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Pat Cox: „Die europäische Antwort auf die Krise war beeindruckend“

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Dana Pottharst

Politik

Der ehemalige Präsident des EU-Parlaments und Liberale Pat Cox ist sehr erfreut über den Entschluss der Kommission, die Wirtschaft mit Hilfe von steuerpolitischen Maßnahmen anzukurbeln. Damit haben Barroso und die rotierende französische Präsidentschaft sich den Herausforderungen der Finanzkrise gestellt.

Finanzkrise, China und der von den Iren abgelehnte Vertrag von Lissabon: Pat Cox hat uns Fragen zu diesen drei Themen beantwortet, die derzeit das politische Geschehen in Europa dominieren. Er verteidigt dabei Barroso, dessen Popularität unter der Kritik an seinem Umgang mit der Finanzkrise gelitten hat. Eine Geste, die nicht in die Zeichen der Zeit zu passen scheint.

Jacques Attali ist Ökonom und hoher Beamter in Frankreich. Ihm zufolge ist die Antwort der Europäer auf die Krise unzureichend. Die bereitgestellten 200 Milliarden seien das absolute Minimum. Stimmen Sie zu?

©Europäische KommissionRein in Bezug auf die Steuerpolitik teile ich die Ansicht, dass es sich um ein Minimum handelt. Auf der anderen Seite bin ich jedoch nicht der Meinung, dass die Kommission für diesen Bereich zuständig ist, da der “Rechtsstaat” Europa ihr nicht die Kapazitäten zur Verfügung stellt, die dezentralisierte Steuerpolitik maßgeblich zu bestimmen. Das europäische Budget stellt gerade mal 1 % des BIP der 27 EU-Staaten dar. Dies entspricht etwa der Hälfte des BIP der Niederlande. Mit derartigen finanziellen Ressourcen kann von der Kommission kein Finanz-Paket verlangt werden, das die Wirtschaft ankurbelt. Ich ziehe deshalb eher den Hut vor der Organisation einer solchen Vereinbarung. Des Weiteren schätze ich ein Beleben der Wirtschaft durch steuerpolitische Maßnahmen, deren Einfluss direkter und unverzüglicher wirkt, als der Einfluss geldpolitischer Maßnahmen.

Und was sagen Sie zur Größe des Pakets?

©artemuestra/flickrDas hängt stark von den Mitgliedstaaten ab. Von den größten europäischen Ländern, die unser wirtschaftliches System tragen, sind es vor allem die Deutschen, die über den größten Handlungsspielraum verfügen. Verschiedene Länder mit weniger Möglichkeiten haben allerdings bereits größere Pakete geschnürt. Deshalb ist es notwendig, die Auswirkungen der Krise auf die deutsche Wirtschaft abzuwarten und zu beurteilen. Meiner Ansicht nach werden diese Auswirkungen erheblich sein.

Kann diese Krise das Vermögen oder Unvermögen der EU auf die Probe stellen, gemeinschaftliche Lösungen zu einem vergleichbar wichtigen Problem zu finden?

Die EU verfügt nicht über ausreichende Ressourcen, hier anders zu handeln. Offenbar entsprechen die angekündigten steuerpolitischen Maßnahmen der Summe der nationalen Pakete. Die Fähigkeit der französischen Ratspräsidentschaft und Barrosos, auf die Krise zu antworten, ist in meinen Augen sehr beeindruckend gewesen. Während des Gipfels am 7. November wurde erstaunlich schnell ein einheitliches europäisches Handeln als Antwort auf die Krise eingeleitet. Das bedeutet vor allem, eine in groben Zügen ausgearbeitete Liste möglicher Reglementierungen und Interventionen, mit denen wirtschaftliche Institutionen (einschließlich Hedge-Fonds) überwacht werden sollen. Jedoch ist dies ohne eine Bereitschaft der Mitgliedstaaten und vor allem derjenigen Staaten, die durch ihre Größe und ihre wirtschaftliche Bedeutung großen Einfluss üben können, nicht möglich.

China hat einseitig das Treffen mit der EU abgesagt. Welche Haltung gegenüber Peking ist jetzt angebracht, da China durch die Krise noch unumgänglicher geworden ist?

©artemuestra/flickrDie beiden Lager müssen intensiver miteinander kommunizieren und benötigen darüber hinaus eine verstärkte Zusammenarbeit. Europa ist für China der wichtigste Markt, wichtiger noch als die USA. Gleichzeitig ist China ein essentieller Markt für uns. Die wirtschaftlichen Interessen sind also sehr einleuchtend. Auf der politischen Ebene ist es notwendig, einen intensiven Dialog mit China zu führen, in dem es um die Entwicklung des globalen Systems der Zukunft geht. Ich finde es sehr enttäuschend, aber nicht erstaunlich, dass China diesen Gipfel abgesagt hat. Das Land ist eben immer noch extrem empfindlich, was seine nationalen Interessen angeht, Tibet und Taiwan eingeschlossen. Ich kann dies nur zu gut einschätzen, denn während meiner parlamentarischen Erfahrung hatte ich die Möglichkeit, Amtspersonen zu treffen und das Land zu bereisen.

Wenn man bedenkt, dass die nationalen Interessen stets überwiegen, ist dann eine Weltregierung, wie sie von einigen Personen befürwortet wird, nicht reine Utopie?

Eine Weltregierung ist utopisch, ganz klar. Eine weltumfassende Politikgestaltung muss es jedoch nicht unbedingt sein, da sich bestimmte Interessen immer überschneiden. Ein erheblicher Rückgang der Realwirtschaft der USA und Europas wird sich sehr stark in China bemerkbar machen. Ich denke es gibt zwischen den politischen Eliten in China und der chinesischen Bevölkerung eine Art Vertrag, dessen Grundlage ein allgemeiner Konsens darüber ist, eine starke Wachstumsquote aufrecht zu halten, um gewisse innere Spannungen auszugleichen. Für Peking stehen also große Interessen auf dem Spiel und wenn jedes Land diese mittragen kann, sind wir auf einem guten Weg, mit diesen gemeinsamen Interessen als Basis die weltberühmte Gouvernance zu erreichen. Ich gelange also zu dem Schluss, dass man auf diesem Gebiet durchaus Fortschritte machen kann.

Sie sprechen von einem Vertrag zwischen den Eliten und der Bevölkerung in China. Wenn wir das auf Europa und seine politische Identität übertragen, denken Sie nicht, dass dieser Vertrag in Irland durch das “Nein” zum Vertrag von Lissabon gebrochen wurde?

Wir haben Europa geschaffen, und sind noch immer auf der Suche nach den Europäern.

Das Vorhaben, ein Europa “von unten her” zu gestalten, ist eine unglaubliche Herausforderung und Irland steht damit durchaus nicht allein da. Das Scheitern der Verfassung in Frankreich, in den Niederlanden, gefolgt von dem Ergebnis in Irland zeigt uns deutlich den Gegensatz zwischen alltäglicher Wahrnehmung und Realität. Wir haben Europa geschaffen, und sind noch immer auf der Suche nach den Europäern. Es bleibt eine ganze Menge Aufklärungsarbeit, die es zu erledigen gilt. Nach dem “Nein” des Referendums wurden bei uns in Irland Analysen durchgeführt: 46% der Iren, die sich enthalten haben, gaben an, den Vertrag nicht verstanden zu haben. Bei 42% derjenigen, die “Nein” gewählt haben, handelt es sich um die gleichen Beweggründe.

Aber denken Sie nicht, dass jede Regierung ihren eigenen Teil an Verantwortung trägt bei dem, was Sie die Verschiebung zwischen Wahrnehmung und Realität nennen?

Man sollte nicht von Montag bis Samstag auf Brüssel herum hacken, und dann am Sonntag das Vertrauen in Europa durch ein Referendum erfragen.

Vollkommen richtig. Eine Sache, die tief in der europäischen Kultur und besonders unter den Führungskräften verankert ist, besteht darin, Brüssel zum Sündenbock für jegliche nationale Probleme zu machen. Es sind die Mitgliedstaaten, die über die Fähigkeit verfügen, das Funktionieren der EU zu garantieren, nicht die Kommission. Man sollte nicht von Montag bis Samstag auf Brüssel herum hacken, und dann am Sonntag das Vertrauen in Europa durch ein Referendum erfragen. Es ist eine Frage, politischer Ethik. Europa, das sind wir.

Translated from Pat Cox : « La réponse européenne à la crise a été impressionnante »