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Phubbing: Todsünde oder multi tasking?

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BerlinLifestyle

Im di­gi­ta­len 21. Jh. scheint ein Ge­spräch ohne pie­pen­den Drit­ten kaum mehr mög­lich: Dank Smart­pho­nes kön­nen wir Fak­ten che­cken, ein lus­ti­ges Video vor­spie­len, mal schnell bei Face­book vor­bei­schau­en oder unter dem Tisch un­se­re neue Flam­me stal­ken. Ist das die neue Unhöflichkeit?

Die Kaf­fee­ma­schi­ne surrt leise vor sich hin, Tel­ler mit Spätz­le wan­dern von der Küche in den Saal und über allem liegt das wei­che Licht des Ber­li­ner Früh­herbs­tes. Wer im Café A.​horn im Ber­li­ner Hips­ter­pa­ra­dies Kreuz­berg auf­schlägt, hat ganz si­cher auch sein Smart­pho­ne oder Ta­blet dabei. Dem­entspre­chend ist es auch wenig ver­wun­der­lich, dass die meis­ten Cafébe­su­cher fast pau­sen­los auf das glän­zend ge­sichts­lo­se Dis­play ihres iPho­nes schau­en, sanft tip­pend seine Ober­flä­che be­ar­bei­ten oder an­ge­sichts eines lus­ti­gen Posts ver­schüch­tert lä­cheln. So weit, so un­auf­re­gend. Säßen den meis­ten die­ser Smart­pho­ne­be­sit­zer nicht Wesen aus Fleisch und Blut ge­gen­über, die wahl­wei­se an ihrem Kaf­fee nip­pen, Lö­cher in die Luft star­ren, tap­fer durch­re­den oder mit ihrem ei­ge­nen Handy spie­len. Der par­tei­ische Be­ob­ach­ter – denn in ent­spre­chen­den Si­tua­tio­nen schla­gen wir uns immer auf die Seite des ver­nach­läs­sig­ten Ge­sprächs­part­ners – muss sich fra­gen: Gibt es in der di­gi­ta­len Mo­der­ne keine Café-Ma­nie­ren mehr oder ist das ein­fach nur multi tas­king?

Alex Haigh, ein 23-jäh­ri­ger Col­le­ge­stu­dent aus dem aus­tra­li­schen Mel­bourne, ten­diert zu ers­ter Auf­fas­sung. Die zwang­haf­te Smart­pho­ne­fi­xie­rung sei­ner Kom­mi­li­to­nen und Freun­de regte ihn im Som­mer 2013 dazu an, eine An­ti-Phub­bing-Kam­pa­gne zu star­ten. Phub­bing, ein Kof­fer­wort aus phone und snub­bing, hat seit­dem im Netz eine ge­wis­se Prä­senz er­langt. Die Web­sei­te der An­ti-Phub­bing-Kam­pa­gne ist dabei so pas­tel­lig wie ein Cup­ca­ke, ganz im Ge­gen­satz zu den auf ihr ver­brei­te­ten Hi­obs­bot­schaf­ten: „Stell dir die Pär­chen der Zu­kunft vor, die sich nur noch an­schwei­gen. Be­zie­hun­gen, die nur von Sta­tus-Up­dates leben. Un­se­re Fä­hig­keit, zu reden oder di­rekt zu kom­mu­ni­zie­ren, wird voll­kom­men ver­schwun­den sein.“ So schlimm sei die Phub­bing-Seu­che mitt­ler­wei­le, dass mo­der­ne Knig­ge-Ex­per­ten in ihr den Grund für den „Un­ter­gang un­se­rer Zi­vi­li­sa­ti­on“ aus­ge­macht hät­ten.   

Vor­sicht phub­bing! Das Ende der Welt ist nah

Wäh­rend die Slo­gans und Sta­tis­ti­ken der An­ti-Phub­bing-Lob­by nicht so ernst ge­nom­men wer­den müs­sen, han­delt es sich bei dem Phä­no­men doch um ein wach­sen­des so­zia­les Ge­schwür. Im di­rek­ten Ge­spräch sagen nur we­ni­ge von sich, noch nie ge­phubbt wor­den zu sein, und nur selbst­ver­lieb­te Char­me­bol­zen und so­zia­le Eis­bro­cken sind nicht aus­drück­lich gegen schlech­te mo­bi­le man­ners. Sig­rid, Künst­le­rin und Wahl­ber­li­ne­rin, die an die­sem Nach­mit­tag auch im A.​horn sitzt, weist dar­auf hin, dass sie ihr Handy immer auf laut­los stel­le, bevor sie zu einer Ver­ab­re­dung ins Café gehe. Be­son­ders schreck­lich finde sie Män­ner, die sogar wäh­rend eines Ren­dez­vous nicht von ihrer smar­ten Er­satz­ge­lieb­ten las­sen kön­nen: „Zu­erst frage ich sie, ob meine Ge­gen­wart denn so lang­wei­lig sei. Wenn sie dann ver­blüfft schwei­gen, weise ich sie auf ihr Handy hin und sage: 'Wenn das der Fall ist, muss ich lei­der gehen'.“ Spä­tes­tens dann pack­ten fast alle ihr Smart­pho­ne in die Ta­sche.

Grün­de für diese Smart­pho­ne­fi­xie­rung könn­te man viele an­füh­ren: eine auf ein Mi­ni­mum re­du­zier­te Kon­zen­tra­ti­ons­span­ne, die Sucht nach Ab­len­kung und En­ter­tain­ment, un­be­wusst er­lern­te Re­fle­xe, di­gi­ta­ler Kon­troll­zwang, Ner­vo­si­tät oder so­zia­le Aus­weich­ma­nö­ver. So un­ver­ständ­lich sind die Ur­sa­chen für Phub­bing ei­gent­lich nicht, schließ­lich sind wir oh­ne­hin in Ge­dan­ken immer wo­an­ders – und das nicht erst seit der Er­fin­dung des Web 2.0. Unser Ge­hirn springt stän­dig zwi­schen voll­kom­men un­ter­schied­li­chen Sin­nes­wahr­neh­mun­gen, Ge­dan­ken, Er­in­ne­run­gen und Emp­fin­dun­gen herum, oft un­ge­fil­tert und ohne un­mit­tel­ba­re Logik. Um das zu ver­ste­hen, muss man nicht erst Schwer­ge­wich­te der stream of con­scious­ness Li­te­ra­tur wie James Joyce oder Vir­gi­nia Woolf lesen. Da man durch Stirn und Schä­del­de­cke glück­li­cher­wei­se nicht hin­durch­se­hen kann, fällt so gut wie nie auf, dass wir stän­dig in Ge­dan­ken ab­wan­dern. Das Pro­blem der Smart­pho­nes aber ist es, dass sie unser hek­ti­sches Ge­dan­ken­ka­rus­sell ver­ra­ten. Und damit sind wir un­höf­lich.

Smar­te Freund­chen und echte Men­schen

Tim, der ur­sprüng­lich aus Ir­land kommt, aber Paris zu sei­ner zwei­ten Hei­mat ge­macht hat, regt die ganze De­bat­te we­ni­ger auf: „Phub­bing ist so pein­lich und un­ele­gant wie Nä­gel­kau­en oder sich Krat­zen. Wenn Phub­ber sich nicht hin­ter ihrem Smart­pho­ne ver­steck­ten, wären sie si­cher auf an­de­re Weise un­char­mant.“ Auch das stän­di­ge Ge­re­de von feh­len­der kom­mu­ni­ka­ti­ver Kom­pe­tenz fin­det Tim über­trie­ben: „Han­dys sind doch zum Kom­mu­ni­zie­ren da. Es ist also ein biss­chen heuch­le­risch, wenn wir sagen, dass wir das Kom­mu­ni­zie­ren ver­lernt hät­ten, nur weil wir so viel Zeit damit ver­brin­gen, auf neue Weise zu kom­mu­ni­zie­ren.“ Das Ende jeg­li­cher Kom­mu­ni­ka­ti­on von An­ge­sicht zu An­ge­sicht läu­tet Phub­bing si­cher nicht ein – eher die An­kunft einer Welle mo­der­ner Men­schen, die das di­gi­ta­le Nä­gel­bei­ßen neu­er­dings für char­mant hal­ten. 

Ist der stän­di­ge Blick aufs Handy viel­leicht ganz nor­mal, die di­gi­ta­le Er­wei­te­rung des viel ge­prie­se­nen multi tas­kings? Viel­leicht schen­ken wir dem Ge­gen­über jen­seits der Kaf­fee­tas­se nicht immer 100% un­se­rer Auf­merk­sam­keit, aber Zu­hö­ren, am Kaf­fee nip­pen und gleich­zei­tig die Face­book-Pinn­wand der neuen Flam­me run­ter­scrol­len schlie­ßen sich nicht di­rekt aus. An­stren­gend mag es al­ler­dings sein, auch ner­vös ma­chen und an das meis­te wer­den wir uns hin­ter­her kaum mehr genau er­in­nern. Wer hat vor­hin kurz an­ge­ru­fen? Wie viel kos­tet der Kaf­fee mit So­ja­milch? Und wel­ches lus­ti­ge Video hat XY noch mal ge­pos­tet? So lange wie nur unser iPho­ne, Ta­blet und die Kaf­fee­tas­se ge­gen­ein­an­der aus­spie­len, mag das okay sein, denn trotz Siri und Co. schei­nen Smart­pho­nes bis­lang noch keine ech­ten Ge­füh­le für ihre Be­sit­zer zu hegen. Ist unser Kom­mu­ni­ka­ti­ons­part­ner aber ein Mensch, soll­ten wir nicht ver­ges­sen, dass er kei­nen glän­zen­den Dis­play, son­dern ein Ge­sicht hat, und dass in dem Ge­hirn da­hin­ter nicht nur Zah­len­ko­lon­nen her­un­ter rat­tern, son­dern auch Ge­füh­le ent­ste­hen. 

WARUM SITZE ICH ÜBERHAUPT HIER?

Trotz­dem wäre im Zuge der Phub­bing-De­bat­te we­ni­ger künst­li­che Auf­re­gung nicht von Scha­den. Wenn wir ehr­lich sind, dann phub­ben wir ja alle mit schö­ner Re­gel­mä­ßig­keit un­se­re Ge­sprächs­part­ner. Daher soll­ten wir erst ein­mal un­se­ren ei­ge­nen Smart­pho­ne­ge­brauch ge­nau­er be­ob­ach­ten und nicht nur an­de­ren schlech­te mo­bi­le man­ners an­krei­den. Dazu ge­hö­ren auch ein paar un­an­ge­neh­me Fra­gen: Ist das, was mein Ge­gen­über er­zählt, wirk­lich so un­in­ter­es­sant, dass ich lie­ber die immer glei­chen Re­tro­bil­der auf Ins­ta­gram an­schaue? Ist ein Face­book-Freund in­ter­es­san­ter als ein ech­ter Mensch? Warum sitze ich über­haupt hier? 

Je ex­tre­mer uns be­wusst wird, wie sehr wir auf un­se­re Smart­pho­nes fi­xiert sind, desto eher fan­gen wir viel­leicht an, neue Stra­te­gi­en für ein bes­se­res Zu­sam­men­le­ben zu ent­wi­ckeln – mit un­se­ren Mit­men­schen und un­se­ren smar­ten Freund­chen. Denn spä­tes­tens wenn letz­te­re an­fan­gen wer­den, Ge­füh­le für ihre Be­sit­zer zu ent­wi­ckeln und die Liebe beid­sei­tig wird, wer­den wir alle Hände voll zu tun haben, um un­se­re di­gi­tal-hu­ma­ne ménage à trois zur all­sei­ti­gen Zu­frie­den­heit zu füh­ren. Bis dahin soll­ten wir aber un­se­re mensch­li­chen Ge­sprächs­part­ner nicht ver­prel­len – denn ohne die geht es nun wirk­lich nicht.