwürdig" haften. Frankreich hätte das Unwissen einer Bevölkerungsgruppe ausgenutzt, um diese gegen eine finanzielle Entschädigung zur Rückkehr in ihre Heimatländer zu drängen, hätte seine Sicherheitspolitik zum Wählerfang instrumentalisiert, indem es bewusst eine Verknüpfung zwischen Immigration und Kriminalität suggeriert hätte. In der anderen Parlamentshälfte war zumindest ein gewisses Unbehagen spürbar. Der Großteil der konservativen Angeordneten hielt es jedoch für ratsam, sich hinter der Kommission zu verstecken. Sie wären nicht bereit, zu der französischen Politik Stellung zu beziehen, bis nicht ein endgültiger Bericht der Kommission vorliege.

An den Pranger gestellt: Die EU Kommission

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Am Nachmittag setzten sich die Debatten genauso lebhaft fort, diesmal in Anwesenheit der Kommissarin für Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft, Viviane Reding. Diese verwies auf den Besuch der französischen Minister-Delegation in Brüssel. Die Versicherung von französischer Seite, dass die Roma keine Opfer von Diskriminierung seien, stufte sie als „positive Entwicklung“ ein. Diese mit Pfiffen begrüßte Äußerung hinterließ eher den Eindruck, die Kommission wolle Paris schonen. Auch die von einigen beklagte Unfähigkeit oder Unentschlossenheit der Institution, den Abgeordneten vor der eigentlichen Debatte eine objektive und eindeutige Entscheidung dazu mitzuteilen, ob diese Art der Ausweisung rechtmäßig sei, hat dieses Gefühl noch verstärkt. Der Abgeordnete Hannes Swoboda (S&D) zeigte sich „bestürzt“ und „enttäuscht“ darüber, dass sich die Kommission mit den Erklärungen aus Paris abspeisen lasse. „Sie weichen aus und nehmen ihre Verantwortung nicht war“, warf er der Kommissarin vor. Allgemein betrachtet befürchten die Abgeordneten, dass ein Schweigen der EU weiteren Ausweisungen, die nicht konform mit geltendem EU-Recht sind, Tür und Tor öffnet. Schlimmer noch, dieses Schweigen könnte dem Sozialdemokraten Ioan Enciu zufolge die gesamte europäische Politik im Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit ad absurdum führen.

Die Konservativen zeigten sich da schon etwas versöhnlicher mit der Kommission. Sie unterstellen ihr keine Ausweichmanöver, weil sie sich der Schwierigkeiten, die eine juristische Überprüfung von Fall zu Fall mit sich bringt, bewusst sind. Sie wollen die endgültige Entscheidung der Kommission abwarten, statt sich in vagen Mutmaßungen gegen den betroffenen Staat zu verlieren. Wie Manfred Weber erklären sie, es abzulehnen, an einem „politischen Zirkus“ teilzunehmen, und sich vielmehr der sachlichen Lösung von Problemen widmen zu wollen.

Schande über Frankreich! Schande über Europa!

All diese Äußerungen lassen erkennen, dass die in Frankreich ausgebrochene Debatte weit über die Grenzen des Landes hinausgeht. Die innerfranzösische Debatte hat die EU an die Wand gedrängt. Für Hélène Flautre von den Grünen ist dadurch das „ganze europäische Projekt in Frage gestellt“. Die Abgeordneten sind demzufolge höchst beunruhigt über die fast völlige Sprachlosigkeit der Institution, deren Aufgabe es doch ist, über die Einhaltung der Verträge zu wachen. „Schande über Frankreich! Schande über Europa“ schlussfolgerte Franziska Keller von der Grünen. Und Hélène Flautre fügt hinzu: „Frau Reding, sie sollten deutlich machen, dass die EU-Charta der Menschenrechte nicht nur eine leere Hülle ist“.

Lest den kompletten Beitrag in unserem Straßburg-Cityblog.

Fotos: Artikellogo (cc) LE_M@SC/flickr; Roma-Protest (cc) Philippe Leroyer/flickr; Europäisches Parlament (cc) European Parliament/Pietro Naj-Oleari/flickr

Translated from Rroms en France: le ton monte au parlement européen