Ökomafia - stoppt den Biozid in Neapel
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IÜD Heidelberg - Italienische AbteilungNeapel hat sich als neues Zentrum im Kampf gegen Umweltsünden etabliert.
Am Tag nach der ersten großen Umwelt-Protestbewegung in der Region Kampanien vom 26. Oktober gaben die meisten italienischen Zeitungen und TV-Sendungen mal wieder einer schlechten Informationskultur den Vorrang. Überwiegend ging es – in bester italienischer Tradition - um angebliche interne Spannungen und Meinungsverschiedenheiten verschiedener Gruppierungen, die bereits seit Jahrzehnten mit den Umweltsünden der Region zu kämpfen haben. Dabei wird die Liste der zerstörten Gebiete aufgrund systematischer Verseuchung immer länger und kann heute auf ein einziges Wort heruntergebrochen werden: Biozid – die Zerstörung jeglicher Lebensform.
Abfallkreislauf
Abgesehen von der Stimme einzelner Umweltaktivisten, die zum Schweigen genötigt völlig in Resignation unterging, gab es anfangs nur die jährlichen Berichte der italienischen Umweltschutzorganisation Legambiente, um örtliche Umweltsünden anzuprangern. In einem dieser Berichte fiel im Jahr 1994 zum ersten Mal der Begriff Ökomafia. In den folgenden Jahren entstanden unzählige Gruppierungen, welche die einzelnen Probleme auf unterschiedliche Weise zu bekämpfen versuchten: durch die Wiedereröffnung von Mülldeponien, die Errichtung von Verbrennungs- und Müllaufbereitungsanlagen, auf der Suche nach der Wahrheit hinter dem rasanten Anstieg von Krebserkrankungen in einigen Gegenden und gegen den Müllnotstand.
2007 erschien unter dem Titel Biùtiful cauntri ein gewagter Dokumentarfilm der italienischen Regisseure Esmeralda Calabria, Andrea D'Ambrosio und Peppe Ruggiero – vielleicht bisher der einzige, der die unbestreitbaren Zusammenhänge zwischen Umweltzerstörung und sozialen Missständen, dem Abfallkreislauf, einer gleichgültigen und korrupten Politik, der Camorra, der Ökomafia und einem skrupellosen Unternehmertum detailgetreu erzählt und angreift.
Mehr noch als die apokalyptische Vorstellung einer zerstörten Welt, versetzt das Schreckgespenst aus Politik und Justiz die Menschen in Angst und treibt sie nun endlich auf die Straße, um ihr Recht auf Gesundheit und Leben einzufordern. Ob durch die schnelle Verbreitung im Internet, eine Predigt in der Kirche, einen Artikel in der katholisch geprägten Tageszeitung Avvenire, eine spontane Bürgerversammlung oder eine Diskussion an der Universität – in den letzten Monaten haben die Protestbewegungen in der Region deutlich zugenommen.
„Seit dem Beginn des Müllnotstands im Jahre 2008 haben sich die lokalen Gruppierungen unter dem Slogan 'Stoppt den Biozid' zu einer großen gesellschaftlichen Bewegung zusammengeschlossen. Angeprangert werden sollen die schweren Folgen der Umweltkatastrophe auf Gesundheit und Leben der Bevölkerung. Zudem wollen wir die Gesundheit besser schützen", erklärt der Journalist Giuseppe Manzo. Er war an der Organisation der Demonstration #fiumeinpiena (Hochwasser) am vergangenen 16. November beteiligt und verspricht, Neapel mit tausenden Demonstranten aus ganz Kampanien, sowie aus Latium, Apulien und anderen Regionen Italiens, zu „überfluten“. Die Demo soll in einer Art Occupy-Protest enden, einer dauerhaften Plattform für Protest, Information und Konfrontation.
glokale Herausforderung
Tatsächlich werden Themen wie Biozid und Ökomafia längst auch international diskutiert. Dies wurde gegen Ende der Umwelttagung International Media Forum on the Protection of Nature der Organisation Greenaccord deutlich, die vom 6. bis 9. November in Neapel stattfand. Dabei sprachen renommierte internationale Experten für Umweltfragen, Nachhaltigkeit und Green Economy vor über 100 Journalisten aus verschiedenen Ländern und legten ihnen die Verantwortung auf, die Öffentlichkeit über aktuelle Umweltthemen zu informieren. So soll der Verhüllungskultur, deren Wurzeln im Privatsektor liegen, entgegen gewirkt werden.
Gleichzeitig fand zwischen dem 9. und 15. November eine regelrechte Biozid-Tour statt. Eine Delegation von Akademikern, Forschern und Umweltaktivisten aus aller Welt war in Italien, um sich als Partner des von der EU-Kommission finanzierten Forschungsprojektes Environmental Justice Organisations Liabilities and Trade (EJOLT) dem Kampf gegen Umweltsünden anzuschließen. Zu diesem Anlass organisierte die italienische Organisation A Sud eine Exkursion in die Gebiete in Latium und Kampanien, in denen sich die Probleme exemplarisch beobachten ließen.
Zusammen gegen Umweltverbrechen
„Das, was in Kampanien ans Licht kam, ist in Wirklichkeit ein Problem der undurchsichtigen Verwaltung des Gebietes. Ein Problem, das jedoch nicht nur lokal zu verorten ist. Die Bevölkerung Kampaniens wurde im Skandal um die Hausmüllentsorgung gedemütigt, aber auf globaler Ebene liegt das eigentliche Problem in der Entsorgung des Industrie-Sondermülls", betont Antonio Marfella, Leiter des italienischen Krebsforschungsinstituts (Istituto Nazionale Tumori IRCCS). Die verschiedenen Punkte, wie die dringende Forderung nach Transparenz und Gerechtigkeit, nach einer strengeren Kontrolle der Giftmüllentsorgung, nach der Schaffung einer zentralen Politik, die der Industrielobby etwas entgegenzusetzen hat – nicht nur auf europäischer Ebene – sowie der Aufnahme von Umweltverbrechen in die nationale Gesetzgebung, sind nun in der gemeinsamen Bewegung gegen den Biozid vereint. „Wir wollen klare Antworten seitens der Regierung zu der Zerstörung, die in den Gebieten Kampaniens geschieht", betont Mary Pianese von der Umweltorganisation Ricominciamo dalle donne e non solo (Frauen machen den Anfang, aber nicht alleine).
Neapel - Zentrum der Umweltrevolution?
Eine Sensibilisierung der Bevölkerung Kampaniens könnte die Voraussetzung für eine noch größere moralische und intellektuelle Revolution im Bereich der Umweltverbrechen mit internationaler Tragweite schaffen. Ohne Zweifel ist die Forderung hin zur Nachhaltigkeit, vor allem in Bezug auf die Abfallentsorgung, eine kollektive Herausforderung und die geltenden Werte und Prioritäten müssen global überdacht werden. Das, was in Kampanien geschah und geschieht, ist ein mögliches Szenario für viele andere Länder. Deshalb ist es besonders wichtig, als erstes Beispiel für ein Land zu dienen, in dem Sozial- und Umweltgerechtigkeit herrschen. Für Meinungsverschiedenheiten fehlt da einfach die Zeit.
Translated from TERRA DEI FUOCHI: NESSUNA DIVISIONE, OCCORRE SOLO DIRE STOP AL BIOCIDIO