Quebecer Hipster-Regisseur Xavier Dolan: Nouvelle Vague des globalen Kinos
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Julia KorbikDas europäische Kino im Allgemeinen und das französische im Besonderen hegen eine gewisse Ignoranz gegenüber der 7. Kunst, also dem Kino. Vor allem dann, wenn sie aus dem kanadischen Quebec stammt. Trotzdem ist ein Autor dabei, all jenen Kanada-Kinobanausen einen Dämpfer zu verpassen - der 22-jährige Regisseur Xavier Dolan.
Offensichtlich stellt Frankreich eine ideale Schnittstelle für den Export von Filmen aus Quebec nach Europa dar. Aber, von einigen wenigen Erfolgen mal abgesehen (man denke vor allem an Der Untergang des amerikanischen Imperiums [1987), Die Invasion der Barbaren [2002] oder auch C.R.A.Z.Y. – Verrücktes Leben [2005]), hat das Kino aus Quebec sich in den letzten Jahren eher unauffällig verhalten – aus recht schleierhaften Gründen.
Handelt es sich um ein Verständnisproblem in Zusammenhang mit dem Akzent (vergessen wir nicht, dass Serien und Filme aus Quebec im französischen Fernsehen mit Untertiteln versehen werden)? Allerdings: In der Mehrzahl der Filme aus Quebec, die nach Frankreich importiert werden, wird ein Französisch verwendet, das die Kanadier als gepflegte Sprache bezeichnen und welches generell keine großen Verständnisprobleme verursacht.
Hipster, Überflieger, Quebecer
Wie dem auch sei, unter dem Namen Xavier Dolan sichert sich Kino aus Quebec seit kurzem einen kleinen Platz an der europäischen Sonne. Verabscheut von seinen Landsleuten, die ihn zu französisch finden, verschrien als narzisstisch und überzeugt von sich selbst – die Worte, die ihn beschreiben, sind immer dieselben: Hipster, Überflieger, Quebecer. Und Xavier Dolan ist tatsächlich all das. Gerade 22 Jahre alt, hat er bereits zwei Spielfilme herausgebracht, einen dritten (Laurence Anyways) für 2012 bereitet er gerade vor und macht so auf beiden Seiten des Atlantiks von sich reden.
Sein erster Film, J’ai tué ma mère [dt. 'Ich habe meine Mutter getötet'], kam 2009 in die Kinos und hat bei den Filmfestspielen von Cannes nicht weniger als drei Preise eingesackt. Ein ergreifender Film, der die stürmischen Mutter-Sohn-Beziehungen analysiert. 16 Jahre war Xavier Dolan alt, als er das Drehbuch schrieb. Der Film ist vielversprechend und überrascht durch seine Reife. Die Anfänge einer neuen Avantgarde lassen sich hier erkennen: Die ästhetische Sorgfalt, der unkonventionelle Stil und das Bedürfnis, eine desillusionierte, homosexuelle, verdorbene Jugend darzustellen, die so völlig anders ist als das elterliche Milieu. Sexuelle Orientierungen, sie sind für den offen homosexuell lebenden Dolan ein immer wiederkehrendes filmisches Motiv.
« Dein Kleid ist ein wenig anachronistisch »
2010 meldet Dolan sich kraftvoll mit seinem zweiten Spielfilm zurück: Les amours imaginaires [dt. 'Die eingebildeten Lieben', nach Molières Der eingebildete Kranke]. Der Film, dessen Untertitel im Original 'Flieh vor mir ich folge dir' ['Fuis moi je te suis'] lautet, behandelt ein bereits künstlerisch ausgelutschtes Thema: Enttäuschte Liebe. Alles dreht sich um die drei Hauptdarsteller: Marie (Monia Chokri) und Francis (dargestellt von Xavier Dolan höchstselbst) sind zwei Freunde, jung und modebewusst, die der künstlerisch-intellektuellen Szene von Montreal angehören. Beide verlieben sich in Nicolas (Niels Schneider, der auch schon in J’ai tué ma mère an der Seite Dolans spielte), ein großer Kerl mit Babyface, goldenen Locken und unbekümmerter Art. Das jeweilige Ziel von Marie und Francis ist klar: Nicolas zu verführen - auf Kosten des anderen. Und das ist es, worin die ganze Mehrdeutigkeit besteht: Niemand weiß, wen von beiden Nicolas vorzieht… wenn er überhaupt jemanden vorzieht. Und eine Stunde und vierzig Minuten lang wird der Zuschauer an einem Abstieg in die Hölle teilnehmen, an einem ungezügelten und verzweifelten Wettlauf, um das Objekt aller Begierden für sich zu gewinnen. Eingebildete Lieben, platonische und unweigerlich auch enttäuschte.
Das Szenario an sich ist nicht außergewöhnlich – es ist die Ästhetik des Films, die Xavier Dolans Genialität zum Vorschein bringt. Der Film ist vollgestopft mit Referenzen an James Dean, Alfred de Musset, Audrey Hepburn oder auch Jean-Luc Godard und Pedro Almodóvar, alles mittels einer ausgefeilten, teilweise herben und grellen Inszenierung. Perfekter Soundtrack (überraschende Wiederbelebung des auf italienisch gesungenen Songs 'Bang Bang' der italo-französischen Sängerin Dalida), scharfe Entgegnungen («Dein Kleid ist ein wenig anachronistisch»), adrette Persönlichkeiten im Retro-Look (besser gesagt 'Vintage', wie Marie klarstellt) und unvergessliche Szenen (insbesondere jene, in der sich die Anspielungen an griechische Marmorstatuen überschneiden, die Zeichnungen von Jean Cocteau und das Bild Nicolas, der selbstvergessen zum exzellenten 'Pass this on' von The Knife tanzt), machen diesen Film zu einem kleinen Kino-Schmuckstück.
Spricht Xavier Dolan mit Frankreich? Oder spricht Frankreich über Xavier Dolan?
Abgesehen von zwei frühreifen, kinematographischen Werken besitzt Xavier Dolan außerdem noch die Unverfrorenheit, eine Nouvelle Vague des globalen Kinos zu verkörpern. Das Etikett 'französisch', das man diesem Schauspieler-Regisseur-Drehbuchautor verpasst hat, ist genauso richtig wie der junge Mann multi-tasking-fähig. Sei es als Vorreiter einer neuen Generation von Autoren (zumeist französisch), die ihre Schöpfungen filmen, produzieren, schreiben und spielen. Zu diesem bunten Durcheinander gehören u.a. Mélanie Laurent (Les Adoptés), Valérie Donzelli (La guerre est declarée, in dem sie ihre eigene Geschichte erzählt), Maïwenn Le Besco (Polisse, dt. Poliezei) oder auch Gauillaume Canet (Les petits mouchoirs; dt. Kleine wahre Lügen). Abgesehen von der Tatsache, dass ihre Filme von der Kritik allgemein eher positiv aufgenommen wurden, handelt es sich vor allem um Persönlichkeiten, die einen Vorgeschmack auf einen Siegeszug einer «ultra-bobo» Kultur (bourgeois-bohème) bieten, in der jeder und alles schön ist (Cap Ferret in Kleine wahre Lügen, die schönen Wohnungen in Lyon in Les Adoptés), bis sich eine nahestehende Person durch einen Unfall plötzlich im Koma befindet. Wie Dolan, so zeigt die Kamera im 'bobo Stil' unverblümt die ganze Palette der menschlichen Gefühle auf der Kinoleinwand, wie die Liebe, die Freundschaft und den Tod. Unterlegt von dem, was in Sachen Musik gerade rund um den Globus angesagt ist.
Spricht Xavier Dolan mit Frankreich? Oder spricht Frankreich über Xavier Dolan? Lassen wir doch lieber die Fakten für sich sprechen. Denn während die Schar der eben genannten Regisseure immer noch «den Film ihres Lebens» dreht (2010 für Canet, die anderen Filme sind dieses Jahr herausgekommen), hat der junge Mann aus Quebec mit seinen 22 Jahren bereits zwei Filme zu bewerben.
Illustrationen: Homepage (cc)Étienne Ljóni Poisson/flickr; Im Text (cc) Eftihia Stefanidi/flickr ; Video (cc)YouTube
Translated from Xavier Dolan et le cinéma français : amour imaginaire ?