Prune Antoine: Das Mädchen und der Mudschahed
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Djahar ist angenehm anders. Prune lernt ihn im Sommer an einem Berliner Badesee kennen und beginnt ihm zu folgen. Eine Freundschaft zwischen einer Feministin und einem angehenden Salafisten – 2015 wurde daraus das erste Buch der französischen Journalistin.
Wer sich an dieser Stelle eine seichte Liebesgeschichte zwischen einer jungen, emanzipierten Französin und einem knackigen Salafisten aus dem Kaukasus wünscht, kann sich das Weiterlesen sparen. La fille et le Moudjahidine (Das Mädchen und der Mudschahed), Romandebüt von Prune Antoine, ist alles andere als das. Es ist auch keine dieser zahlreichen Geschichten junger Frauen aus Europa, die nach Syrien verschwinden, um als angehende Dschihadisten-Gattinnen in den Heiligen Krieg zu ziehen. Weit gefehlt.
Prune, freie Journalistin in Berlin, Anfang 30, sonnt sich irgendwann im Sommer 2013 oben ohne an einem Badesee. Djahar, Anfang 20, dessen Familie aus dem Kaukasus nach Deutschland geflüchtet ist, sitzt mit ein paar Freunden unweit von Prune. Sie ist Expat, die im hippen Prenzlberg den wohl beliebtesten Hauptstadtberuf ausübt – 'irgendwas mit Medien'. Er, Asylbewerber, der mehrere Ausbildungen abgebrochen hat und ein „Diplom in internationalem Klarkommen" in der Tasche hat. Auf den ersten Blick haben die beiden rein gar nichts gemeinsam. Außer vielleicht, dass sie beide aus fremden Kulturen stammen. Und dass das Leben sie aus unterschiedlichen Gründen irgendwann mal in Deutschland hat stranden lassen.
„Slivka“ und Clyde
Djahar ist anders. Er ist ziemlich prollig, prahlt mit seiner Leidenschaft für Mixed Martial Arts und nennt seine neue Bekanntschaft liebevoll Slivka (für Pflaume, wie Prune im Französischen). Prune Antoine, die eine gute Geschichte wittert und für frühere Reportagen schon in Djahars Heimatregion gearbeitet hat, ist fasziniert. Sobald sie die erste Nachricht per WhatsApp erhält, begibt sie sich in die Spur: das Duo trifft sich im Berliner Ritz, in der Plattenbausiedlung einer ostdeutschen Kleinstadt, in der Djahar lebt, zum Abendessen mit seiner skeptischen Familie. „Was mich zunächst an ihm interessiert hat, ist sein Integrationsweg… und sein Verhältnis zu Gewalt in einer deutschen, stark überwachten Gesellschaft“, schreibt sie im Vorwort.
Aber irgendwann fängt Djahar an, seinen Bart wachsen zu lassen. Stolz zeigt er Prune das Video der Köpfung des amerikanischen Journalisten James Foley in Syrien. Er möchte jetzt in den Heiligen Krieg ziehen, hängt Stunden vor seinem Computer. In Deutschland hält ihn nichts. Plötzlich scheint ihm das One Way Ticket der einzige plausible Ausweg. Schiss habe Prune aber trotzdem nie gehabt, sagt sie. „Sonst hätte ich aufgehört. Ich bin zwar sehr neugierig, aber auch ein Angsthase.“
Viele hätten auch gefragt, ob zwischen den beiden denn nun etwas gelaufen sei, erzählt Prune. „Menschen haben generell Probleme damit, an eine echte Freundschaft zwischen Mann und Frau zu glauben“, kontert die junge Französin. Genau diese Freundschaft, der ehrliche und frische Umgang miteinander, der sich von den wiedergekäuten Artikeln zur Radikalisierung junger Europäer in der Tagespresse abhebt, und nicht zuletzt Prunes charmante Schnodderigkeit, machen den Charakter der Erzählung aus.
Über die Geschichte von Slivka und Djahar hinaus, ist La fille et le moudjahidine auch ein Blick auf unsere deutsche und europäische Integrationsgesellschaft. Überall in Europa werden fremdenfeindliche Stimmen zunehmend lauter und immer öfter auch in gängige Parteiprogramme gegossen. „Hier in Deutschland werden offen rassistische Kommentare und Aktionen gegenüber Menschen, die anders sind, immer häufiger – oft begleitet von einem ‚das wird man ja wohl noch sagen dürfen‘. Das ist inzwischen Standard bei Pegida, Legida etc.“, so Prune Antoine.
Mehr als über die Religion habe die Freundschaft zu Djahar Prune die Augen über die Schwierigkeit geöffnet, zwei Kulturen unter einen Hut zu bringen. „Wie kann man heute seine Wahlheimat und seine Herkunft versöhnen, ohne dabei total schizophren zu werden?“ Eine Schizophrenie, die Prune auch selbst oft und gern in ihren Artikeln und auf ihrem Blog plumaberlin in den Vordergrund stellt. Vielleicht hat sie sich deshalb schlussendlich und trotz aller Gewissenbisse dafür entschieden, Djahars Geschichte zu veröffentlichen. Denn „diese Djahars sagen eine Menge über unsere westliche Gesellschaft aus, in der wir ihnen anbieten zu leben.“
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