Österreich: Nach dem Mozart-Marathon
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Am 27. Januar 2006 wurde in Salzburg feierlich das Mozart-Jahr eröffnet. Ein Jahr danach stellt sich die Frage: Haben wir etwas über das Musik-Genie gelernt?
„Österreich feiert das Genie“ – mit diesem Slogan wurden in Wien und Salzburg die Werbetrommeln gerührt. Den Marketingexperten des Jubiläums stand ein Budget von 30 Millionen Euro zur Verfügung, um die kunstinteressierten Besucher im Mozartjahr zu beglücken. In der Wiener Innenstadt konnte man mit dem Audioguide auf den Spuren des Komponisten wandeln. An fünfzig Stationen seines Lebens waren rote Informationssäulen aufgebaut. Bis zum 5. Dezember – dem Todestag Amadeus’ – prägten sie das Wiener Stadtbild und begleiteten die Touristen auch via Mobiltelefon.
Wie Mozartjahr-Intendant Peter Marboe versprochen hatte, konnte ein „Mozart-Overkill“ vermieden werden. Im Geschäftsalltag fielen nicht mehr kitschige Souvenirs auf als sonst, an Mozarts Todestag musste man sogar gezielt nach Veranstaltungen suchen.
24 Stunden Mozart
Den Höhepunkt hatte das Mozartjahr ohnehin schon am 27. Januar 2006 erlebt, dem 250. Geburtstag des Komponisten, als in Salzburg und Wien der Startschuss zu den Jubiläumsveranstaltungen fiel. Salzburg bot eine Starparade, ein Straßenfest und Filme zu Mozart. In Wien gab es an parallelen Veranstaltungsorten von allem etwas – ein bisschen Lesung ein bisschen Konzert, ein bisschen Ausstellung. Der Mozartkenner konnte à la carte wählen.
Das weltweite Galaprogramm „24-Stunden Mozart“ der Firma EuroArts Music International war trotz seiner Länge nur kurzlebig: Von dem Konzert am 27. Januar kann man ohne Anmeldung noch nicht einmal kleine Hörproben herunterladen, die Aufnahmen werden nicht als CD oder DVD verkauft.
Wiener Musik-Marathon
Aus dem einjährigen Alltag mit Mozart stach ein Ereignis am 7. Mai 2006 in Wien hervor: Zu Ehren des unermüdlichen Komponisten wurde ein doppelter Marathon organisiert. Im Großen Saal des Musikvereins spielte Rudolf Buchbinder mit den Wiener Philharmonikern sechs Klavierkonzerte von Wolfgang Amadeus Mozart, während draußen die Läufer die Wiener Marathonstrecke bewältigten – um im Ziel Ausschnitte aus den Klavierkonzerten zu hören. Schöner hätte man auf die Verbindung geistiger und körperlicher Energiekonzentration nicht hinweisen können, die Sportler wie auch Künstler zu Spitzenleistungen befähigt.
Gedenken gegen den Strich
Doch nicht alle Veranstaltungen waren nur darauf aus, das Genie Mozarts in den Himmel zu heben. Der Autor Kurt Palm trug auf seine Weise zum Gedenkjahr bei, indem er feststellte, dass Mozart „heute Kommunisten wählen“ würde. In seinem Buch „Der Mozart ist fett und wohlauf“ enthüllte er einige kulinarische Vorlieben des Komponisten. Schließlich setzte das Herbstfestival „Wien Modern“ die Oper „I hate Mozart“ von Bernhard Lang aufs Programm.
Ein anderes Buch konnte mit Vorurteilen aufräumen. In seiner neuen Mozart-Monographie stellt Manfred Wagner klar, dass Mozarts Jugendwerk keine unreife „Unterhaltungsmusik“ sei. Auch widerlegt er die verbreitete These, der Künstler sei von einem neidischen Rivalen vergiftet und nach seinem Tod von seinen Zeitgenossen vergessen worden.
Alte Themen – neue Erkenntnisse
Im Anschluss an einen Vortrag im Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum stand am 12. Dezember Dr. Peter Dusek dem interessierten Mozart-Publikum nach einem Vortrag Rede und Antwort. Der Leiter des Fernseharchivs des österreichischen Rundfunks zog in gemütlicher Runde, umgeben von Mozartkugeln, die Bilanz des vergangenen Jubiläumsjahres.
Selbst als Mozart-Kenner sei er erstaunt gewesen, wie viel Neues zu Tage befördert geworden sei: Die große Ausstellung „Mozart. Experiment Aufklärung“ habe ausführlich den Einfluss der Freimaurerbewegung auf Mozarts Schaffen gezeigt. Im Gegensatz zur geltenden Lehrmeinung, die den Komponisten gern als genialen Spinner hinstelle, habe man hier einen Intellektuellen kennengelernt, der mit der gleichen Intensität komponierte, musizierte, Bücher verschlang, sich unterhielt und gesellschaftlich engagierte.
Für die Festlichkeiten zum 300. Geburtstag des Genies im Jahr 2056 prognostiziert Dusek einen noch viel größeren Trubel. Wahrscheinlich werde es dann möglich sein, alle 22 szenischen Werke auf die Bühne zu bringen. Diesmal wurden ja einige noch konzertant oder halbszenisch aufgeführt. Um den Sängernachwuchs müsse man sich derzeit keine Sorgen machen, zumindest nicht in der Spitzenklasse, in der Anna Netrebko, Rolando Villazón und Ildebrando d’Arcangelo singen. Besorgt zeigte sich Dusek allerdings um den Verlust der musikalischen „Mitte“ – zugunsten einer immer größeren Konzentration auf Hype und Starparade.