Oslo - eine Stadt für den zweiten Blick
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Die Stadt des Friedensnobelpreises mag im Zentrum einen Charme des Verfalls ausstrahlen. Doch die östlichen Vorstädten werden von kultureller Vielfalt und einer jungen, studentischen Bevölkerung belebt.
Statt idyllischer Fjorde sieht sich der Ankömmling in der norwegischen Hauptstadt Oslo zunächst mit Junkies am Hauptbahnhof und Prostituierten rund um die historische Festung Akershus konfrontiert. Von der Burg im touristischen Herzen Oslos ist es gerade mal ein Steinwurf bis zum erst kürzlich eröffneten Nobel-Friedenscenter in der einstigen Eingangshalle des alten Osloer Westbahnhofs, wo die Menschenrechte im Mittelpunkt stehen. Doch kürzer als der Weg in die noblen Ausstellungshallen, könnte man zynisch anmerken, ist der Weg von den Luxuskreuzfahrtschiffen zu den rund um die Festung verstreuten jungen Frauen, von denen – so darf man mutmaßen – nicht wenige Opfer des internationalen Menschenhandels sind.
Ach, Europa!
Es ist knapp zwanzig Jahre her, dass der deutsche Schriftsteller Hans-Magnus Enzensberger in seiner Aufsatzsammlung „Ach Europa!“ den für Oslo charakteristischen Charme des Verfalls beschrieb, der sich besonders in Straßenzügen wie der Skippergata offenbart, jener Straße, die Hafen und Hauptbahnhof miteinander verbindet. Auch heute noch bietet die Skippergata ein Bild des Verfalls, und zwar im doppelten Sinne, denn einzig das Elend der Menschen überbietet hier noch den traurigen Zustand der Häuser. Nur wenige Schritte weiter kreuzt die Skippergata Oslos Einkaufsmeile Karl Johan, und wiederum zeigt sich eine brutal anmutende Ironie. Die Not und das Elend in der Welt, das den Passanten von den Mitarbeitern diverser Hilfsorganisationen in sorgsam angelegten Plastikordnern vorgezeigt wird, ließen sich in der Skippergata und rund um Akershus durchaus auch am lebenden Objekt studieren.
Jenseits der Trolle
Den Charme Oslos findet man allerdings nicht im Zentrum; er hat sich verlagert in die vielen kleinen Stadtteile und ehemaligen Arbeiterviertel im Osten der Stadt. Besonders das mittlerweile vor allem bei Studenten und jungen Leuten ausgesprochen populäre Grünerløkka sowie das immer noch als so etwas wie ein Geheimtipp geltende Viertel Torshov erwachen im Frühjahr und Sommer zum Leben. Hier fühlt man den wahren Puls Oslos, beispielsweise in einem der zahlreichen Parks, in Cafés und Kneipen, oder einfach bei einem Spaziergang durch die alten Straßenzüge oder entlang des Ufers des Flusses Akerselva. Überhaupt staunt man, dass sich hier noch einmal eine völlig neue Stadt auftut, ganz anders als die vornehmen und eher verschlossen wirkenden Viertel im Westen der Stadt, ganz zu schweigen von den teuren Villenvierteln am Holmenkollen. Wahrscheinlich meint man genau diese alten Arbeiterviertel im Osten Oslos, wenn man sich Gedanken macht über die Seele Oslos, die sich mit Sicherheit nicht in den Touristenattraktionen wie dem Skulpturenpark Gustav Vigelands oder der Skisprungschanze am Holmenkollen ausdrückt. Jenseits der Welt der Norwegerpullover entdeckt man im Osten eine Stadt, die zwar nicht mehr viel mit dem Cliché der Trolle und Fjorde zu tun hat, aber mit seiner kulturellen Vielfalt sehr viel mehr ausdrückt über den gegenwärtigen Zustand der Stadt und ihrer Menschen. Hier tut sich mehr, als man zunächst vermuten würde. Oslo ist eine Stadt für den zweiten Blick.
PRAKTISCHE INFORMATIONEN
Sprache:
Norwegisch ist nicht sonderlich schwer zu erlernen, besonders wenn man eine andere nordische oder germanische Sprache spricht. Notfalls kommt man auch mit Englisch über die Runden.
Hochschulen:
Neben der Universität von Oslo gibt es einige kleinere Hochschulen wie die Norwegische Musikakademie oder die Norwegische Schule für Sportwissenschaften.
Der besondere Ort:
Fast schon zu gut: “Blå” ist Kneipe, Biergarten und Konzertsaal am Ufer der Akerselva. Hier ist das Neuste aus der sehr innovativen norwegischen Musikszene zu hören.
Machen:
Schlittenfahren am Holmenkollen. Spaß ist noch die beste Medizin gegen die Dunkelheit des norwegischen Winters.
Bleibenlassen:
Am 17. Mai – dem Nationalfeiertag – auf der Straße mit der EU-Fahne wedeln. Sie werden sich keine Freunde machen…
Unterkunft:
Die Kehrseite Oslos: Die Mieten sind sehr teuer. Am besten auf den schwarzen Bettern in der Universität von Oslo nach Anzeigen suchen.