Papilio Buddha: Filmzensur made in India
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Indisches Kino ist nicht immer nur schillernd und bunt: Der Fall des Dramas Papilio Buddha (2013) von Jayan K. Cherian zeigt, dass die indische Zensur mit harter Hand und spitzer Schere vorgeht. Schwule? Dalits? Maoisten? Das geht auf indischen Leinwänden immer noch nicht. Filmkritik
Behutsam stapft der Biologe Shankaran (Sreekumar SP) durch den dunklen Urwald, befühlt hier eine Liane, dort ein Stück Rinde und stolpert schließlich über einen toten Pfau. Unter Mühen schleppt er ihn einen Abhang hinauf, bettet sich neben ihn und versinkt in tiefe Träume, bedeckt von schillernden Pfauenfedern. Als Shankaran später einen Papilio Buddha, eine äußerst seltene Schmetterlingsart, fängt und das flatternde Etwas seinem Freund Jack (David Briggs) präsentiert, mag der Zuschauer sich im Paradies wähnen. Idyllisch sind hier aber nur die Morgennebel über dem Urwald, die schon wenig später von der brutalen Realität zerrissen werden. Denn Shankaran ist in der hinduistischen Gesellschaftsordnung ein Dalit - ein Kastenloser, Unberührbarer.
lieber Abhängen oder Agitieren?
Shankarans Vater Kariyan (gespielt von dem Ex-Maoisten, Dalit-Vorkämpfer und Umweltaktivisten Kallen Pokkoodan) setz sich schon jahrzehntelang gegen die brutale Behandlung der Dalits durch Behörden und Mitbürger ein. Auch Manju (Saritha Sunil), die auf einem illegal besetzen Stück Land eine Grundschule eingerichtet hat, kämpft gegen Ignoranz und sexuelle Übergriffe. Shankaran aber könnte die ganze Agitation kaum gleichgültiger sein: Er zieht es vor, mit Jack durch die Wälder zu streifen, von einem Neuanfang in Amerika zu träumen oder mit seinen naiven NGO-Freunden herumzuhängen. Als der Biologe und sein amerikanischer Freund von der Polizei beim Schmetterlingsfang geschnappt werden, Jack seinen Freund verrät und Shankaran ins Gefängnis wandert, wird er in einen Strudel der Gewalt und Willkür gezogen.
Offizieller Trailer von Papilio Buddha (2013) des indischen Regisseurs Jayan K. Cherian.
Wo sollen Dalits wohnen, wenn sie durch die Habgier internationaler Konzerne und den Raubbau an der Natur Keralas ihre Ländereien verlieren? Warum wird diese Bevölkerungsgruppe, die doch seit der demokratischen Staatsgründung 1947 die gleichen Rechte wie alle Kasten genießt, weiterhin auf das Übelste unterdrückt? Warum kann die Polizei Dalit-Aktivisten ungestraft foltern? Der Spielfilm Papilio Buddha (2013) des aus Kerala stammenden Dichters Jayan K. Cherian quillt vor unangenehmen Fragen nur so über. Wer dachte, das „Dalit-Problem“ sei im 21. Jh. längst gelöst, wird durch dieses Debüt eines Besseren belehrt, denn der grausame Kampf der Behörden gegen Dalit-Aktivisten ist ebenso belegt wie die Vertreibung vieler Kastenloser aus ländlichen Gebieten. Angesichts der Sprengkraft dieser Themen scheint die Liebesgeschichte zwischen Shankaran und Jack beinahe harmlos, trotz in Indien immer noch weit verbreiteter Homophobie.
Die kurze Liebesszene zwischen dem Dalit und dem Schmetterlingsforscher war dann auch nicht der Grund, warum das Central Board of Film Certification (CBFC) sich weigerte, Papilio Buddha für das indische Kinopublikum freizugeben. Kritisiert wurden vielmehr die Folter- und Vergewaltigungsszenen, ein zu großes interreligiöses Konfliktpotential und die Verunglimpfung Gandhis. Da Cherian sich weigerte, die 25 geforderten Schnitte zu machen, dauerte es weitere acht Monate, bis das Film Certification Appellate Tribunal (FCAT) Papilio Buddha endlich sein Placet erteilte – allerdings nicht in seiner ursprünglichen Form. Schwule? Dalits? Maoisten? Sie alle sieht man auf den glitzernden Leinwänden Bollywoods kaum. „Aber auch in Indien gibt es eine starke LGBT-Bewegung“, sagt Cherian. „Alle sollten ihre Sexualität so frei ausleben können wie Shankaran.“
Kritik am Übervater Mahatma Gandhi
Dass sich Jayan K. Cherian traut, all diese Konfliktthemen in einem einzigen Film zu vereinen, beweist gesellschaftlichen Mut. Nicht einmal der Übervater Indiens ist vor Kritik sicher: „Während Gandhi von vielen als Befreier der Kastenlosen gefeiert wird, gibt es ebenso Bewegungen, die Gandhis tiefe Verwurzelung im konservativ-hinduistischen Gedankengut kritisieren. Die meisten Dalit-Aktivisten folgen den Lehren von Bhimrao Ramji Ambedkar, der in den 1940er und 1950er Jahren wesentliche Rechte für die Dalits erstritten hat“, meint Cherian. In einer der letzten Szenen verbrennen die Aktivisten um Kariyan denn auch eine Gandhi-Strohpuppe, bevor sie zum Buddhismus übertreten und ihren Hass an den wohlsituierten „Gandhi peaceniks“ auslassen.
Wie schon in der Realität geht die Sache für Shankaran und seine Mitstreiter in Papilio Buddha bitter aus. In den letzten Szenen, die an den Trail of Tears der amerikanischen Indianer erinnern, ziehen sie langsam aus ihrem Heimatland ab, auf der Suche nach einem neuen Zuhause, in dem sie auch wieder fremd sein werden, ausgestoßen und mit Füßen getreten. Den keralitischen Kulturinstitutionen war Papilio Buddha trotz Zensur immerhin vier Filmpreise wert und auch bei der 64. Berlinale fand Cherians Film viel Anklang. Es wäre zu hoffen, dass Papilio Buddha in Indien aber nicht nur künstlerische Anerkennung wiederfährt, sondern dass der Film auch seine ganze soziale Sprengkraft entfalten kann. Die indischen Zensurbehörden werden sich wohl in den nächsten Jahren auf immer mehr schillernde Schmetterlinge einstellen müssen.
CAFEBABEL BERLIN BEI DER 64. BERLINALE
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