Piratin Julia Reda: „Geheimdienste abschaffen!“
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Julia Reda ist mit 27 Jahren Spitzenkandidatin der deutschen Piratenpartei für die Europawahl im Mai. Sie redet über ihren steilen Aufstieg, ihre junge Partei und den Friedensnobelpreis. Gerade ist die Drei-Prozent-Sperrklausel für die Wahl des europäischen Parlaments gekippt. Für kleinere Parteien in Deutschland ist damit der Weg ins EU-Parlament frei.
Café Babel: Warum wart ihr gegen die Drei-Prozent-Hürde bei der Wahl zum Europäischen Parlament? Habt ihr Angst zu verlieren?
Julia Reda: Nee, es ist eine ziemlich krasse Geschichte, wie die Drei-Prozent-Hürde zustande gekommen ist. Das Bundesverfassungsgericht hat 2011 die Fünf-Prozent-Hürde für verfassungswidrig erklärt. In seiner Urteilsbegründung hat es bekannt gegeben, dass es keine Rechtfertigung für eine Hürde jeglicher Art gibt, solange die Arbeitsweise des Parlaments sich nicht ändert.
CB: Du bist mit 16 in die Politik eingestiegen. Was hat dich da erwartet?
JR: Ich bin mit 16 in die SPD eingetreten, aber da hatte ich das Gefühl, politisch nicht so viel ausrichten zu können. Da wurde ich immer auf Podien gestellt und es wurde gesagt: „Seht her, wir haben auch junge Mitglieder“. Gerade bei Debatten über die Internetsperren, hatte ich den Eindruck, dass man als junges Mitglied auch mit guten Argumenten nichts ändern kann. Kurze Zeit nachdem ich bei der SPD ausgetreten bin, wurde ich dann Piratin.
CB: Das führt aber auch dazu, dass jeder macht, was er will. Oder wie findest du das Interview mit Christopher Lauer (Abgeordneter des Abgeordnetenhauses in Berlin) mit der Taz, in dem er die Fragen einfach „blöd“ findet?
JR: Ich meine Christopher Lauer ist ein gewählter Abgeordneter und er kann natürlich machen, was er will. Ich glaube, dass hat nichts mit den Strukturen der Partei zu tun. Ich glaube, dass ist Christopher Lauers Stil. Leute, die gegenüber der Presse eher arrogant auftreten, gibt es auch in anderen Parteien.
CB: Warum engagierst du dich für europäische Politik? Das interessiert ja nicht so viele Leute.
JR: Wir müssen klarmachen, dass unsere Themen etwas mit dem Alltag der Bürger zu tun haben. In Deutschland ist die Hälfte der YouTube-Videos gesperrt. Deshalb brauchen wir einen digitalen Binnenmarkt. Wir brauchen auch ein europäisches Urheberrecht. Von den Erstwählern in Deutschland gehen 30 Prozent zur Europawahl, wir müssen denen erzählen, was Politik mit ihrem Leben zu tun hat.
CB: Was hat die Piratenpartei gegen die Überwachung der NSA vorzuschlagen?
JR: Ich glaube, dass das europäische Internet, wie es Merkel und Hollande vorschlagen, der falsche Weg ist. Wir dürfen nicht die internationale Struktur des Internets in Frage stellen, so wie es Iran oder China machen. Das wird auch nichts gegen die Überwachung bringen, denn der Bundesnachrichtendienst und der GCHQ tauschen Daten mit der NSA aus. Wir müssen feststellen, dass Geheimdienste in der EU nicht mehr demokratisch kontrolliert werden und sie dementsprechend abschaffen.
CB: Mag die Piratenpartei Edward Snowden auch so gerne wie Christian Ströbele?
JR: Ja, die zwei schwedischen Abgeordneten im Europa-Parlament und die isländischen Abgeordneten der Piratenpartei, haben mit anderen Politikern, Edward Snowden und Chelsea Manning für den Friedensnobelpreis nominiert. Ich finde die Nominierung richtig eine gute Sache, denn Snowden und Manning haben den Leuten ein Stück demokratische Kontrolle zurückgegeben. In einer Demokratie kann man sich nur selbst regieren, wenn man Informationen darüber hat, was die Regierung und die Geheimdienste tun.
CB: Was folgt daraus?
JR: Ohne Transparenz des Staates, kann es keine Demokratie geben. Deshalb ist Whistleblowing in dem Moment, wo Geheimdienste sich selbstständig machen und Dinge tun, die nicht legitimiert sind, notwendig. Nur so können wir überhaupt von einer demokratischen Gesellschaft sprechen. Insofern kann man Edward Snowden nur danken und hoffen, dass er viele Nachahmer findet.
CB: Habt ihr eigentlich auch andere Themen außer Internetsperren und digitalem Binnenmarkt?
JR: Wir haben ein gemeinsames europäisches Wahlprogramm der Piratenpartei. Unsere Forderungen laufen unter dem Slogan „Europa grenzenlos“. Wir wollen auf allen Ebenen der Gesellschaft Grenzen abbauen, nicht nur im Internet, sondern auch was die Freizügigkeit in der EU angeht. Wir wollen auch das Asylrecht erleichtern und gegen jegliche Versuche, die Freizügigkeit der Rumänen und Bulgaren einzuschränken, vorgehen.
CB: Das wollen ja die meisten Parteien. Was macht die Piraten also besonders?
JR: Es geht im Informationsfreiheit: Die Freiheit, das Informationen des Staates frei zur Verfügung stehen. Allgemeiner geht es uns um eine Demokratisierung der EU. Wir wollen mehr europäische Entscheidungsfindung, also das Initiativrecht für das europäische Parlament. Wir wollen aber auch die europäische Bürgerinitiative ausbauen, sodass Bürger in Europa Gesetzgebungsverfahren in Gang bringen können.