Raus aus dem Kino-No Man's Land - Mostars neues Gespür für Film
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Wenn ihre Altersgenossen anderswo freitagabends ins Kino gehen, um neue Filme zu schauen, einen Abend mit Popcorn und vielleicht sogar 3D-Brille vor der großen Leinwand zu verbringen, treffen sich Lanas Freunde in ihrer Privat-Wohnung und zelebrieren ihren eigenen Kinoclub. In Mostar, Lanas Heimatstadt mit knapp 120.
000 Einwohnern, gibt es seit dem Ende des Bürgerkriegs in Bosnien und Herzegowina kein einziges Kino mehr. Doch das soll sich mit dem Bau eines neuen Multiplex nun bald ändern.
Dass die Stadt Mostar heute kein einziges Kino vorweisen kann, bedeutet nicht, dass die Jugend hier keinen Zugang zu aktuellen Kinostreifen hat. Filme werden aus dem Internet heruntergeladen. Auf facebook veröffentlichen die Fans der 7. Kunst Filmrezensionen, diskutieren Handlung und schauspielerische Leistungen. Sogar selbstgemachtes Popcorn gibt es.
Eine echtes Kinoerlebnis kann das nicht ersetzen
Im April dieses Jahres soll aber alles anders werden. Seit Monaten schon thront inmitten der Stadt eine riesige Baustelle: Mostar bekommt ein weiteres Einkaufszentrum. Wenn es stimmt, dann bekommt die Stadt auch ihr erstes Multiplex-Kino mit vier oder fünf Kinosälen. Welcher der großen Kinosaal-Betreiber letztlich die neuesten Streifen zeigen wird, steht allerdings in den Sternen. Die kroatische Kette Cinestar oder der kleinere Bruder Cinecity aus Sarajevo? Da das Bauvorhaben ein privates ist, dringen nur sporadisch Informationen an die Öffentlichkeit.
Mostars Jugend schwankt zwischen Zuversicht und Skepsis, zu oft schon wurde die Eröffnung eines Kinos angekündigt, und zu oft schon wurden die Erwartungen enttäuscht. Dabei ist Mostar kein unbeschriebenes Blatt in Sachen Lichtspielhäuser. Vor dem Bürgerkrieg in den 1990er Jahren gab es in der malerischen Stadt sogar zwei Kinos: Partizan und Zvijezda. Kinobesuche gehörten wie der Besuch im Theater zum guten Ton. Aufgrund der Zerstörung der Kinosäle und der Teilung der Stadt, die eine einheitliche Kulturpolitik unmöglich macht, gingen in Mostars Kinos Mitte der 1990er Jahre die letzten Lichter aus. Partizan und Zvijezda sind heute kaum mehr als Erinnerungen an eine magische Zeit, in der Mostar Heimstätte cineastischer Künste war.
Keine Kino-Muffel in Mostar
Balkan-Kino: Gelobtes Land für Kassenschlager
Dabei ist die Situation des Kinos landesweit betrachtet gar nicht so schlecht. Kino hat Tradition in Bosnien und Herzegowina. Dies zeigen nicht nur die jüngsten cineastischen Erfolge bosnisch-herzegowinscher Regisseure wie Danis Tanovic, der für seinen Film Nicija Zemlja (No Man's Land) 2001 den Oscar für den besten ausländischen Film gewann, oder Jasmila Zbanic, die für ihren Film Grbavica 2006 mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde.
Es lohnt sich auch, einen Blick auf international weniger Aufsehen erregende Produktionen zu werfen. Am besten geht das während eines Besuchs des Sarajevo Film Festivals. Trotz steigender internationaler Anerkennung dient das Festival weiterhin als Plattform für junge Filmschaffende aus Südosteuropa. Die Themen sind dabei so vielfältig, wie das Leben selbst: Soziale Ungerechtigkeit, religiöser Fundamentalismus oder komplexe Liebesverwirrungen.
Auch in Mostar gibt es ein kleines Filmfestival, das sich der regionalen Filmszene widmet: Bereits zum sechsten Mal fanden 2011 die Dani Filma Mostar im Kulturzentrum Kosaca statt. Der Schauspieler Slaven Knezovic und sein Verein Oktavijan sprechen vor allem ein jüngeres Publikum an. Der Eröffnung eines richtigen Multiplex sieht Knezovic gelassen, ja sogar mit Vorfreude entgegen: „Die Eröffnung des Kinos wird unserem Festival zugute kommen. Wir werden weiterhin den Festivalcharakter pflegen und uns beispielsweise auf Dokumentar- oder Experimentalfilme spezialisieren. Natürlich freue ich mich über diese Entwicklung.“
Auch im OKC Abrasevic, dem Kultur- und Jugendzentrum der Stadt, freut man sich, dass Mostar nach so vielen Jahren ein Kino bekommen soll. Seit 2003 werden im Abrasevic regelmäßig Filme gezeigt, bis 2008 sogar ein eigenes Kurzfilmfestival veranstaltet, das allerdings aufgrund der schwierigen finanziellen Situation eingestellt werden musste. Seitdem ist das Abrasevic Gastgeber für französische oder deutsche Filmtage, aber auch für politische Filmreihen wie das „Sex, Pop and Politics“ im Herbst 2011. Ronald Panza vom OKC Abrasevic freut sich auf die Eröffnung des Multiplex, denn: „Ein Kino in Mostar zu haben befreit uns davon, Mainstream-Filme zeigen zu müssen. Wir können uns auf die Independent- und Experimental-Produktionen konzentrieren.“ Auch, so Panza, wenn dies aufgrund der akuten finanziellen Schwierigkeiten nicht einfach werden dürfte – wobei es nicht um Profit gehe. Das Abrasevic ist ein gemeinnütziges Zentrum, das Kultur und Bildung fördert.
Aber auch für den neuen Multiplex-Betreiber dürfte es nicht einfach werden, die Säle zu füllen und Lana und ihren Kinoclub in die neue Shoppingmall zu locken. Panza kennt die Mostarer Jugend. Er weiß, dass das Gefühl, einen Kinosaal zu betreten, ein besonderes ist; eines, das nicht mehr viele junge Menschen in Mostar kennen. Um Kino als sozialen Raum, als Kunst- und Kritikraum, als Raum des öffentlichen Lebens wieder kennenzulernen, bedarf es mehr, als fünf große Kinosäle und eine 3D-Brille.
Illustrationen: Homepage: (cc)* RICCIO/flickr; Baustelle Mostar ©Dorothee Baumann; Videos: Cirkus Columbia (cc)TheTubeTrailers/YouTube; Sarajevo Film festival Trailer (cc)SFF/YouTube