Radovan Karadzic: Verhaftet in der Buslinie Nummer 73
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Der meistgesuchte mutmaßliche Kriegsverbrecher Karadzic ist gefasst.
Der Arzt Dragan Dabic, ein rauschebärtiger Brillenträger, der jahrelang seinen Unterhalt in einer privaten Praxis in Neu-Belgrad als Fachmann für alternative Medizin verdiente, lebte bescheiden. Wie der einfache Bürger von nebenan zeigte er sich unbeschwert in der Nachbarschaft, ging einkaufen und nutzte die öffentlichen Verkehrsmittel. Sein normales Leben geriet erst dann gewaltig durcheinander, als ihn der serbische Geheimdienst verhaftete. Fingerabdrücke und DNA lügen nicht. Dragan Dabic ist der meist gesuchte mutmaßliche Kriegsverbrecher aus dem ehemaligen Jugoslawien - der Weltöffentlichkeit besser bekannt als Radovan Karadzic.
Karadzic ist jener bosnisch-serbisch nationalistische Politiker, der im bosnisch herzegowinischen Parlament Anfang der neunziger Jahre den bosniakischen Muslimen offen mit ihrer Ausrottung drohte. Karadzic war damals Chef der Serbischen Demokratischen Partei (SDS) und Präsident der in Bosnien-Herzegowina durch Gewalt etablierten Republika Srpska. Er und sein General Mladic versuchten zwischen 1992 und 1995 durch Vertreibung der nicht serbischen Bevölkerung, durch gnadenlose Bombardierung der Städte und letztlich durch Völkermord, das unabhängig gewordene Bosnien-Herzegowina in ausschließlich serbischen "Lebensraum" zu verwandeln.
13 Jahre danach
Karadzic wurde nicht medienwirksam wie Saddam aus einem Erdloch gezerrt. Es gab auch keine dramatischen nächtlichen Verhandlungen wie während der Verhaftung Milosevics. Unblutig und reibungslos wurde der 63-Jährige seit Tagen observiert, trotz falschen Namens identifiziert und schließlich in der Buslinie 73 verhaftet.
Das war ganz plötzlich, nach so vielen Jahren, möglich geworden. Der pro-europäische Präsident Boris Tadic gewann im Mai die parlamentarische Mehrheit, seine Regierung erlangte die Kontrolle über die Geheimdienste. Sie standen bis dahin unter der Ägide seines ehemaligen Koalitionspartners Kostunica, der bereits gegen die Auslieferung Milosevics war.
Der politische Wille zur Kooperation mit Den Haag wurde beim Präsidenten Tadic sicherlich auch durch ein Brüsseler Wahlgeschenk gestärkt. Die EU und Serbien unterzeichneten Ende April das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen - mitten in der heißen Wahlkampfphase in Serbien.
Das Pikante bei der Aktion ist die Haltung von Milosevics Sozialisten. Ihr ehemaliger Chef ist kaum zwei Jahre tot, da finden sie sich in der Koalitionsumarmung mit den ehemaligen Erzfeinden wieder - die Sozialisten regieren seit kurzem mit der Demokratischen Partei (DS), die ihren Boss Milosevic einst nach Den Haag geschickt hatte. Der neue Innenminister Ivica Dacic, ehemals scharfzüngiger Sprecher Milosevics und sein Nachfolger auf dem Parteichefposten, beeilte sich der Öffentlichkeit zu versichern, dass die unter seinem Kommando stehenden Polizisten an der Verhaftung nicht beteiligt gewesen seien.
Die Gruppe der protestierenden Rechtsextremisten aus der Organisation "Obraz", die sich in der Nacht der Verhaftung in Belgrad versammelte, war zu unbedeutend, um den routinierten Lauf der Dinge in der serbischen Hauptstadt stören zu können. Die einzige politische Kraft, die eventuell zu ernst zu nehmenden Protesten aufrufen könnte, ist die Serbische Radikale Partei (SRS) von Tomislav Nikolic.
Karadzic und Mladic: Wer A sagt, muss auch B sagen?
Das wissen die Regierenden in Belgrad. Eine eventuelle Verhaftung von General Mladic stellt jedoch für die Regierung eine größere Herausforderung dar. Mladic ist in einem Kameradschaftsnetz ehemaliger Militärs und Geheimdienstler gut eingebunden. Obwohl der Verteidigungsminister ein Getreuer Tadics ist, bedeutet das nicht, dass er diese Netzwerke auch wirklich völlig beherrscht. Zur Veranschaulichung: In Serbien gibt es etwa zehnmal mehr pensionierte Generäle als aktive.
Besonders in Bosnien-Herzegowina, wo die blutigen Spuren von Karadzic und Mladic am deutlichsten sind, feierten tausende Bosniaken die Verhaftung. Die bosniakischen Politiker zeigten sich zufrieden, während in Banja Luka, der Hauptstadt der Republika Srpska, die Reaktionen gemischt ausfielen. Während die Parteifunktionäre aus der von Karadzic gegründeten SDS über eine "antiserbische Justiz" in Den Haag schimpften, zeigte sich der Ministerpräsident der Republika Srpska, Milorad Dodik, zufrieden. Der politische Druck auf die Republika Srpska werde nachlassen, denn man hatte Karadzic eher in diesem Teil Bosnien-Herzegowinas oder in Montenegro vermutet.
Der Autor des Artikels, Dragoslav Dedovic, ist Mitglied des Korrespondentennetzes n-ost.