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Pressekonferenz mit Lokalkolorit

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Lisa Crinon

Berlin

Im Rahmen von „Mov(i)e to Berlin“ schicken die cafébabel-Redaktionen in Berlin und Turin jeweils einen ihrer Redakteure zum Filmfestival in die jeweils andere Stadt: Ein Berliner reist zum Torino Film Festival (TFF) und ein Turiner zur Berlinale. Also mache ich mich auf dem Weg nach Turin um zu ergründen, was es mit dem 33. TFF auf sich hat.

Tiefer Eintauchen

Einen Tag nach der Eröffnung des 33. TFF stellt sich die Jury der Hauptkategorien der Presse. Wir sind natürlich vor Ort und freuen uns auf die Gelegenheit, tiefer in die Festivalgeschehnissen einzutauchen.

An der richtigen Adresse und pünktlich – was eine Menge Organisationstalent erfordert hat – betrete ich das Gebäude der Rai (Radiotelevisione italiana), wo die Konferenz stattfinden soll. Vor dem Eingang steht eine Gruppe Hippies, sympathisch und bunt. Ich muss lachen bei dem Gedanke, wie gut die Truppe in Berlin und insbesondere bei der Berlinale aufgehoben wäre. Vielleicht werden während des TFF die Subkulturen der Stadt umso sichtbarer. Bei der Berlinale ist es nicht anders.

Ich bin sieben Minuten zu früh und gerade dabei, mich erstens dafür zu feiern und mir zweitens den Kopf darüber zu zerbrechen, wie ich diese Zeit wertvoll nutzen könnte, als die Hippies das Rai-Gebäude betreten und durch eine Horde von Journalisten und weiteren Personen – von Assistenten bis zu Managern – verfolgt werden. Die Foto-Apparate fangen an zu knipsen und zu blitzen, während die Hippies-Truppe sich vor dem TFF-Aufsteller formiert. Nun wird es mir verraten: Es handelt sich um die Jury-Mitglieder, darunter den berühmten italienischen Schauspieler Valerio Mastandrea, Präsident der Jury. „Mein Liebling“, versichert mir Paulo, der Fotograf, und strahlt vor Glück.

Bald werden wir in den Saal gebeten – ich bin immer noch verblüfft, so nah an diesen Berühmtheiten herangekommen zu sein. Und es wird noch besser. Die Konferenz fängt an. Aus lauter Euphorie muss ich wohl die Kopfhörer für die Übersetzung übersehen haben, denke ich, denn im Saal ertönt alles, was sich wie wichtige Informationen anhört, ausschließlich in Italienisch. Schnell renne ich zu einer der Hostessen, die freundlich ihren Kopf schüttelt: „Nein, keine Übersetzung vorgesehen“. Gut, dass ich Paulo dabei habe, der nicht nur fotografieren, sondern auch ein paar europäischen Sprachen sprechen kann – neben eine Menge andere Talente.

Bunte Truppe

Auf dem Podium fängt die Vorstellungsrunde an: Marco Cazzato, italienischer Illustrator; Valerio Mastandrea, nicht nur Liebling von Paulo, sondern auch etablierter Film- und Theaterschauspieler in Italien, der unter anderem durch Kooperationen mit Nanni Moretti bekannt wurde; Corin Hardy, der Film- und Musikvideoregisseur, welcher der Jury eine dunkle Note aus Großbritannien hinzufügt. Ebenfalls aus Großbritannien ist Josephine Decker, eine junge Filmregisseurin und die einzige Frau in der Jury. Und nun, hinten links, der deutsche Vertreter, Jan Ole Gerster, Regie-Assistent bei „Goodbye, Lenin!“ (2003) und dann Regisseur von „Oh Boy“ (2012). Eine bunte Truppe.

Die Fragerunde geht los. Und mit Paulo an meiner Seite – meinem inoffiziellen Übersetzungsservice – bin ich guter Dinge, die Hauptinformationen mitzubekommen. Jurypräsident Valerio Mastandrea freut sich, „als Jurymitglied Filme nicht unter dem lukrativen Aspekt beurteilen zu müssen“. Dementsprechend sieht er seine Pflicht darin, jeden Film im Wettbewerb zu bewerten, unabhängig davon, ob er ihn selbst mag oder nicht. Ob er als Jurypräsident bei der Bewertung mehr Gewicht habe als die anderen, lautet eine Frage. Für Mastandrea besteht seine Sonderstellung eher darin „der Erste in der Mailingliste zu sein“ – und sorgt damit für kollektives Gelächter. Die Stimmung im Saal ist angenehm locker, auch dank der diversen Anekdoten der Jurymitglieder zum italienischen Rotwein. Josephine Decker ihrerseits betont die Plattform, die das Torino Film Festival weiblichen Künstlern gibt: „Ich freue mich besonders, Zeugin des Aufblühens neuer Energien zu sein“, sagt sie und bezieht sich damit auf den Fokus des TFF auf junge Regisseure. Für Jan Ole Gerster „ist es merkwürdig, als Regisseur Filme von anderen zu bewerten“. Nach ein paar Hin- und Hers kommen keine weiteren Fragen aus dem Publikum, auch von Paulos Seite aus erschöpft sich langsam der Informationsfluss. Applaus.

Wichtig ist der persönliche Bezug

Noch steht er da, freundlich und, wie mir scheint, zugänglich, also nehme ich meinen Mut zusammen und Paulo mit, um Jan Ole Gerster direkt anzusprechen: Ob er ein paar Minuten Zeit hätte für ein Interview? Gerster spricht kurz mit seiner Managerin und nickt uns fröhlich zu. Er ist ungefähr so groß wie ich klein bin, doch in der Mitte treffen wir uns und finden schnell eine gemeinsame Ebene. Der Hagener zeigt sich offen und unvoreingenommen, bald sind wir per Du.

Ich möchte wissen, ob er sich in Turin in einem bekannten Umfeld bewegt. Nein, es ist sein erstes Mal und wie immer in solchen Fälle ist die Vorfreude so große wie der Optimismus. Neben dem dichten Filmprogramm, wofür er nach Turin berufen worden ist, möchte Gerster auch noch die Stadt erkunden und „spontan durch die Straßen laufen“.

Nun zu seiner Position als Jurymitglied: Ich frage ihn, was seine Kriterien für einen guten Film sind. „Dies ist nicht dogmatisch einzugrenzen“, lautet Gersters Antwort, „aber ein gewisses Risiko muss erkennbar sein“. Für den deutschen Filmemacher soll ein gelungener Film auf seine Art einzigartig sein oder persönlich, „man muss erkennen, dass sich der Regisseur auf die Suche begeben hat“. Gerster selbst hat kein präferiertes Genre, auch bei Musik nicht, „ich versuche, offen für alles zu bleiben“. Und weil es sonst in seine Bewertung hineinfließen könnte, setzt er sich auch nicht mit dem Regisseur auseinander, bevor er sich einen Film ansieht. Der persönliche Bezug muss allein durch das Werk entstehen.

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