Pussy Riot: Putins höchste Stufe des Zynismus
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Für Andrej Jerofejew ist der Prozess gegen die Punkband Pussy Riot ein Déjà-vu: Der bekannte Kurator für moderne Kunst wurde wegen einer religionskritischen Ausstellung 2010 verurteilt. Hinter der Verurteilung steht laut Jerofejew die Absicht, die zwei wichtigsten Kräfte der Gesellschaft zu entzweien: Die Kirche und die moderne Kultur.
Putin sei Kritik aus dem Ausland völlig egal, das Regime habe die höchste Stufe des Zynismus erreicht.
Herr Jerofejew, vor zwei Jahren standen Sie wegen Ihrer Ausstellung „Verbotene Kunst“ und der „Aufstachelung zu religiösem Hass‟ vor einem Moskauer Gericht. Auch Sie sollten nach Meinung des Staatsanwalts für drei Jahre ins Lager. Haben Sie das Gefühl eines Déjà-vus?
Jerofejew: Nein. Ich habe eher das Gefühl, dass das Verfahren gegen Juri Samodurow und mich ein Test war, bei dem alle Methoden ausprobiert wurden, die jetzt angewendet werden. Gegen uns sagten damals auch „Geschädigte‟ aus, die sich ihre Aussagen vom Ermittler hatten diktieren lassen. Vor Gericht beteuerten sie dann, dass ihre religiösen Gefühle verletzt wurden. Und diese Behauptung erforderte vor Gericht keinen Beweis mehr. Nicht ernst zu nehmende Expertisen, die vor Gericht verwendet wurden, haben wir im Fall „Pussy Riot‟ wieder gesehen.
Sie behaupteten damals, dass hinter dem Verfahren gegen Sie die Kremlverwaltung stand. Dasselbe wird nun über den Fall Pussy Riot behauptet. Was hat der Kreml davon?
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Jerofejew: Diese Art von Gerichtsverfahren dienen einerseits der Rache an ganz konkreten Personen. Aber der Sinn geht noch tiefer: Wladislaw Surkow, dieser machiavellische Strippenzieher im Kreml, der gerade erst zum Beauftragten für die Beziehungen zur Kirche ernannt worden ist, lässt durch Prozesse wie diesen die zwei stärksten geistig-schöpferischen Kräfte der postsowjetischen Zeit, die moderne Kultur und die Kirche, aufeinander prallen.
Und welchen Nutzen zieht er daraus?
Jerofejew: Damit gelingt es dem Regime, die zwei wichtigsten Kräfte der Gesellschaft zu entzweien. Denn die Kirche und die moderne Kultur waren einander zu Zeiten der Perestroika viel näher. Aber im letzten Jahrzehnt ist die Kirche zu einem Ersatz der KpdSU geworden, sie steht jetzt für den reaktionären Kern unserer Gesellschaft, sie nährt die Abneigung gegen den Westen, gegen den modernen Menschen überhaupt. Diese Transformation ist eine direkte Folge der von oben gesteuerten Kollision. Dabei ist Surkow ein sehr zynischer Mensch: Er unterstützt sowohl die Kirche als auch moderne Künstler wie etwa Marat Gelman, um sie dann aufeinander zu hetzen. Die Folge ist eine tiefe Spaltung der Gesellschaft, die es so in den 1990-er Jahren nicht gab.
Aber auch die Kirche bekommt in letzter Zeit Gegenwind.
Jerofejew: Natürlich. Die andere Seite der Medaille ist eine antiklerikale Welle, insbesondere gegen den Patriarchen Kirill und seinen aufwändigen Lebensstil. In letzter Zeit gab es mehrere Skandale, zuerst wegen einer teuren Uhr des Patriarchen, dann wegen seiner riesigen Wohnung im Zentrum Moskaus.
Was sagen sie zum Urteil gegen die jungen Frauen von Pussy Riot?
Jerofejew: Als das Urteil gegen uns gefällt wurde, war Dmitrij Medwedjew an der Macht, er hatte eine Reihe von zurechnungsfähigen Beratern. Jetzt heißt der Präsident Wladimir Putin, und das ganze Verfahren lässt nur einen Schluss zu: Der Kreml will eine maximal unmenschliche Position demonstrieren.
Aber kann dem Kreml die harsche Kritik aus dem Ausland egal sein?
Jerofejew: Der Kreml zeigt mit solchen Verfahren, dass ihm die Kritik aus dem Ausland tatsächlich völlig egal ist. Putin spielt gerne den bösen Jungen, die Rolle gefällt ihm. Und diese fast schon sadistische Motivation unterscheidet das heutige Regime auch vom gebrechlichen Breschnew: Jenes Regime machte damals Fehler, weil es altersschwach war. Das heutige Regime demonstriert, dass es die höchste Stufe des Zynismus und Egoismus erreicht hat.
Und welche Reaktion kann es darauf geben?
Jerofejew: Es muss eine ethische Alternative von Seiten der Opposition geben, eine Alternative gegenüber diesem Zynismus und dem Egoismus. Die Aktion von Pussy Riot sehe ich gerade in diesem Bemühen: Die jungen Frauen wollten zeigen, wie unmoralisch die Nähe der Kirche zum Kreml ist.
Aber haben Sie mit ihrer Aktion die Gesellschaft nicht noch mehr gespalten?
Jerofejew: Das Regime ist erschrocken vor der Aktion von „Pussy Riot‟, weil sie den üblichen Rahmen der Performance eines Künstlers sprengte: Drei junge Frauen rufen im Namen des Volkes die Gottesmutter an, Putin zu vertreiben. Das Video haben innerhalb weniger Wochen mehrere Millionen Menschen gesehen. Und geben Sie jetzt mal in einer Suchmaschine „Gottesmutter‟ ein, dann ist das erste, was erscheint: „Vertreibe Putin.“ So eine Wirkung hatte Kunst bei uns in Russland schon sehr lange nicht mehr! „Pussy Riot“ haben den Raum der Kunst verlassen und sind in den Raum der Kirche eingedrungen. Und eben diese Entgrenzung der Räume hat die Kirche und den Staat so provoziert.
Sie wurden 2010 zu einer Geldstrafe verurteilt. Hatte das Urteil im weiteren Folgen für Sie?
Jerofejew: Natürlich. Damit bin ich vorbestraft, und dazu eine Art Ausgestoßener: Offizielle russische Institutionen wollen nichts mehr mit mir zu tun haben.
Der Autor dieses Artikels, Moritz Gathmann, ist Mitglied des Netzwerks für Osteuropa-Berichterstattung n-ost.
Illustrationen: Teaserbild ©freights for lunch/flickr; Video: (cc)CNN/YouTube