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Philosophie des Kickens: „Am Rande der physischen Existenz“

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LifestyleDossier Weltmeisterschaft

Warum mögen wir eigentlich alle Fußball so gerne? Wir sprechen mit dem Sportphilosophen Gunter Gebauer über diesen ungeschickten Sport bei dem 22 Spieler einem Ball hinterherrennen „und am Ende immer Deutschland gewinnt" (Gary Lineker). Außerdem erfahren wir, warum die FIFA gar nicht so böse ist, wie alle denken.

cafébabel: Was ist das Ein­zig­ar­ti­ge am Fuß­ball?

Gun­ter Ge­bau­er: Beim Fuß­ball ver­bie­tet man die Be­nut­zung des ge­schick­ten, kul­tur­bil­den­den In­stru­ments: der Hand. Mit die­ser Pa­ra­do­xie be­grün­det man die­ses Spiel. Man be­nutzt die Hand nicht, ob­wohl man es sehr leicht tun könn­te. Beim Fuß­ball er­schließt man sich die Welt mit dem Fuß. Den Ball führt man un­si­cher und kann ihn auch nicht al­lein kon­trol­lie­ren, denn man kann ihn nicht die ganze Zeit be­hal­ten. Beim Fuß­ball muss man den Ball vor dem Kör­per füh­ren. Fuß­ball kann nur mit einem gro­ßen Ver­ständ­nis für das Kol­lek­tiv ge­spielt wer­den. Au­ßer­dem hat Fuß­ball we­ni­ger Ru­he­punk­te als Rugby und ist dy­na­mi­scher als Kri­cket und dazu zu­falls­ab­hä­ni­ger als die gan­zen an­de­ren Spie­le.

CB: Warum ist Fuß­ball in man­chen Län­dern be­lieb­ter als in an­de­ren?

GG: Die Län­der, die Fuß­ball spie­len sind im We­sent­li­chen süd­ame­ri­ka­ni­sche, afri­ka­ni­sche und eu­ro­päi­sche Län­der. Ob­wohl zum Bei­spiel in Wales und Süd­west­frank­reich lie­ber Rugby ge­spielt wird. In Nord­ame­ri­ka un­ter­schei­det sich Fuß­ball nicht ge­nü­gend stark von Ame­ri­can Foot­ball, um dort eine be­deu­ten­de­re Stel­lung ein­zu­neh­men. Die Ligen der vier gro­ßen Sport­ar­ten (Base­ball, Bas­ket­ball, Ame­ri­can Foot­ball, Ice Ho­ckey, An­mer­kung d. Re­dak­ti­on) wer­den in den USA sehr pro­fes­sio­nell ge­ma­nagt, so­dass für den Fuß­ball kein Platz bleibt. Dann gibt es noch die Staa­ten, die vom bri­ti­schen Em­pi­re be­ein­flusst sind, in denen Kri­cket ge­spielt wird. Kri­cket ist der von den meis­ten Men­schen auf der Welt ge­spiel­te Sport.

CB: Zur ak­tu­el­len WM: fin­den Sie, dass der Fuß­ball-En­thu­si­as­mus der Bra­si­lia­ner der­zeit ge­trübt ist?

GG: Die Kas­san­dras sind mit der Er­öff­nung der WM lang­sam ver­stummt. Das ist ja auch kon­tra­pro­duk­tiv und man kann ja nicht die ganze Zeit die FIFA an­kla­gen, wenn jeden Tag hoch­at­trak­ti­ve Be­geg­nun­gen ser­viert wer­den. Das ist, als ob einem täg­lich fan­tas­ti­sches Essen vor­ge­setzt wird und man dafür die ganze Zeit den Koch ver­prü­gelt.

Ich finde al­ler­dings, dass Bra­si­li­en jeg­li­che Li­mits ver­lo­ren hat. Die WM geht ja schon auf Lula zu­rück, der ver­spro­chen hat die größ­te Welt­meis­ter­schaft aller Zei­ten aus­zu­rich­ten. Hier­bei sieht man auch das Ge­ha­be eines Neu­rei­chen. Lula (ehe­ma­li­ger Prä­si­dent Bra­si­li­ens, Anm. d. Red.) war nun ein cha­ris­ma­ti­scher Füh­rer, der durch seine Per­sön­lich­keit schein­bar eine Ga­ran­tie dafür gab, dass diese WM ge­schul­tert wer­den konn­te. Spä­ter hat man ge­se­hen, dass er den Mund zu voll ge­nom­men und die wirt­schaft­li­che Ent­wick­lung Bra­si­li­ens viel zu op­ti­mis­tisch ein­ge­schätzt hat.

CB: Die FIFA ist also nicht das Pro­blem?GG: Die FIFA ist ja nicht nur ein Ver­bre­cher­hau­fen, son­dern da sind auch Leute dabei, die wirk­lich etwas von ihrem Fach ver­ste­hen. Nicht ge­ra­de Herr Blat­ter, aber es gibt in der FIFA eine ganze Menge guter Or­ga­ni­sa­to­ren. Etwas an­de­res ist das im­pe­ria­lis­ti­sche Ge­ha­be der FIFA. Wir be­ob­ach­ten ein au­ßer­or­dent­lich über­trie­be­nes Ver­hal­ten einer In­sti­tu­ti­on, die einen sehr merk­wür­di­gen Sta­tus hat. Der FIFA ge­hört ja quasi der Welt­fuß­ball. Sie ist nicht de­mo­kra­tisch, es gibt auch keine Chan­ce in die­sen Club hin­ein­zu­wir­ken, denn er hat seine ei­ge­nen Sta­tu­ten und er hat seine ei­ge­nen Re­kru­tie­rungs­me­cha­nis­men. Kein Staat der Welt kann auf die Struk­tu­ren der FIFA ein­wir­ken. Die FIFA lebt im Schutz der Schweiz, ist steu­er­frei und lässt sich die­sen Schutz in jedem an­de­ren Land ge­wäh­ren, das die WM aus­rich­ten möch­te.

CB: Wie sehen Sie die deut­sche Na­tio­nal­mann­schaft ge­ra­de?

GG: In Deutsch­land ist es so, dass wenn eine Na­tio­nal­mann­schaft gut spielt, voll­kom­men über­se­hen wird, warum so ein gutes Er­geb­nis zu­stan­de kam. Beim 4:0 gegen Por­tu­gal hat man auch davon pro­fi­tiert, dass es einen Elf­me­ter gab, der nicht ab­so­lut zwin­gend war und dass die Por­tu­gie­sen einen Mann ver­lo­ren haben, dass sie unter Schock stan­den. Die deut­sche Mann­schaft war sehr gut ein­ge­stellt. Im zwei­ten Spiel hat man dann auch ihre Schwä­chen ge­se­hen. Ich war sel­ber vor Ort in Porto Aleg­re vor ei­ni­gen Wo­chen und habe jeden Schritt ge­zählt, so schwül war es dort. Ich habe mich die ganze Zeit ge­fragt, wie wohl deut­sche Fuß­bal­ler dort spie­len könn­ten. Das fand ich ge­ra­de­zu un­wahr­schein­lich.

CB: Spielt das Wet­ter also wirk­lich eine so große Rolle?

GG: Wenn dem ei­gent­lich bes­ten deut­schen Spie­ler Phil­ipp Lahm ein so kras­ser Feh­ler wie gegen Ghana un­ter­läuft, dann sehe ich das mit einer ge­wis­sen Milde. Nach dem Spiel konn­te man schon Schwel­lun­gen unter den Augen er­ken­nen, er war schon durch diese ex­tre­men kli­ma­ti­schen Be­din­gun­gen am Rande sei­ner phy­si­schen Exis­tenz. Was am Ende dabei für die Na­tio­nal­mann­schaft raus­kommt wis­sen wir nicht, aber warum muss man das Ver­trau­en in diese Mann­schaft ver­lie­ren? Dafür gibt es kei­nen Grund, denn sie spie­len sehr ge­pfleg­ten Fuß­ball. Sie hat auch ein paar Rei­ßer und ein paar Bre­cher. Au­ßer­dem ist die Na­tio­nal­mann­schaft auch in der Lage den Ball ins Tor zu kom­bi­nie­ren, wie kaum eine an­de­re Mann­schaft im Tur­nier.

CB: Und wer ge­winnt die WM?

GG: Wenn Sie un­be­dingt einen Tipp von mir haben wol­len, dann sage ich Hol­land.

Das Ge­spräch führ­ten wir am 24. Juni 2014