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Pussy Riot-Aktivistin: Freiheit für die „rebellierenden Mösen“

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GesellschaftMind The Gap

Lebe dein Leben mit voller Wucht und sei dabei eine richtige Bitch – so ungefähr lautet die Botschaft von Pussy Riots berühmtestem Mitglied Nadja Tolokonnikowa. Damit andere ihrem Beispiel folgen können, hat die Russin nun ein Buch geschrieben: Anleitung für eine Revolution

Dieses Buch ist Punk. Es ist chaotisch, direkt, schnörkellos. Und ehrlich gesagt: Anfangs doch etwas schwierig zu lesen. Wild gehen die Ereignisse durcheinander, mal ist man im Gefängnis, mal steht das heute legendäre „Punk-Gebet“ von Pussy Riot kurz bevor. Mit Anleitung für eine Revolution hat das wohl berühmteste Pussy Riot-Mitglied Nadeschda „Nadja“ Tolokonnikova eine Art Manifest verfasst – 200 Punkte in sieben Kapiteln. Und lässt man sich erst einmal auf die collagenartige Ansammlung an Lebensweisheiten, Kommentaren und Überlegungen ein, stellt man fest: Ist gar nicht so anstrengend, sondern richtig unterhaltsam!

„Muttergottes, jage Putin weg!“

Die ganze Welt sah zu und war empört, als drei Mitglieder des feministischen Kollektivs Pussy Riot 2012 in einem Pseudo-Prozess wegen „Rowdytums aus religiösem Hass“ verurteilt wurden. Die jungen Frauen hatten – maskiert mit bunten Wollmasken – gegen Wladimir Putins autoritäre Staatsführung protestiert. Ihre Performance des „Punk-Gebets“ in der Christ-Erlöser-Kathedrale dauerte nicht einmal eine Minute – eine Minute, die in die Geschichte einging. „Muttergottes, jage Putin weg“, grölten Pussy Riot, und „Scheiß Scheiß Scheiß des Herrn“. Die Muttergottes jagte Putin nicht weg, stattdessen aber Tolokonnikowa und ihre Mitstreiterin Marija Aljochina ins Gefängnis. Straflager. Seit ihrer Freilassung Ende 2013 setzt sich Tolokonnikowa für menschlichere Bedingungen im russischen Strafvollzug ein und arbeitet im amerikanischen Kalifornien an ihrem ersten englischsprachigen Album. Vor ein paar Wochen ist ein neues Pussy Riot-Video erschienen – professionell produziert, ganz anders als die Guerilla-Kurzauftritte der Truppe, die nur in Form von kurzen, verwackelten Clips auf Youtube existieren.

Trotzdem ist Nadja Tolokonnikowa alles andere als ein Glamour-Girl. Ja, sie war bei Madonna zum Essen eingeladen und hatte einen Gastauftritt in der US-Serie House of Cards – aber im Herzen ist sie Punk geblieben und Anleitung für eine Revolution ist der beste Beweis dafür. Neben lakonischen Feststellungen („Und Gott schuf die Feministin“) finden sich feministische Forderungen („Gender-Normen wirken selbst auf Kinder irritierend – umso mehr sollten sie dich irritieren“) und immer wieder Aufrufe, selbst aktiv zu werden („It’s time to be a real bitch“). Auch Infos über Pussy Riot dürfen nicht fehlen: „Pussy Riot ist wie Sex. Ohne Phantasie betrachtet, wirken beide wie gehirnamputierte Bewegungen.“

Putin ist nur ein Symptom

Besonders lesenswert sind die Passagen, in denen Tolokonnikowa aus ihrer Zeit im Straflager erzählt. Da sind die Mechaniker, die von vielen weiblichen Insassen angeschwärmt werden – denn Männer und Frauen sind im Lager natürlich strikt getrennt. Tolokonnikowa kommentiert trocken: „Der Gang zum Mechaniker endet für so manche mit einer Entbindung im mordwinischen Lagerkrankenhaus Baraschewa.“ Eine Frau sitzt im Gefängnis, weil sie angeblich „während ihres Orgasmus ihren Mann erstochen“ hat. Nadja Tolokonnikowa arbeitet 16 bis 17 Stunden am Tag, hat einen freien Tag im Monat. Das heißt aber nicht, dass sie nicht rebellieren kann. Sie tritt in den Hungerstreik, sie ist aufsässig gegenüber dem Gefängnispersonal. Kurz: Sie gibt sich nicht geschlagen.

Seid nicht so passiv, schreit es einem aus jeder Zeile des Buches entgegen. Macht verdammt nochmal etwas, sitzt nicht nur so herum! Wütend schreibt Tolokonnikowa: „Die Menschen sind nicht bereit, mit voller Wucht zu leben, schön zu leben, so, als lebte man nur einmal, das letzte Mal.“ Und die junge Russin will so leben, genauso, und zwar in Russland. Denn sie liebt ihre Heimat, liebt dieses korrupte, komplizierte Land. Putin, so stellt Tolokonnikowa fest, ist nicht das Hauptproblem – sondern vielmehr ein Symptom. Das wahre Problem ist die russische Gesellschaft, die es sich bequem macht und sich mit den gegebenen Umständen abfindet. Die es einem diktatorisch regierenden ehemaligen KGB-Mann erlaubt, darüber zu bestimmen, wie sie leben. „Unfreiheit ist kein Grund zum Nichtstun und Jammern“, verkündet Tolokonnikowa.

Freiheit für die „rebellierenden Mösen“

Die wichtigste Botschaft von Anleitung für eine Revolution findet sich direkt unter Punkt 1: „Es gibt eine Esskultur, wie es eine Buch- und Filmkultur gibt – und es gibt eine Protestkultur. Sie besteht darin, unbequeme Fragen zu stellen, Zweifel zu äußern, etwas zu verändern“. Nadja Tolokonnikowa muss es wissen. Sie ist gelebte Protestkultur, sie ist der ausgestreckte Mittelfinger. Sie hat unbequeme Fragen gestellt, Zweifel geäußert – und ist dafür im Gefängnis gelandet. Hat sie etwas verändert? Schwer zu sagen. Russland ist immer noch Putins Russland. Aber die „rebellierenden Mösen“ sind wieder in Freiheit und so kampflustig wie nie zuvor. Schadenfreudig notiert Tolokonnikowa: „Hättet ihr uns besser nicht eingesperrt. Selbst schuld: Jetzt werden wir euch nicht so schnell in Ruhe lassen.“

Nadja Tolokonnikowa: Anleitung für eine Revolution, erschienen 2016 im Hanser Verlag.