Regisseur Roozbeh Behtaji: "Junge Europäer leben in einem existentiellen Niemandsland"
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Die Filmemacher, die aus allen Ecken Europas zu den Rencontres Henri Langlois 2010 nach Poitiers gereist sind, gleichen sich zwar äußerlich kaum, doch Roozbeh Behtaji, ein junger Regisseur aus Göteborg, fällt trotzdem auf. Nicht nur, weil er so gar nicht schwedisch aussieht, sondern auch weil er jeden Tag eine andere Mütze trägt.
Auch in seinem Filmdebüt London Transfer (2008), das er beim Festival präsentierte, spielt er einen mützentragenden Touristen, der wegen seiner arabischen Gesichtszüge zum Terrorverdächtigen wird.
„Ich sehe nun mal nicht schwedisch aus und wenn ich in einen Club gehe, weiß ich, dass sie mich nicht reinlassen. Das kommt vor. Die sagen nicht: Du darfst nicht rein, weil du ein Ausländer bist. Sondern: Du darfst nicht rein wegen deiner Schuhe. Und ich weiß nie, ob es wirklich wegen der Schuhe ist oder nicht.“ Wenn Roozbeh Behtaji über die Probleme redet, die ihm seine dunklen Augen und sein Teint bereiten, muss man unwillkürlich schlucken. Kann das denn wirklich der Fall sein im weltoffenen Schweden? Aber seit dem 11. September 2001 ist die Welt nun einmal eine andere, angstbesetzere geworden.
Roozbeh ist als Kind mit seiner Mutter aus dem Iran nach Schweden gezogen. Obwohl er nur einmal zurückgefahren ist, spricht er noch fließend Persisch: „Es war toll, den Iran mal zu sehen. Aber wenn man da ist, merkt man auch, dass man geistig doch eher ein Schwede ist“, meint Roozbeh lachend. Trotzdem spricht er beide Sprachen mit Akzent und fühlt sich in keinem der beiden Länder wirklich heimisch: „In Schweden bin ich ein Iraner und im Iran ein Schwede.“
Zeig mir dein Gesicht und ich sag' dir, ob du ein Sicherheitsrisiko bist
Aus diesem Dilemma heraus entstand auch sein erster Kurzfilm, London Transfer (2008). Er erzählt die Geschichte von Sam, einem schwedischen Touristen, der auf der Reise nach Mexiko mit seinem kaputten Koffer im nächtlichen London strandet und sich auf die Suche nach einer Toilette macht. „Do not leave your baggage unattended.“ Alle zwei Minuten von einer plärrenden Lautsprecherstimme daran erinnert, dass herrenlose Gepäckstücke ein Sicherheitsrisiko darstellen, versucht Sam, seinen großen Koffer, mit dem er in kein kleines Klo passt, loszuwerden. Aber natürlich will ihm niemand behilflich sein. Ob das wohl an seinem arabischen Gesicht liegt?
Auf die misstrauische Bemerkung eines amerikanischen Touristen hin, dass er ja gar nicht schwedisch aussähe, meint Sam nur: „Ich komme eben aus Südschweden.“ Ein ziellos durch die Straßen Londons irrender Radfahrer, der nur Cockney rhyming slang spricht und Sam zuerst verdächtig vorkommt, entpuppt sich schließlich überraschenderweise als sein Freund und Helfer auf der Toilettensuche.
Die Idee zum Film hatte Roozbeh, als er selbst 2005 nach den Bombenanschlägen nach London reiste und die extremen Ängste der Leute dort erlebte. Zum Rhythmus des Songs „Maggot Brain“ von Funkadelic trieb er damals ziellos durch die Straßen und fragte sich, warum wir uns alle von unseren Ängsten gefangen nehmen lassen. Doch trotz der Weltuntergangsstimmung fühlte Roozbeh sich in London wohl, weil er trotz seines Teints zum ersten Mal nicht auffiel: „Das ist einfach ein Ort, an dem ich aussehe und spreche wie alle anderen auch.“
An der Göteborgs Universitet, wo Roozbeh Drehbuchschreiben, Regie und Philosophie studiert hat, ist das eher nicht der Fall. Aber auch wenn er schon in vielen Ländern und Städten, von Barcelona über Berlin bis London gelebt hat, zieht es ihn doch immer wieder ins kalte Skandinavien. Sein nächstes Projekt ist ein Film über europäische Identitäten, der für das schwedische Fernsehen geplant ist: In Bastian will Roozbeh die lange Reise des gleichnamigen Helden durch Europa auf der Suche nach seinen wahren Eltern nachzeichnen und dabei ein paneuropäisches Dilemma illustrieren.
Ob er aus Griechenland, Chile oder der Türkei kommt, weiß Bastian nicht, denn er kennt nur seine schwedischen Adoptiveltern. Diese Suche nach der eigenen Identität, so meint Roozbeh, sei ein Problem unserer Generation, die sich in Zeiten offener Grenzen und unendlicher Möglichkeiten in einem „existentiellen Niemandsland“ zu verlieren drohe: „Alle fragen immer nur: Wer willst du sein? Keiner fragt: Was kannst du überhaupt schaffen? Wir können alles machen und jeder will sich selbst verwirklichen. Aber wenn wir älter werden, bekommen wir Angst, weil wir es nicht schaffen und weil es so viele Wahlmöglichkeiten gibt. Was auch immer man wählt, man entscheidet sich damit gegen tausend andere Sachen und daher werden viele Leute unglücklich.“ Das gelte besonders in Europa, da wir nicht nur in Wohlstand und Frieden lebten, sondern auch noch frei wählen könnten, wo wir leben und was wir tun wollen. Die Angst vor der unendlichen Freiheit ist da nicht weit.
Zwischen allen europäischen Stühlen und nirgendwo zu Hause?
So geht es auch Bastians Filmfreund Bill, der mit ihm von Schweden aus über den ganzen Kontinent reist. Nachdem er vor fünf Jahren die Filmhochschule abgeschlossen hat, wartet er immer noch auf den großen Durchbruch, macht in der Zwischenzeit aber erst einmal eine Doku über Bastian und flieht vor seiner schwangeren Freundin. Roozbeh, der die Rolle des Bill spielt, will diese europäische Odyssee zwischen Dokumentarfilm und Fiktion als mockumentary in Cafés und Kneipen in ganz Europa mit den Leuten, die er vor Ort trifft, drehen: „Ich will einen Film über unsere Generation machen und darüber, wie wir uns alle mit den gleichen Fragen beschäftigen. Wir werden einige Szenen in Cafés drehen, uns einfach hinsetzen und so tun, als ob wir wirklich Bastian und Bill sind. Also Fiktion im öffentlichen Raum. Ein bisschen wie Borat, aber nicht so lustig“, lacht Roozbeh.
Für das Format von Bastian hat Roozbeh sich etwas Besonderes ausgedacht, denn er will nicht einfach nur einen Kinofilm machen: „Ich wusste von Anfang an, dass ich nicht fürs Kino drehe. Viele Leute sitzen nur am Computer und schauen den ganzen Tag youtube.“ Daher will er Bastian nicht nur als Langspielfilm in ausgewählten Kinos und bei Public Viewings zeigen, sondern auch eine Fernseh- und eine Internetserie produzieren, die, so hofft Roozbeh, in ganz Europa zu sehen sein wird.
Schließlich sind ja nicht nur Einwanderer in Schweden auf der Suche nach ihrer Heimat und ihrer Identität, sondern viele andere junge Europäer auch: „Es geht um die Frage, wo dein Zuhause ist. Je mehr ich mich damit beschäftigte, desto mehr realisiere ich, dass es nicht ein Ort innerhalb nationaler Grenzen ist. Mein Zuhause sind die Leute und Orte, die ich liebe und die Menschen, die mich zurücklieben. Ich glaube, wenn ich bei Facebook auf 'home' klicke, dann bin ich wirklich am Nächsten an meinem Zuhause dran, denn das sind fast alle Leute, die mir wichtig sind, auf einem Haufen.“ Wo er später mal leben will, weiß Roozbeh auch mit 29 Jahren noch nicht. Bevor er sich festlegt, will er noch ein paar Städte außerhalb Skandinaviens durchprobieren. Seine vielen Mützen seien ihm auch dabei behilflich, meint er lachend: „Ich glaube, wenn ich einen Hut trage, sehe ich einfach ungefährlicher aus.“
Wer an Roozbeh Behtajis Projekt Bastian mitarbeiten möchte, kann die Autorin des Artikels gern per private message kontaktieren (einfach auf den Brief neben dem Autorennamen klicken)!
Fotos: Mit freundlicher Genehmigung von ©Roozbeh Behtaji; Video: (cc)Youtube