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Rechtsextremismus in Deutschland: Auch wir sind schuldig

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Gesellschaft

Seit langem bemerkt, aber geduldet, haben sich seit der Wiedervereinigung in weiten Teilen der Ex-DDR no-go-areas gebildet. Die Faschisten haben ihren eigenen Schutzwall gebaut, der (wie früher der antifaschistische) die „feindliche kapitalistische“, pluralistische, demokratische und weltoffene Gesellschaft von den Einheimischen fernhalten soll.

Aus diesen Biotopen rekrutierten und rekrutieren sich Schlägertrupps und Mörderbanden. Wir wissen das alles seit langem. Nur ändern konnten wir es nicht. Ein Kommentar von Inka Bach, Gründungsmitglied des Vereins Courage gegen Fremdenhass.

Deutschland ist bei weitem nicht das rassistischste Land in Europa: Rechtes Gedankengut ist statistisch weniger verbreitet als zum Beispiel in Frankreich. Doch das eigentliche Skandalon - die gewaltbereiten, jungen, rechtsextremen Männer, vorrangig im Osten zu Hause – wird kleingeredet. Brauchte es wirklich erst die Aufdeckung der Serienmorde an türkischen Kleinunternehmern und einem Griechen im November 2011, um das zu erkennen?

Seit über zwanzig Jahren reagiert die Öffentlichkeit auf diesen mörderischen Rassismus erschreckend gleichgültig. Die Zahlen werden beschönigt: Seit der Wiedervereinigung wurden nach Zählung der Amadeu Antonio Stiftung mehr als 150 Menschen Opfer rechtsextremer Gewalt. Die offiziellen Statistiken des Innenministeriums, sprechen von nur 40 bis 50 Fällen. Bei den so genannten „Dönermorden“ - und der Begriff selbst offenbart schon einen Mangel an Empathie – suchten die Ermittler über ein Jahrzehnt lang einen Täter aus dem Milieu krimineller türkischer Banden. Dem Verdacht eines rassistischen Hintergrunds gingen sie nicht nach.

„Das sind doch unsere Kinder!“

Besonders im Osten der Republik verschließt man die Augen vor der Fremdenfeindlichkeit. Einige Autoren haben die Situation beschrieben: Freya Klier schrieb vom Braunen Erbe der DDR, der Schriftsteller Peter Schneider vertritt in einem Artikel gar die Meinung, die Zwickauer Terrorzelle sei aus einer „rassistischen Ideologie der DDR entstanden“. Doch die ehemaligen Genossen winken beschwichtigend ab: „Das sind doch unsere Kinder!“ Oder „Das sind doch Dumpfbacken; die sind viel zu blöd, um politisch denken zu können.“ Mit solchen Erklärungen wird die Problematik beschönigt.

„Nach der Wiedervereinigung sind Autoritäten zusammen gebrochen“, heißt es oft. Doch so ist es nicht! Sonst würden „unsere Kinder“ sich ja endlich mit der Vergangenheit „unserer“ Eltern in der DDR-Zeit auseinandersetzen und ihnen die notwendigen Fragen stellen. Doch der Generationenkonflikt blieb bisher weitgehend aus. Man solidarisierte sich mit der Verlierergeneration – was wunderbar zum Geist der geschlossenen Gesellschaft eines DDR-Erbes passte.

Dabei wäre es wichtig, über die Gesinnung der Eltern und Großeltern, der Lehrer und Erzieher zu sprechen. Wer glaubt, mit der Wende habe für sie die Stunde Null begonnen, hat nichts aus der Geschichte gelernt. Denn auch die nach 1989 Geborenen oder diejenigen, die zur Wendezeit noch zur Schule gingen, waren anfällig für ein DDR-typisches autoritäres, fremdenfeindliches Denken.

Nicht nur arme Schweine, Dumpfbacken und Minderbemittelte

„Die Arbeitslosigkeit ist schuld.“ Die Mär hält sich besonders hartnäckig, obwohl Studien beweisen, dass Arbeitslosigkeit alleine keine rechtsextreme Gesinnung auslöst. Opfer des rechten Marodierens sind oft gerade Obdachlose und andere, deren Leben als „unwert“ gilt. Viele Neonazis sind technisch gut ausgestattet – oft stehen sie der Polizei in nichts nach. Und auch an Geldgebern fehlt es der rechten Szene nicht. Jetzt staunt die Öffentlichkeit auch über die Gelder, die vom Verfassungsschutz an V-Männer der rechten Szene geflossen sind.

2012

Machen wir uns nichts vor: Hier geht es nicht nur um arme Schweine, Dumpfbacken und Minderbemittelte. Es gibt auch die feinen Herren im Nadelstreifenanzug, die über Vermögen verfügen und ihre „Jungs“ ausstatten. Sie werden von Herrschaften innerhalb und außerhalb der NPD, die sich als Saubermänner gerieren, unterstützt.

Die Zwickauer Bombenbauer, die schon Ende 1990er entkommen konnten, weisen auf ein zusätzliches Problem hin: Den Regionalismus. Denn Beamte, Polizisten und andere Staatsschützer sind mit den Rechtsextremisten zur Schule gegangen und sympathisieren nicht selten mit ihnen. Kameradschaften, gewaltbereite dezentrale Gruppen, terrorisieren ganze Landstriche. Sie sind schwer zu verbieten, erst recht nicht zurückzudrängen, wenn es nicht die Gesellschaft selber tut. Und mit Zulauf seit der Wiedervereinigung in der Ex-DDR stärkt sich die Neonazi-Szene seit einiger Zeit auch wieder in den alten Bundesländern, radikalisiert und militarisiert sich.

Es folgt eine kurze Empörung, Scheindebatten und Ersatzlösungen à la NPD-Verbot, Lichterketten und Aufrufen zum Aufstand der Anständigen. Langfristige Lösungen werden nicht angeboten. No-go-areas, Kameradschaften und radikalisierte Neonazis im Untergrund – sie bleiben unbehelligt. Der Medienrummel legt sich. Wenn alle Aufregung nur als populistisches „Feigenblatt“ dient, verschärft sich die Situation sogar.

Es ist gut, dass die Zwickauer eine Mahnwache für die Opfer rechter Gewalt abgehalten haben. Das braune Netz aber ist noch lange nicht zerschlagen. Das können nur Gesellschaft und couragierte Mitbürger. Doch schon Jugendliche haben Vorurteile: laut einer Umfrage des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen wollen etwa 40% der deutschen Jugendlichen nicht einmal einen türkischen Nachbarn haben. Das muss sich ändern. Wir – und die Staatsgewalt - müssen es wollen.

[Die Autorin ist Mitglied der 1991 von Peter Schneider gegründeten Berliner Künstlerinitiative Courage gegen Fremdenhass e.V.; sie hat u.a. das politische Tagebuch „Wir kennen die Fremde nicht.“ über Rechtsextremismus (Ullstein Berlin 2000) und das Hörspiel „Wer zählt die Opfer, nennt die Namen“ (rbb 2002, mit Regine Ahrem) über Todesopfer rechter Gewalt seit der Wiedervereinigung geschrieben.]

Illustrationen: Homepage (cc)litteronly/flickr; Fische (cc)xrrr/flickr; Demo-Flyer (cc)rpenalozan/flickr

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