Quo vadis Eurogeneration?
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Patrick KennedySie reist per Erasmus und spricht Fremdsprachen ohne zu entfremden. Jung, frei und gleich? In puncto Arbeit und Multikulturalismus bleiben weitere Hürden zu nehmen. Wohin geht die Eurogeneration?
Was ist ihrer Ansicht nach der gängige Bezug der Jugendlichen zu Europa?
Michel Fize: Wir leben heute in einer offenen Welt. Und angesichts der Unbeweglichkeit unserer Gesellschaft, gehen die Jugendlichen ihren eigenen Weg und haben sich für die Mobilität entschieden. Das hat natürlich mit der Dynamik unserer Zeit zu tun, aber auch mit den jüngsten Entwicklungen. Durch das Internet hat die Mobilität einen Beschleunigungsschub erhalten. Wir sind uns heute darüber bewusst, Teil einer gleichen Welt zu sein. Wir haben das Gefühl, dass die ganze Welt nur einen Klick weit von uns entfernt ist. Darum haben die Jugendlichen heute Lust zu reisen. Aber es sind vor allem Studenten, die von den verbesserten Lebensbedingungen profitieren. Es sind diese Jugendlichen, die Europa heute bewegen.
Kann man von einer Eurogeneration sprechen? Wenn ja, was sind ihre Eigenschaften?
Olivier Galland: Man kann nicht wirklich von einer Eurogeneration sprechen. Die Lebensweisen und Werte der europäischen Jugendlichen sind immer noch sehr unterschiedlich. Ein junger Däne ähnelt einem erwachsenen Dänen mehr als einem jungen Franzosen (und umgekehrt). Sicherlich gibt es gemeinsame Tendenzen: Die Individualisierung - also die Tatsache, dass jeder seine Art und Weise zu leben und zu denken selbst wählen will - zieht sich durch ganz Europa. Aber das Ausmaß dieses Individualisierungsprozesses ist in Europa sehr unterschiedlich. Manche Länder bleiben viel stärker ihren Traditionen und den Werten ihrer Vergangenheit verbunden als andere - besonders die katholischen Länder im Süden Europas.
Michel Fize: Es gibt sie schon, die Eurogeneration. Nur ist sie an ein Statut gebunden, nämlich das des Studenten. Auch Persönlichkeit und Bildungsbedingungen spielen eine wichtige Rolle. Die Eurogeneration von heute stammt aus Familien, die es gewohnt sind zu reisen. Diese neue Generation ist aus dem Aufkommen der Jugendkultur in den sechziger Jahren entstanden. Mit der Entwicklung der Rock’n’roll-Bewegung wurde Musik zu einem Gemeingut. In den Jahren 1968 bis 1969 fühlte man sich schließlich als Weltbürger.
Hat sich der Begriff "Europa" innerhalb der letzten Generation weiterentwickelt?
Insgesamt fühlen sich die Jugendlichen relativ wenig durch Europa als Institution angesprochen. Ihr Gefühl der Zugehörigkeit bezieht sich vielmehr auf ihr lokales Umfeld. Gleichzeitig denke ich, dass die Idee Europas als gemeinsamer Raum verstanden wird, in dem man reisen, an Austauschprogrammen teilnehmen, eventuell arbeiten kann. Diese Idee hat an Boden gewonnen. Man könnte das den Erasmus-Effekt nennen (auch wenn das Programm tatsächlich nur relativ wenig Jugendliche betrifft.)
Ist Erasmus demnach also nur eine Modeerscheinung, die auf Erfolgen wie dem des Films L’auberge espagnole fußt?
Michel Fize: Der zweite Beweggrund zu reisen ist der Nutzen, den man daraus ziehen kann. Heute muss man mehrere Sprachen beherrschen und andere Kulturen kennen, um sich auf der Höhe der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklung bewegen zu können. Das Erasmusprojekt erfüllt diese Anforderungen durch das Angebot des Auslandsstudiums. Man könnte sagen, offen für Europa zu sein ermöglicht es, Spaß und Notwendigkeit miteinander zu verbinden. Manchmal kann es angenehmer sein in Barcelona zu studieren als in seinem eigenen Land, und es eröffnet einem mehr berufliche Perspektiven!
Wie sieht die Eurogeneration von morgen aus?
Michel Fize: Die zukünftige Entwicklung der Wirtschaft kann zweierlei Auswirkungen haben. Eine erste Konsequenz ist die Emigration. Heute ziehen viele junge Franzosen zum Arbeiten nach London, da England weitaus mehr Vorteile für den Berufseinstieg bietet. Tatsächlich bezeichnet man Frankreich oft als „Land der Diplome“. Für junge Franzosen, die beispielsweise nicht jahrelang studiert haben, ist es viel einfacher in den angelsächsischen Ländern ihr Leben erfolgreich zu gestalten. Wie jeder weiß, ist die Wirtschaft instabil und bindet, gerade in Frankreich, die Jugendlichen nicht ein. Im Durchschnitt ist die Jugendarbeitslosigkeit in den führenden Ländern Europas doppelt so hoch wie bei den Erwachsenen. Das ist natürlich ein Beweggrund, sein Glück anderswo in Europa zu suchen. Aber es kann auch der umgekehrte Effekt entstehen: Die zweite wirtschaftliche Konsequenz für die Zukunft der Eurogeneration ist der Rückzug in sich selbst. Wenn es wirklich sehr schlecht läuft, ist es schwer flexibel zu bleiben, vor allem weil das Reisen voraussetzt, dass man genug Geld dafür hat. Die Zukunft der Eurogeneration hängt also direkt mit der Zukunft der Wirtschaft zusammen!
Olivier Galland: Diese Generation muss ihre Zukunft nach diesen Voraussetzungen gestalten. Dabei ist es frappierend, den Kontrast zwischen dem Optimismus der Jugendlichen im Norden und dem Pessimismus der Jugendlichen im Süden - und vor allem dem Pessimismus der jungen Franzosen - festzustellen. Dieser Pessimismus hat sicherlich auch einige objektive Ursachen (die hohe Jugendarbeitslosigkeit, schlecht organisierte Bildungssysteme…), aber er zeigt auch einen Mangel an Selbstvertrauen. Die Aufgabe der Politiker muss es sein, dieser verängstigten und etwas fatalistischen Generation wieder Vertrauen in sich selbst zu geben.
Michel Fize ist Soziologe am CNRS (Französisches Zentrum für Ethnologie), Spezialist für Jugend- und Familienangelegenheiten und Autor von Livre noir de la jeunesse (Schwarzes Buch der Jugend), Essay (Taschenbuch), Januar 2007.
Olivier Galland ist Soziologe uns Forschungsleiter am CNRS (Forschungsgruppe für soziologische Analysemethoden), sowie Autor des Essays Les jeunes Européens sont-ils individualistes? (Die jungen Europäer: Sind sie Individualisten?), erschienen in Les valeurs des jeunes Européens (Die Werte der jungen Europäer), Editions la Découverte, 2005.
Translated from L’Eurogénération : un portrait croisé