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Rockband Sume: Revolution im Eismeer

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Berlin

Wer das Wort „Kolonialismus“ hört, denkt oft an Afrika und wenn es um Rockmusik geht, nicht unbedingt an Grönland. Trotzdem hat beides unheimlich viel mit der Insel im hohen Norden zu tun. Die Dokumentation Sume – Mumisitsinerup Nipaa, die in diesem Jahr bei der Berlinale läuft, erzählt die Geschichte der legendären grönländischen Rockband Sume.  

Der Gitarrist greift drei, vier Mal energisch in die Seiten, der Schlagzeuger lässt den Beat langsam anschwellen und schon explodiert die Musik von Sume in schönster Rockmusikmanier – begleitet von der hellen Stimme des Sängers Malik Høegh. Soweit ein ganz normaler Rocksong – wenn Høegh nicht auf Grönländisch singen würde. Die Zahl der grönländischen Bands, die man auf Anhieb nennen könnte, lässt sich mit einiger Sicherheit auf null festlegen. Was wissen wir schon über Grönland, diese gewaltige Insel im hohen Norden, die „irgendwie“ zu Dänemark gehört? Wie gut, dass der grönländische Regisseur Inuk Silis Høegh das mit seiner Dokumentation Sume – Mumisitsinerup Nipaa (auf Englisch: Sumé, the Sound of a Revolution, 2014) jetzt ändern will.

Die Band Sume ist legendär – zumindest in Grönland und teilweise auch in Dänemark. Als sich die Gründer Malik Høegh und Per Berthelsen 1972 kennen lernen, studieren beide in Kopenhagen. Wie übrigens fast die gesamte Jugend Grönlands, die – will sie nicht in der Fischfabrik enden – ihre Heimat verlassen muss. In Grönland gibt es in den 1970ern keine Universität, Infrastruktur und Wirtschaft sind kaum entwickelt, die meisten Siedlungen noch nicht einmal mit vernünftigen Straßen verbunden. Die größte Insel der Welt ist Teil des dänischen Königreichs und wird von seinem territorialen Übervater wo es nur geht gegängelt. Den jungen Bandmitgliedern von Sume, allen voran Malik Høegh, passt das überhaupt nicht.

Ihr erstes Album Sumut (1973) ist ebenso skandalös wie erfolgreich: Auf dem Albumcover prangt ein Inuit, der stolz die zerhackte Leiche eines Norseman, der Personifikation der nordischen Staaten, präsentiert. Die Songs, für deren Lyrics vor allem Malik Høegh verantwortlich zeichnet, handeln von sozialen Missständen in der grönländischen Gesellschaft, von der unerträglichen Abhängigkeit von der dänischen Krone, dem Verfall der indigenen Inuitkultur, von Ausbeutung und Zerstörung der Natur. „Am Anfang waren wir alle schockiert, als wir Sumes Musik hörten“, erzählt eine ältere Grönländerin im Film. „Es hatte ja noch nie jemand vorher auf Grönländisch gesungen!“ Sume bedeutet auf Grönländisch „wo?“ – kürzer und symbolträchtiger hätte man all die Themen, für die Sume steht, wohl nicht zusammenfassen können.

Holzhütten, Eisschollen und fahrende Lautsprecher

Die spannungsgeladene Koexistenz indigener Traditionen und oktroyierter moderner Lebensformen illustriert Regisseur Inuk Silis Høegh mit alten Super-8-Filmen, die er teils in Archiven fand, teils von der grönländischen Bevölkerung zur Verfügung gestellt bekam. Durch 40 Stunden private Filmaufnahmen habe er sich gekämpft, erzählt Høegh: „Bis in die 1980er wurden in Grönland kaum Filme von Einheimischen gedreht. Die meisten existierenden Film- oder Fotozeugnisse zeigen einen Blick von außen, von Dänen oder anderen Europäern.“ Auch deswegen sei das Super-8-Material so wertvoll, da es einen unverfälschten Eindruck davon gebe, wie Grönland in den 1970ern aussah. Viel Schnee sieht man so, dazu kleine Holzhütten, flache Steppen, vor den Küsten treibende Eisschollen und eine fahrbare rote Lautsprecherbox, aus der die Musik Sumes wummert.

Immer mehr Konzerte spielt die Band in Dänemark, knapp 20% der grönländischen Bevölkerung kaufen das Debütalbum und auch auf politischer Ebene bleiben die Forderungen nicht ungehört. Zeitgleich formieren sich immer mehr Vereine und Jugendorganisationen, die eine größere Unabhängigkeit von der Krone und eine Rückkehr zu den Wurzeln der Inuitkultur fordern. Nach dem zweiten Album (Inuit Nunnat, 1974) tourt Sume endlich auch durch Grönland und spielt sogar ein paar Konzerte im damaligen Ostberlin. Ihren Zenith hat die Band damit allerdings überschritten, die Bandmitglieder stehen vor dem Ende ihres Studiums und der Rückkehr nach Grönland. 

Bevor Sume sich auflöst, nehmen die fünf Musiker mit Sume (1977) ein letztes Album auf, verbringen ganze Tage im Studio und mischen die Songs in der letzten Nacht vor ihrem Rückflug noch ab. Die folgenden 14 Jahre sollten sie sich nicht wiedersehen – der Stern von Sume ist ebenso schnell gestiegen, wie er auch wieder untergegangen ist. Vielleicht ist die Band wegen der extremen Kürze ihrer Karriere zu einem derartigen Mythos geworden. Vielleicht war es auch einfach nur das Timing: 1979, nach langen Jahren der Agitation und der Proteste, wird in Grönland endlich die weitgehende politische Selbstverwaltung (Home Rule) eingeführt. All dies erzählt Regisseur Inuk Silis Høegh in ruhigen Bildern und Interviewsequenzen mit den Bandmitgliedern und ihren Fans, durchbrochen von energiegeladenen Mitschnitten der Live-Auftritte von Sume. 

Damit passt Sume – Mumisitsinerup Nipaa ganz gut zur diesjährigen Berlinale, die auch ein wenig ein Filmfestival der Musikdokumentationen ist. Mit What happened, Miss Simone? (Regie: Liz Garbus), Cobain: Montage of Heck (Regie: Brett Morgen) und B-Movie: Lust & Sound in West-Berlin (Regie: Jörg A. Hoppe, Laus Maeck und Heiko Lange) widmen sich die meisten Regisseure allerdings den großen Stars. Sume ist auch deswegen interessanter, weil es ein völlig unbekanntes Stück Rockgeschichte aufrollt. Das Thema sei aber weiterhin brandaktuell, meint Inuk Silis Høegh: „Jede Generation braucht ihre Revolution. Die letzte in Grönland ist 40 Jahre her, aber man spürt so langsam, dass sich wieder etwas verändert.“ Auf dem Papier gehört die Insel, trotz Home Rule und Self Rule seit 2009, immer noch zu Dänemark. Wer weiß, ob zum Einläuten der nächsten grönländischen Revolution wieder eine Band auftaucht? 

Cafébabel Berlin auf der 65. Berlinale

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