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Petr Uhl: "Im Gefängnis hat man mir angeboten, das Land zu verlassen"

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Katha Kloss

BrunchKultur

Als Achtundsechziger auf den Pariser und Prager Barrikaden, später Mitbegründer der Charta 77, hat er mit seiner Westberliner Revoluzzerfreundin Sibylle Plogstedt im Prager Untergrund agiert und mit Václav Havel Zigarette um Zigarette im Knast gesessen: Der tschechoslowakische Dissident und Bürgerrechtler blickt zurück, aber vor allem nach vorn - auf Europa.

"Der Trotzkist vom Dienst und sein riesiger Flachbildschirm!" Diese Worte gibt uns ein junger französischer Journalist, der in Prag arbeitet, mit auf den Weg zu Petr Uhl. In der Tschechischen Republik ist der Dissident, Bürgerrechtler und Publizist Uhl bekannt wie ein bunter Hund. Bis zum heutigen Tage schreibt er dreimal wöchentlich den Kommentar für die linksliberale Pravo. Der 66-Jährige wartet bereits ungeduldig an der Wohnungstür der ersten Etage in der Londýnská (Londoner Straße) im schicken Prager Stadtteil Vinohrady im Südosten der Stadt. Seine Frau Anna Šabatová, Mitbegründerin der Bürgerrechtsbewegung Charta 77 und ehemalige Stellvertretende des tschechischen Ombudsmannes, ist noch unterwegs. In der kleinen Wohnung riecht es nach frisch gewaschener Wäsche. In perfekt formulierten französischen und deutschen Wendungen entschuldigt sich Uhl vielmals für die vielen Wäscheständer und Hängevorrichtungen an den Türen - der Wäschetrockner habe kürzlich den Geist aufgegeben. 

Durch den engen Flur bittet er ins Wohnzimmer, zeigt uns mit einem Augenzwinkern das Buch Mai 68 expliqué à Sarkozy des französischen Philosophen André Glucksmann, das ihm ein befreundeter Journalist kürzlich geschenkt hat. Und dort hängt er; in einem dunklen Wohnzimmer an einem Freitagnachmittag im Frühling bei Petr Uhl stumm an der Wohnzimmerwand: der enorme spiegelglatte, schwarze Flachbildschirm, viele Geschichten und bewegte Bilder verbergend.

©Boris Svartzman

Pariser Barrikaden und Prager Gitter

Geschichten kann Petr Uhl selbst stundenlang erzählen. Besonders in diesem Jahr. Vierzig bewegte Jahre liegt der Prager Frühling bereits zurück. Pardon - der "tschechoslowakische Frühling", darauf legt Uhl wert. Der gelernte Maschinenbauer war seit 1965 immer wieder in Paris, wo er gemeinsam mit den Studenten der Sorbonne Pariser Revolutionsluft schnupperte und gegen den Stalinismus wetterte. "Zurück in Prag war ich begeistert, als ich herausfand, dass man am Wenzelsplatz Le Monde für drei Kronen kaufen konnte", erinnert er sich schmunzelnd. Auch am 21. August, als die Truppen des Warschauer Paktes in Prag einmarschierten, hält sich Uhl gerade wieder in Paris auf. In seinem Land geht derweil der Dubčeksche 'Sozialismus mit menschlichem Antlitz' den Bach runter. Die so genannte 'Normalisierung' greift um sich.

Doch schon wenige Monate später trommelt Petr Uhl auch die Prager Unilandschaft zusammen und gründet die Bewegung der Revolutionären Jugend (Hnutí revoluční mládeže). "Die aktiven Leute von damals waren besonders Studenten der Geisteswissenschaften. Im Dezember 68 hat die HRM ihr Manifest in der Fakultätshalle angeheftet. Doch bereits ab April 1969 ist die Gruppe in den Untergrund abgetaucht. Ich gehörte zu den Gründervätern der Revolutionären Jugend und hatte eine Rolle, die von vielen - leider auch von der Geheimpolizei - als grundlegend eingeschätzt wurde. Und dann wurde ich zu vier Jahren Gefängnis verurteilt", hangelt sich Uhl mit größter Selbstverständlichkeit durch die geschichtsschwangeren Jahre. Auch Sibylle Plogstedt, Westberliner Studentin und Uhls Wegbegleiterin und damaliger Freundin, wurde 1971 der Prozess gemacht. Urteilsspruch: zweieinhalb Jahre! Plogstedt hat den Psychoterror nicht ausgehalten und wurde abgeschoben. Uhl saß bis zum bitteren Ende.

ČSSR-Stasi im Rücken

Neun Jahre hat der Diplomingenieur für seine regimekritischen Überzeugungen hinter Gittern verbracht - keinen Tag weniger. Mit seiner Frau Anna Šabatová, die er nach der ersten Strafe geheiratet hat, Václav Havel, Jiří Dienstbier und anderen Künstlern, Politikern, Arbeitern, Dissidenten und Geistlichen verfasste Uhl die Charta 77, ein Manifest gegen die Menschenrechtsverletzungen in der Normalisierungsperiode der Tschechoslowakei. 241 Anhänger zählte die Petition zunächst. Ein Jahr später wird das Komitee zur Verteidigung von zu Unrecht Verfolgten (VONS) ins Leben gerufen - mit den zu erwartenden Folgen: "Ich wurde wegen meines währenden Trotzkismus als Wiederholungstäter angesehen, für eine Tat, die sie damals als 'Gefährdung der Republik' bezeichneten, wieder fünf Jahre, Havel bekam viereinhalb. Als ich nach Hause kam waren die Kinder plötzlich ein wenig größer", witzelt Uhl im Rückblick.

Hat er in der Isolationshaft nie an Emigration gedacht? "Die Geheimpolizei hat mir angeboten, das Land zu verlassen. Ich habe die Entscheidung meiner Frau überlassen, sie war neben der Charta das wichtigste in meinem Leben. Sie entschied zu bleiben. Ich war froh darüber. Niemand aus unserer Gruppe hat die Option der Emigration gewählt." Uhls Familie wurde fortlaufend polizeilich überwacht, ein Auto in Lauerstellung vor dem Haus, ein Tisch und zwei Stühle vor der eigenen Wohnungstür. Aus dem Uhlschen Mietshaus in der Anglická (Englischen Straße) flossen trotzdem Informationen ins Ausland. Später hat Uhl erfahren, wo die Wanzen platziert waren. "Aber nicht in der Küche, dort, wo wir alles besprochen haben." Mit Jiří Dienstbier, "dem Bier vom Dienst", wie Uhl ihn gern in Erinnerung behält, arbeitete er in den 1980er Jahren in einem Betrieb für Gas- und Kohleheizungen. Als Ingenieur bekam er sowieso keinen Job mehr. "Wir konnten die ganze Nacht tippen und am Morgen gab er mir seine Manuskripte. Wir mussten vorsichtig sein, aber im Allgemeinen wussten die, was wir da fabrizierten, London und Wien haben uns dort kontaktiert." Mit der Samtenen Revolution fällt 1989 ein schwerer Vorhang. Die Wende ist da: Dienstbier wird der erste tschechische Außenminister nach dem Sturz des kommunistischen Regimes, Uhl Direktor der tschechoslowakischen Nachrichtenagentur ČTK.

Eurotrotter Uhl

Zahlreiche Jahre des Engagements, der Krankheit und vielen Auszeichnungen sind seitdem ins Land gegangen, erst im Mai erhielt Uhl für seinen unerschütterlichen Einsatz im Namen der Menschenrechte den Europäischen Karlspreis der Sudetendeutschen Landsmannschaft. "Er wird helfen, die weißen Flecken unserer gemeinsamen Geschichte zu beseitigen, auch im Zusammenleben in der Europäischen Union. Diese darf nicht auf Geheimhaltung und Verschleierung der Vergangenheit aufbauen", schreibt er in seiner Danksagung.

"Das Europa der offenen Grenzen stimmt mich äußerst zufrieden", bestätigt Uhl auch zurück im Wohnzimmer der Londýnská. "Meine Frau und ich wollten uns neulich zu einer Konferenz mit Cohn-Bendit über Mai 68 in Warschau treffen, ich kam aus Prag, sie aus Straßburg. Wir nahmen den Nachtzug. Und über Nacht - ohne von Polizei und Zoll aus dem Schlaf gerüttelt zu werden - kamen wir zu Hause in Prag an. Ganz ohne Ausweis!" Einfach so.

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