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Polen: Mein Bauch gehört mir!

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GesellschaftPolitik

In Polen hat die katholische Rechte vorgeschlagen, das Recht auf Leben „ab der Empfängnis“ in die Verfassung aufzunehmen. Doch der Vorschlag stößt auf Widerstand.

Während des Kommunismus war die Abtreibung in Polen legal. Das änderte sich erst zu Beginn der 90er Jahre. Bis heute gilt das Gesetz aus dem Jahr 1993 zur Familienplanung, dem Schutz von Embryonen und zu den Voraussetzungen eines Schwangerschaftsabbruchs. Eine Abtreibung ist in Polen nur dann zulässig, wenn sie aus medizinischen Gründen notwendig ist oder wenn die Schwangerschaft das Ergebnis einer Vergewaltigung ist. Dennoch bleibt es äußerst schwierig, die Genehmigung für eine Abtreibung zu bekommen.

Abtreibung im Untergrund

Dass die offizielle Zahl der Eingriffe sehr niedrig ist (193 Abtreibungen 2004, 225 im Jahre 2005), resultiert aus der Weigerung staatlicher Krankenhäuser, Abtreibungen durchzuführen. Ihr Vorwand: die Gewissensklausel. Gleichzeitig sprechen inoffizielle Statistiken von 80 000 bis 200 000 durchgeführten Eingriffen, die im „Abtreibungsuntergrund“ vorgenommen werden oder in Privatpraxen stattfinden. Die Ärzte, die die Eingriffe durchführen, beruhigen ihr Gewissen erfolgreich mit dem Ausblick auf ein mittelmäßiges Gehalt.

„Wenn ich ungewollt schwanger würde, müsste ich aus Polen ausreisen oder hier mein Leben gefährden und versuchen, damit fertig zu werden. Und ich bin in einer komfortablen Situation, weil ich die finanziellen Mittel für eine Abtreibung im Ausland hätte“, sagt Anna, 32jährige Aktivistin des Vereins für Frauenbelange und Familienplanung.

Im Februar 2006 wurde zum ersten Mal vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg die Klage einer Polin verhandelt. Sie war zur Aufrechterhaltung der Schwangerschaft gezwungen worden, obwohl sie eine ernsthafte Krankheit hatte. Durch die Schwangerschaft war die Klägerin Invalidin geworden.

Familienfrieden gegen Frauenrechte

Das Abtreibungsverbot hat nicht nur eine ideologische Dimension, sondern angesichts pessimistischer demographischer Prognosen auch eine sehr pragmatische. Es mangelt nicht an Frauen, die die Mutterschaft als die grundlegende und natürliche Berufung der Frau und als ihre gesellschaftliche Aufgabe ansehen. „Warum sind unsere Möglichkeiten, eine größere Anzahl Kinder zu bekommen und zu erziehen begrenzt?“ fragten Mitglieder des „Forums polnischer Frauen“ in einem Brief aus Anlass des Frauentages am 8. März 2005. Die Abgeordnete Elbieta Kruk erinnerte die Parlamentarier daran, dass „der wirkliche Aufstieg der Frau die Anerkennung der Gesellschaft fordert – für ihre Aufgabe als Mutter und für ihre Rolle in der Familie.“

Viele Polen nehmen diese Politik dennoch als eine persönliche Bedrohung wahr: „Es ist entsetzlich: Die Leute aus der „Liga Polnischer Familien“ und „Recht und Gerechtigkeit“ sowie die meisten Kerle wollen Recht haben und über andere bestimmen!“ empört sich die 28jährige Soziologin Patricia. „Ich verstehe, dass man sich vor tausend Jahren noch nicht über die religiöse und kulturelle Vielfalt im Klaren war. Aber heutzutage?“

Die Abtreibungsfrage spaltet die polnische Gesellschaft

„Bäuche vergesellschaften!“ antworteten die Schöpfer des Anti-Abtreibungsgesetzes, als vor dem polnischen Parlament Frauen für ihr Recht auf Abtreibung protestierten. Mit Parolen wie „Unsere Körper, unser Recht“ oder „Mein Bauch gehört mir“ sorgen die Verfechterinnen des Rechts auf Abtreibung in Polen für einiges Aufsehen.

Die Abtreibungsfrage spaltet die polnische Gesellschaft. Die Anhänger der Freiheit und des Individualismus stehen den Verfechtern „höherer moralischer Integrität“ gegenüber. Diejenigen Polen, welche die Familie als Zentrum der Gesellschaft ansehen, tendieren zur Sichtweise der katholischen Kirche. Sie stellt das gemeinsame Gut über die Interessen und das Recht des Individuums.

Die Gegner des Rechts auf Abtreibung sind ebenso zahlreich wie ihre Verfechter. Die Umfragen des Meinungsforschungsinstituts CBOS aus dem Jahr 2006 haben ergeben, dass ebenso viele der erwachsenen Polen dafür, wie dagegen sind (jeweils 44 Prozent), der Frau das Recht auf eine Abtreibung in den ersten Wochen der Schwangerschaft zuzugestehen. Noch im Jahr 2005 lag die Unterstützung für Abtreibungen bei 57 Prozent. Gesellschaftliche oder persönliche Gründe entscheiden nur in den Augen jedes fünften Bürgers über die Voraussetzungen von Abtreibung. 76 Prozent der Befragten haben aber Verständnis dafür, wenn durch eine Abtreibung die Gesundheit der Frau geschützt wird.

Im Schatten der Tagespolitik

Die Stimme der Kirche, wenn auch nach wie vor mächtig, ist in dieser Angelegenheit nicht bestimmend. Die Diskrepanz zwischen der Meinung der Kirchengelehrten und den allgemeinen Praktiken des Gesellschaft wächst: Zu groß ist der Widerspruch der Kirche, die sich für den Schutz von Embryonen einsetzt und gleichzeitig das Recht der Frauen auf Abtreibung missachtet und eine traditionelle Vision von Mutterschaft und Elternschaft für die Berufung des Menschen hält.

Wichtiger ist jedoch, dass die Leute des Themas müde sind. Nach einer jahrelangen fruchtlosen Debatte bleibt die Abtreibungsfrage im Schatten der gegenwärtigen politischen Ereignisse. Laut CBOS stufen 42 Prozent der Polen die Abtreibungsfrage als zweitrangiges Problem ein. „Mehr Kinder sind zum Marsch gegen den Rechtsextremen Bildungsminister Giertych gekommen als Frauen auf die letzte Demo gegen die Pläne, das Abtreibungsrecht zu verschärfen“, bedauert Anna und fügt hinzu: „Ja, ich gehe zur Manifa! [jährlich stattfindende Demonstration von Feministinnen; Anm. d. Red.]“ Anna hofft, dass sie auf diese Weise einen Teil der Öffentlichkeit für ihre Forderungen sensibilisieren kann: „Die Gesellschaft ist so abgestumpft.“

Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, dass eine Revolution in der Abtreibungs-Frage nicht zu erwarten ist. Demonstrative Gesten und Worte können den Rückwärtstrend sogar noch beschleunigen. Die Bemühungen der Anhänger der Liberalisierung seien sinnvoll, sobald sie sich auf „die Arbeit von der Basis, von ganz unten konzentrieren“, stellt Marta von der Frauenstiftung Oka fest.

Geht man davon aus, dass die Sprache das Denken bestimmt, kann es allerdings noch lange dauern, bis in Polen die Abtreibung legalisiert wird: Die polnische Sprache kennt nach wie vor nur einen Ausdruck für „Embryo“: „Das Kind, das empfangen wird“.

„Der illegale Markt für Abtreibungen ist in Polen sehr groß“

Drei Fragen an Wanda Nowicka, Vorsitzende des polnischen Vereins Für die Sache der Frau.

Frau Nowicka, was ist für Frauen, die abtreiben wollen, das größte Problem?

Die Ärzte in Polen stellen eine sehr große Hürde dar, um legal einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen. Das belegen die offiziellen Statistiken. Viele Ärzte wollen keinen legalen Schwangerschaftsabbruch vornehmen, da sie in den öffentlichen Krankenhäusern lieber die Rolle der Moralisten übernehmen, die sich nach der Gewissensklausel richten. Gleichzeitig jedoch nehmen sie illegal Schwangerschaftsabbrüche gegen Geld vor. Dieser illegale Markt ist sehr groß. Die Frau kann nirgends Beschwerde einlegen, wenn der Arzt den Eingriff verweigert. Letztlich verzichtet sie auf die Abtreibung oder macht sie illegal.

Hat die katholische Kirche beim Thema Abtreibung Einfluss auf die Einstellung der Gesellschaft?

Die Kirche ergreift nicht nur das Wort, sie spielt sogar eine sehr große Rolle. Das Abtreibungsverbot von 1993 wurde in Polen unter riesigem Druck der Kirche eingeführt. Diese achtet auch darauf, dass der Zugang zu Verhütungsmitteln auf keinen Fall erleichtert wird. Sie protestiert auch immer gegen jegliche Versuche, Sexualunterricht in Schulen einzuführen.

Fahren polnische Frauen ins Ausland, um die Abtreibung dort vornehmen zu lassen? Wo ist diese legal?

Ein Teil der Frauen fährt ins Ausland. Jedoch macht unserer Ansicht nach der größte Teil der Frauen Gebrauch von illegaler Abtreibung in Polen, vor allem wegen des einfacheren Zugangs und der Nähe. Die Preise sind aber mit denen in westlichen Ländern vergleichbar. Es ist eine bestimmte Gruppe polnischer Frauen, die im Ausland abtreiben lassen. Es sind häufiger diejenigen, welche in Grenznähe wohnen und Kontakt zum Nachbarland haben. Für sie ist das kein unbekanntes Land. Im Regelfall sind das wohlhabende und gebildete Frauen, für die es kein Problem darstellt, über das Internet ein Krankenhaus in Holland zu finden und die Abtreibung mit einem Erholungsurlaub zu verbinden.

Das Interview führte Inga Pietrusiska – Übersetzung: Patricia Krolik

Translated from Mój brzuch należy do mnie!