Polen in London: Viel Arbeit, wenig Geld
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Seit der EU-Osterweiterung vor zwei Jahren kamen 360 000 Polen zum Arbeiten nach Großbritannien.
Als die Europäische Union im Mai 2004 um zehn Staaten erweitert wurde, öffneten nur Großbritannien, Irland und Schweden ihren
Arbeitsmarkt für Zuwanderer aus Osteuropa. Seitdem sind offiziellen Angaben zufolge mehr als eine halbe Millionen Osteuropäer nach
Großbritannien eingewandert. Allein an Polen vergab das britische Home Office (Innenministerium) 360 000 Arbeitsgenehmigungen. Hinzu kommen selbstständige Unternehmer, die keine Arbeitserlaubnis benötigen und Schwarzarbeiter, die sich nicht um Dokumente bemühten. Experten schätzen die wirkliche Anzahl von Polen in Großbritannien daher auf über 700 000.
Single-Partys für Polen
In London hat sich seit der Erweiterung der EU eine prosperierende polnische Infrastruktur gebildet. Für die Zuwanderer gibt es zwei polnische Radiosender, eine Tageszeitung und drei wöchentlich erscheinende Magazine. Es gibt Single-Partys für Polen, polnische Kulturzentren und Gottesdienste auf Polnisch. Neben dem im Osten gelegenen Stadtteil Hammersmith, der bereits seit Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts durch polnische Immigration geprägt ist, sind es vor allem die im Süden Londons gelegenen Viertel Ballham und Tooting, in denen heute große polnische Gemeinden leben.
In Tooting befindet sich auch das Polskie Centrum, das für viele polnische Immigranten eine erste Anlaufstation ist. Die 36jährige Ewa Manno ist schon seit neun Jahren in Großbritannien und hat im Jahr 2002 das Zentrum gegründet. Seitdem habe sich viel geändert, sagt sie. "In den Jahren 2002 und 2003 hatten wir nicht sehr viel zu tun. Es war für Polen sehr kompliziert, überhaupt eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen, geschweige denn eine Arbeitserlaubnis. Mit der Osterweiterung der EU im Mai 2004 ist es dann regelrecht explodiert. Innerhalb weniger Wochen hatten wir zehnmal so viele Kunden und seitdem werden es immer mehr."
Ressentiments und Beschimpfungen
Über achtzig Prozent der polnischen Zuwanderer sind zwischen 18 und 32 Jahre alt und oft sehr gut ausgebildet. Allerdings sprechen die meisten
von ihnen nur sehr schlecht Englisch. Ewa Manno kennt viele Fälle von Akademikern, die anfangs als Bedienung in einem Café oder als Maurer
arbeiten. "Wenn sie die Sprache dann aber beherrschen, bekommen sie auch die Chance auf einen besser bezahlten Bürojob." Allerdings weiß Ewa Manno auch von einer Zunahme an Ressentiments und Beschimpfungen zu berichten. "Die Beziehungen zwischen Briten und Polen waren vor zwei Jahren besser. Für wenig Geld haben Polen sehr gute Arbeit auf dem Bau oder in Fabriken geleistet. Jetzt wollen einige von ihnen bessere Jobs und etwas mehr Geld. Die Briten realisieren, dass der Zustrom anhält und viele auch bleiben wollen. Das schürt bei einigen Angst."
Das Thema Immigration ist in der britischen Gesellschaft ein Dauerbrenner. Während die Labour-Regierung unter Tony Blair auf den Beitrag der Zuwanderer zum Wirtschaftswachstum verweist, werfen ihr Oppositionsparteien vor, die Kontrolle verloren zu haben. Allerdings führte die Regierung anlässlich der im Januar dieses Jahres erfolgten EU-Erweiterung für die
Bürger der neuen Mitgliedstaaten Rumänien und Bulgarien Zulassungsbeschränkungen ein.
Qualifiziert, jung, belastbar
Die 23jährige Monika Gorska ist vor neun Monaten nach London gekommen. Momentan arbeitet sie für eine Marketingfirma. Wenn sie genug Geld
gespart hat, möchte sie eine Wohnung kaufen – in London. Nach Polen will sie so schnell nicht zurück. "Solange die Kaczynski-Brüder noch an der Macht sind, bleibe ich auf jeden Fall hier in England. Die leben doch in der Vergangenheit und schauen immer nur zurück und nie nach vorne. Die Regierung sollte endlich mal die wirtschaftliche Situation verbessern." Zwar ist die polnische Wirtschaft auch dank üppiger EU-Gelder im Jahr 2006 um fast sechs Prozent gewachsen, allerdings liegt die Arbeitslosigkeit immer noch bei fünfzehn Prozent, der höchste Wert in der EU. Bei den unter 25jährigen beträgt die Erwerbslosenquote sogar über 25 Prozent. Auch das ist Negativrekord.
Ginge es nach Alex Christie, dem Direktor der Recruitment Agentur energi, sollten möglichst noch mehr Polen nach Großbritannien einwandern. "London und der Rest des Landes braucht gut ausgebildete Arbeiter. Die
Polen sind bestens qualifiziert, jung und belastbar. Und sie arbeiten für weniger Geld." Auch Ruth Saunders, die als Personalvermittlerin bei der Supermarktkette Waitrose arbeitet, ist auf der Suche nach Verkäufern und Lagerarbeitern.
Zurück in die Heimat
"Die meisten Briten wollen solche Jobs einfach nicht mehr machen. In einigen unserer Filialen beträgt der Anteil polnischer Arbeiter über
vierzig Prozent." Die meisten seien glücklich, für den gesetzlichen Mindestlohn von 5,30 Pfund (7,73 Euro) pro Stunde zu arbeiten. Das Vierfache dessen, was man in Polen für einen
vergleichbaren Job bekommt.
Viele polnische Arbeiter bekommen aber noch nicht einmal den gesetzlichen Mindestlohn ausgezahlt. Trish Raftery ist Londoner Regionalleiterin der Gewerkschaft TUC (Trades Union Congress). Sie gibt zu bedenken,
dass Mindestlöhne oft nicht eingehalten werden. "Uns sind Fälle bekannt, wo Polen für zwei oder drei Pfund pro Stunde gearbeitet haben. Viele melden sich nicht offiziell an, da sie überhaupt nicht wissen, dass sie das tun müssen."
Wie viele Polen langfristig in Großbritannien bleiben wollen, weiß niemand. Das Home Office geht in seinen Schätzungen davon aus, dass mehr als die Hälfte der polnischen Einwanderer nach weniger als zwei Jahren wieder ausreisen. Einer der zurück will, ist der 22jährige Andrzej Stasko. Seit vier Wochen ist er im Land und verteilt Flyer für eine Umzugsfirma vor dem Rathaus in Hammersmith. "Hier geht es doch nur ums Geld. Als Mensch, zähle ich hier überhaupt nichts", klagt er. Sobald er genug verdient habe, werde er sich eine Wohnung kaufen – in Krosno, rund zweihundert Kilometer östlich von Krakau.