Pakistan steht nicht auf der Kippe
Published on
In Pakistan drohen die Islamisten die Macht an sich zu reißen, warnen in Europa die Kommentatoren. Dabei haben die islamistischen Parteien gerade erst eine verheerende Wahlniederlage erlitten. Trotz der blutigen Kämpfe und Anschläge sollte deutlich sein, dass sie weiter denn jemals zuvor von einer Mehrheit entfernt sind. Mittwoch 20.
August 2008
Pakistans Präsident Pervez Musharraf tritt zurück und wieder einmal blickt Europa voller Unruhe auf das Land am Indus. Eine Machtübernahme der Islamisten drohe, raunen dunkel die Kommentatoren, sollte es nicht gelingen das fragile Land zu stabilisieren. Nun ist Pakistan tatsächlich ein Land in der Krise. Weite Teile des Staates haben sich aus der Kontrolle von Islamabad gelöst. In drei der fünf Provinzen liefern sich bewaffnete Bewegungen einen blutigen Krieg mit den Sicherheitskräften, um mehr Autonomie vom Zentrum zu erreichen, während die Stammesgebiete an der Grenze zu Afghanistan ohnehin noch nie der Kontrolle des Staates unterlegen haben.
Nach mehr als einem Jahr des Machtkampfs zwischen dem autoritär regierenden Musharraf, der Justiz und der Opposition ist die Legitimität des Staates geschwächt. Das Bündnis aus der Pakistan Muslim League (PML) und der Pakistan People’s Party (PPP) wird allein durch ihre Feindschaft zu Musharraf zusammengehalten. Ob sie nach seinem Rückzug die Kooperation fortsetzen werden, ist ungewiss. Die Lage ist also ernst, doch die Warnung vor einer drohenden Machtübernahme der Islamisten führt in die Irre.
Gegenüber 2002 massiv an Stimmen verloren
So fehlerhaft die Demokratie in Pakistan ist, so vermitteln auch hier die Wahlen ein gewisses Bild der Gesellschaft. Und die Abstimmung im Februar, die als die bisher freiste Wahl seit Gründung des Staates galt, hat gezeigt - eine Tatsache, die von den Medien in Europa weitgehend ignoriert worden ist -, dass die Islamisten in einer demokratischen Abstimmung nicht nur weit davon entfernt sind, eine Mehrheit zu erreichen, sondern auch gegenüber den letzten Wahlen massiv an Stimmen eingebüßt haben.
Im Vorfeld der Wahlen von Oktober 2002 hatten sich zum ersten Mal in der Geschichte Pakistans sechs islamistische Parteien zu einem Wahlbündnis zusammengeschlossen. Die Muttahida Majlis-e Amal (MMA) vereinte Parteien unterschiedlicher Struktur, Zielsetzung und Wählerschaft. Unter Überwindung ihrer Differenzen und mit scharfer Kritik an dem amerikanischen Vorgehen in Afghanistan und dem undemokratischen Verhalten von Musharraf gelang ihnen ein historischer Wahlerfolg. Sie erreichten landesweit elf Prozent.
Auf den Rang einer Splitterpartei reduziert
In der North Western Frontier Province (NWFP) erlangten sie eine absolute Mehrheit und in Beluchistan waren sie an der Provinzregierung beteiligt. Von diesem Erfolg ist fünf Jahre später jedoch nichts geblieben. Nachdem drei der sechs Parteien beschlossen hatten, die Wahlen zu boykottieren, bestand die MMA nur noch dem Namen nach. Die verblieben Parteien erreichten in der Nationalversammlung mit 1,3 Prozent der Stimmen gerade einmal neun Sitze. Als Machtfaktor sind sie damit ausgeschaltet.
Auch in der NWFP, wo sie zuvor mit 46 Sitzen die Mehrheit inne hatten, wurden sie verheerend geschlagen. Mit nur noch 14 Abgeordneten mussten sie die Macht an die säkulare Awami National Party abgeben. Die Islamisten galten in der Grenzprovinz als korrupt, chaotisch und unfähig. Zwar genießen auch viele der anderen Parteien diesen Ruf, doch den Islamisten, die mit dem Anspruch angetreten waren, ihre Politik an den Gesetzen des Islam auszurichten, verzieh man den Gegensatz zwischen Reden und Handeln offenbar weniger.
Eine Macht auf der Straße, nicht im Parlament
Warum kommt in Europa dennoch kein Artikel über Pakistan ohne Verweis auf die islamistische Gefahr aus? Fraglos sind die Islamisten trotz ihrer Wahlniederlage weiterhin eine Bedrohung der staatlichen Stabilität. In einigen der Bergtäler entlang der afghanischen Grenze haben islamistische Stammesmilizen die Kontrolle übernommen. Und die Besetzung der Roten Moschee in Islamabad sowie die Attentate auf Benazir Bhutto in Karachi und Rawalpindi beweisen, dass sie auch in den Städten für Blut und Chaos sorgen können.
Die Islamisten in Pakistan haben ihren politischen und gesellschaftlichen Einfluss schon immer mehr aus ihrer Fähigkeit, Protest zu organisieren und Gewalt auszuüben, bezogen, als aus ihrem Wählerpotential. Das scheint heute noch stärker als zuvor zu gelten. Sie sind eine Macht auf der Straße und in den Bergen, nicht aber im Parlament. Sie haben erhebliches Destruktions- und Destabilisierungspotential, konstruktiv zur Politik beitragen können sie aber nicht. Dass sie in absehbarer Zeit die Macht erobern, ist daher kaum zu befürchten.