Petting statt Pegida?
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Deutschland ist im Pegida-Fieber - der Wutbürger voller Elan gegen die Kuschelpolitik. Warum die Islamophobie-Debatte trotzdem gut für Reformen in Europa ist.
Deutschland geht auf die Straße. Das ist befremdlich, sind wir doch nicht immer die schnellsten, wenn es darum geht, unsere Meinung auf der Straße kund zu tun. Der Deutsche ist bequem geworden. 1989 fiel im Zuge der Montagsdemonstrationen unter dem Slogan 'Wir sind das Volk' die Mauer. Das war das letzte große Aufbegehren der Deutschen. Seitdem ist es auf der politischen Protestmeile eher ruhig geworden. Während die Franzosen sich für jegliche Kleinigkeit auf den Pariser Boulevards mobilisieren und im letzten Jahr mit der 'Manif pour tous' gegen die Homo-Ehe auf die Barrikaden gingen, blieb der Deutsche lieber seiner Fernbedienung treu und verfolgte Meinungsdebatten bevorzugt vor dem Flimmerkasten. Das hat sich mit Pegida nun geändert – ganz Deutschland ist pegidaloca. Sowohl online als auch offline finden ernst zu nehmende Debatten über unsere Gesellschaft statt. Gut so. Debatten braucht das Land.
Deutschland einig Pegida-Land?
Gestern. Montagabend. Da waren sie wieder. „Dresden bleibt deutsch“. „Keine Scharia in Europa“. Mehr Menschen als je zuvor gingen als „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ – kurz Pegida - auf die Straße. Seit Oktober 2014 finden immer montags derartige ‚Spaziergänge‘ statt. Zunächst waren es nur 200, doch gestern waren 18 000 Leute mit Plakaten zum Spazierengehen angetreten. Damals gingen die Leute für die Freiheit, für Menschenrechte auf die Straße – und heute? Sollen die gleichen Parolen nun plötzlich für die Abschottung Europas und die Eingrenzung der Asyl- und Flüchtlingspolitik im Lande herhalten. Und das, wo Sachsen deutlich weniger Asylbewerber als andere Bundesländer zählt und aktuelle Studien zeigen, dass sich Einwanderung für den deutschen Sozialstaat finanziell rentiert.
Weil man die Straße nicht dem Wutbürger überlassen will, regt sich seit einigen Wochen aber auch Protest. In Hamburg und in Köln. In Berlin und in Münster. Mehr als 30 000 Menschen gingen gestern gegen die Islamophobie demonstrieren. „Petting statt Pegida“ und „Refugees Welcome“ steht hier auf den Plakaten. In Berlin konnte der Pegida-Ableger ‚Bärgida‘ sogar blockiert werden; die Semperoper und der Kölner Dom schalteten den Demonstranten das Licht aus; auf Facebook wurde die Anti-Bewegung Tegida - Tolerante Europäer gegen die Idiotisierung des Abendlandes – ins Leben gerufen; über 320 000 Menschen haben zudem die #nopegida-Petition auf change.org unterzeichnet. Das sind gute Zeichen. Sogar Angela Merkel widmete ihre sonst recht fade Neujahrsansprache dem Kampf gegen Fremdenhass und der Toleranz gegenüber Flüchtlingen in Deutschland. Die Altkanzler Schmidt und Schröder springen auf den Zug auf und plädieren für ein weltoffenes Deutschland.
Im Streichelzoo der Zentrumsparteien
Ob Petting und Streicheleinheiten aber aktuell die besseren Varianten sind, ist fraglich. Die Überfremdungsdebatte, die jahrelang auf kleiner Flamme köchelte, wird in Krisenzeiten neu befeuert. Und das nicht nur in Deutschland. Überall in Europa wächst die Skepsis gegenüber den statischen Zentrumsparteien, die nur auf die nächsten Wahlerfolge abzielen würden. Das zeigen Ergebnisse wie die des rechtspopulistischen Front National in Frankreich oder der AfD in Deutschland; von linkspopulistischen Parteien wie Podemos in Spanien und Syriza in Griechenland. Längst sind sie keine Randphänomene mehr, sondern Alternativen, die in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind.
Oft ist in diesem Zusammenhang auch von einer politisch korrekten Lügenpresse die Rede, Zweifel an der Funktionsweise unserer modernen Demokratie werden laut. "Es wird Zeit, zu akzeptieren, dass es das Konzept des ethnisch homogenen Nationalstaats schon seit mindestens 30 Jahren nicht mehr gibt", meint Migrationsforscher Andreas Zick, der gemeinsam mit anderen Kollegen ein neues Deutschlandbild in Lehrplänen fordert. Das sind gute und wichtige Signale, die der Multikulti-Kuscheldiskurs in der Vergangenheit nicht anstoßen konnte. Slogans wie „Zuhause in Deutschland“ funktionieren eben leider nur während der Fußball-WM.
Dass Islamkritikern gegenüber direkt die Rechtsextremismus-Keule geschwungen wird, ist deshalb kontraproduktiv. Der Pegida-Wortführer Lutz Bachmann hat keine nachweislichen Kontakte zur rechtsextremen Szene, er hat für Drogendelikte im Gefängnis gesessen und ist immer noch auf Bewährung. Laut einer Studie des Meinungsforschungsinstituts Forsa würde auch jeder vierte Anhänger der Linken an Protestmärschen gegen eine Islamisierung Deutschlands teilnehmen. Pegida ist ein Signal, ein Sammelbecken für Ängstliche und Unzufriedene jedweder politischer Färbung. Rechts-Links funktioniert nicht mehr. Neuerdings beglückwünscht der französische Front National den „Sieg des Volkes“ in Griechenland, wo die linkspopulistische Partei Syriza als Favorit für die vorgezogenen Parlamentswahlen am 25. Januar gilt. Das Zweiparteiensystem wankt.
Morgen erscheint in Frankreich der neue Roman Soumission (Unterwerfung) von Michel Houellebecq (Elementarteilchen). Nach dem meistverkauften Buch 2014 von Skandal-Journalist Eric Zemmour (der französische Matussek), Der französische Selbstmord , sicherlich der nächste Bestseller im Land. Darin geht es um die Machtübernahme einer fiktiven islamischen Partei nach der Wahlniederlage des Front National 2022. Wie es 2022 in After-Pegida-Deutschland und Europa aussehen wird, liegt allein in Händen der Demokratie. Deshalb sind die aktuellen Debatten um Islamophobie eine Chance, sich endlich wiedermal politisch zu beteiligen.