Paris Attacks: „Die sind es gewesen“
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Irina Brüning[Kommentar] Wer aber sind „die“? Auf diese Frage sollten wir eine genaue Antwort finden. Erst dann können wir uns anderen entscheidenden Fragen widmen, die die Zukunft unserer Zivilisation betreffen. Gedanken zu den Anschlägen in Paris.
Wenige Tage sind vergangen. Wenige von einem Gefühlschaos geprägte Tage. Angst, Erschütterung, Fassungslosigkeit, Wut, Schrecken. Ja, Schrecken, denn dies ist das eigentliche Ziel des Terrorismus: Schrecken zu verbreiten. Und dabei sind sie sehr erfolgreich, das muss man ihnen lassen.
Ja, ihnen. Aber wer sind sie? Das ist die Frage aller Fragen.
„Die Fundamentalisten“, „der Islamische Staat“, „Daech“, „die Muslime“ - die möglichen Antworten sind ganz unterschiedlich und von nicht ganz richtig bis vollkommen falsch ist alles vertreten. Doch das Problem sitzt an einer anderen Stelle. Wenn wir die Wahrheit wirklich herausfinden wollen, besteht dafür jederzeit die Möglichkeit.
Das größte Besorgnis erregende Problem besteht dann, wenn diese Elemente vermischt werden. Alles in einen Topf zu werfen, ohne sich zu fragen, was zusammengehört - das Ergebnis kann nur Hass, Ignoranz und Halbwissen sein. Um dies zu erkennen, braucht man sich nur auf der Straße umzuhören.
Wir sprechen hier über ein sinnloses und unmenschliches Verbrechen, das das Bewusstsein eines ganzen Kontinents zutiefst erschüttert hat und in den Gemütern einer ganzen Generation von Franzosen und Europäern seine Spuren hinterlassen wird. Doch in Gesprächen fällt zwischen Fassungslosigkeit und Erschütterung immer wieder der Satz: „Die da sind es gewesen!“ Wer denn? „Die Araber, der Islamische Staat, die Muslime!“ Da haben wir es. Drei Begriffe, die wenig oder nichts miteinander zu tun haben, aber in der kollektiven Vorstellung zu einem einzigen Moloch verschmelzen, einem dämonischen Wesen, das die europäische Kultur, Identität und Sicherheit bedroht. Ein beunruhigendes Bild, das alle gläubigen Muslime in Europa als Terroristen, Auftragskiller und Attentäter abstempelt.
Die Wahrheit sieht wie immer anders aus. Die Wahrheit ist, dass die unsere Art zu leben bedrohen. Die, ja, die Attentäter. Und die wenigen hinter denen, die das Abschlachten angeleitet und das Massaker organisiert haben. Ja, wenige. Denn im Vergleich zur gewaltigen Zahl der Gläubigen, die sich zum Islam bekennen, sind es wenige.
Die Wahrheit ist, dass die unseren Frieden angreifen und das noch nicht perfekte Zusammenleben, das wir uns im Laufe der Jahre geduldig aufgebaut haben und für das wir entschlossen weiter kämpfen. Tag für Tag. Denn dieser Frieden ist für manche ganz einfach nicht vorstellbar. Es geht nicht, dass Christen, Juden, Muslime und Atheisten friedlich nebeneinander leben und miteinander in Kontakt stehen. Das ist ganz einfach nicht denkbar. Die „Wenigen“ wollen gegenüber den „Vielen“ Recht behalten und nutzen die älteste Erziehungsmethode: Gewalt. Unum castigabis, centum emendabis. Einen bestrafen, um hundert zu verbessern. Es soll nicht nur unter den Bürgern Schrecken verbreitet werden, auch der laufende Integrationsprozess soll unterbrochen werden. Eine Reihe von kriminellen Handlungen verwandelt sich in einen Kampf der Zivilisationen, zwischen der „westlichen“ und der islamischen Kultur. Die Ziele der Attentäter wurden ohne jede strategische Bedeutung ausgewählt. Die Botschaft sollte lauten: „Es könnte auch dich erwischen, egal wer du bist“.
Aber wie könnte die richtige Reaktion auf eine solche Barbarei aussehen? Paradoxerweise nutzt die Entscheidung, sich abzuschotten, zu trennen und die Unterschiede zu betonen, wenig.
Sprachlos machen Reaktionen wie die der Tageszeitung Libero, die sich für eine einleitende Überschrift wie „islamische Bastarde“ entschied. Oder die Äußerungen einiger Vertreter der Lega Nord: „Der nächste Idiot von den Linken oder den 5stalle [Bewegung für nachhaltige Landwirtschaft, Anm. d. Ü.], der mir was vom gemäßigten Islam erzählt, bekommt Arschtritte von mir" oder der Facebook-Post des rechten Politikers Matteo Salvini: „Flächendeckende Kontrollen aller islamischen Einrichtungen in Italien, Verhinderung der Aus- und Einreise, Angriffe auf Syrien und Libyen“. Aber solche Gedanken nisten sich in dieser Zeit bei immer Menschen ein. Wir sollten jedoch kühlen Kopf bewahren und zu viel Emotionalität aus dem Spiel lassen.
Die Lösung kann nur Integration lauten. Offenheit, niemanden zu isolieren oder auszuschließen. Alle gläubigen Muslime zur Mitarbeit aufzufordern, um das Gift zu neutralisieren. Grenzschließungen und die Errichtung einer rechtlichen und kulturellen Mauer gegen Ausländer muslimischen Glaubens sind nutzlos. Denn der Feind ist unter uns - das haben die Ereignisse in Paris gezeigt.
Krieg und Gewalt wandeln die Verbrechen von einigen Wenigen in einen „Kampf der Kulturen“ um. Sie sorgen für Leid und Trauer, machen Menschen zu Mördern, radikalisieren Überzeugungen und machen Pazifisten zu Guerilleros.
Wir müssen ein Gleichgewicht finden, um sie zu bekämpfen. Und „sie“ sind die Verbrecher. Denn alle anderen Muslime gehören zu „uns“.
Translated from "Sono stati loro"