Panama Papers: Gesellschaft mit verschiedenen Spielregeln
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Juliane Büchner[Kommentar] Die Enthüllungen der Panama Papers haben auch das Vereinigte Königreich nicht verschont: Ian Cameron, der verstorbene Vater des Premiers, wird in den Dokumenten erwähnt. Am 8. April hatte David Cameron zugegeben, von dem Offshore-Trust seines Vaters profitiert zu haben. Sind das jetzt News? Sicher. Schockieren sie uns? Nicht wirklich.
„Steuerflucht ist nicht nur illegal, sondern unmoralisch. Wer Steuern hinterzieht, sollte genau wie ein gewöhnlicher Dieb behandelt werden.“ Ich könnte es nicht besser ausdrücken. Umso überraschender, dass ich diese Worte von Schatzkanzler George Osborne übernommen habe. Leider schrieb er das vor 18 Monaten auf Twitter and nicht in den letzten Tagen, nachdem sein Busenfreund David Cameron vor wenigen Wochen überführt wurde.
Ich spreche natürlich von den Panama Papers. Die 11,5 Millionen geleakten Dokumente deckten tausende Briefkastenfirmen in Übersee auf. Sie wurden für die Reichen und Mächtigen eingerichtet, um ihr Geld vor den Händen der Steuereintreiber zu beschützen. Eine Anzahl einflussreicher Politiker, darunter Wladimir Putin, David Cameron, Islands Ministerpräsident Gunnlaugsson und der ukrainische Präsident Poroschenko wurden mit Steueroasen in Verbindung gebracht.
Wie überraschend ist die Affäre um die Panama Papers wirklich?
Ich weiß, diese Dinge müssen immer mal wieder bestätigt werden, aber tief in unserem Inneren wussten wir das alles schon, oder? Viele reiche Leute bewegen Himmel und Hölle, um ihr Geld zu beschützen. Sie können doch um Himmels willen nicht ihren fairen Anteil an der Gesellschaft mitfinanzieren.
Das soll nicht heißen, dass wir uns nicht aufregen sollten. Die Panama Papers sind der neuste Beweis, dass wir in einer Zweiklassengesellschaft leben. Zwei Klassen, die sehr verschiedenen Spielregeln folgen. Wenn ein Tory Minister öffentliche Gelder veruntreut, muss er das meiste nicht einmal zurückzahlen und kommt mit einem Hieb auf die Finger davon. Wer nicht zur Elite gehört und das gleiche tut, muss mit Haftstrafen von bis zu 10 Jahren rechnen.
Kürzlich hatte Cameron zugegeben, dass er vom Offshore-Trust seines Vaters profitiert hat. Trotzdem scheint es keinen Druck zu geben, dass er zurücktritt. Wieso sind wir von vornherein misstrauisch gegenüber Menschen in den unteren Rängen der Gesellschaft, während wir für die weiter oben einen blinden Fleck zu haben scheinen? Liegt es daran, dass wir glauben, die Elite hätte sich diese hohen Plätze verdient? Das ist sehr unwahrscheinlich, wenn man bedenkt, dass Großbritannien mit die geringste soziale Mobilität der entwickelten Welt hat. In einer Welt der gleichen Möglichkeiten hätte Boris Johnson ein Händler werden können - sogar ein ganz guter - aber sicher kein potenzieller Premierminister.
Der Kontrast zwischen diesen beiden Gruppen war in Großbritannien nie schärfer. In einer Zeit, in der jeder Penny aus den Menschen auf den unteren Rängen der Leiter gepresst wird, sammeln die auf den obersten Sprossen immer mehr und mehr an. Und sie tun alles in ihrer Macht stehende, um ihre Gewinne nicht mit dem Rest zu teilen.
Die Torys, die sich im letzten Wahlkampf selbst zur „Partei für das arbeitende Volk“ ernannt haben, schämen sich nicht, den obersten 20% in Großbritannien gleich viele Vergünstigungen zu geben wie den untersten 20%. Wer im Jahr 2016 in Großbritannien reich ist, feiert jeden Tag Weihnachten. Die Reichen bekommen Geschenke, die sie nicht brauchen. Das Geld dafür wird Menschen genommen, die kaum ihre Grundbedürfnisse decken können.
In der neuen Normalität wird man automatisch als „Proll“ oder „Schnorrer“ angesehen, wenn man staatliche Unterstützung braucht, um sich zu ernähren. Die Behörden lassen einen durch viele Reifen springen, nur um sicherzugehen, dass man die Unterstützung auch „verdient“. „The poor and needy are selfish and greedy“ (Die Armen und Bedürftigen sind egoistisch und gierig) ist eine besonders starke Textzeile von den Smiths, weil sie so absurd ist. Aber irgendwie ist sie zum Mantra der modernen Gesellschaft geworden.
Es ist eine abscheuliche Wirklichkeit, in der wir davon ausgehen, dass Menschen, die kaum über die Runden kommen, „selbst Schuld“ seien. Ein deutliches Beispiel dieser „Dämonisierung der Arbeiterklasse“ - wie es der Journalist Owen Jones beschreibt - ist die Maßnahme, die Iain Duncan Smith 2014 einführen wollte. Der frühere Minister für Arbeit und Pensionen - der kürzlich wegen unfairen Sozialhilfekürzungen von seinem Amt zurücktrat - wollte, dass Sozialhilfeempfänger ihre Zahlungen auf „Smart Cards“ erhalten sollten. Damit hätten sie ihr Geld nur in bestimmten Läden für Essen und andere Grundbedürfnisse ausgeben können. Dieser Vorschlag war so herablassend, dass Duncan Smith das Vorhaben aufgeben musste. Aber es zeigt, wie die Torys denken: wer auf Sozialhilfe angewiesen ist, ist wahrscheinlich Alkoholiker oder glücksspielsüchtig.
Wie anders die Dinge an der Spitze der Gesellschaft sind, wo es keine derartigen Prüfungen gibt! Obwohl Steuerhinterziehungen die Landeskasse 70-mal mehr kosten als Sozialhilfebetrug, wird immer auf diejenigen gezeigt, die ständig von Kürzungen betroffen sind.
Wir wissen natürlich warum. Die Camerons haben nicht nur von Steueroasen profitiert, der Vorsitzende der Torys hat persönlich eingegriffen, um sicherzustellen, dass die EU nicht gegen diese obskuren Offshore-Trusts vorgehen würde. Das ist unverhohlener Machtmissbrauch, um persönliche Interessen zu verfolgen.
Neuigkeiten? Mit Sicherheit. Schockierend? Nicht wirklich. Schockierend ist, dass egal wie viele dieser Geschichten aufgedeckt werden, sich nie wirklich etwas verändert. Wir wählen immer wieder dieselben Leute, oder wir bleiben am Wahltag zu Hause, weil abstimmen sowieso nichts bringt. Bis die nächste Wahl kommt, ist alles vergeben - oder eher vergessen - und der ganze Zirkus fängt von vorne an.
Hebt euch eure Wut für die Wahlen auf.
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Dieser Artikel wurde von einem cafébabel-Autor in London veröffentlicht.
Translated from Panama Papers: a tale of two Britains