Ohne Charisma, ohne Ideen, aber mit Amt
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José Manuel Durao Barroso, der neue Kopf der Kommission, ist für viele ein unbeschriebenes Blatt. Was ist von dem Portugiesen zu erwarten im Brüsseler Machtpoker?
Kurz vor Ende seiner Amtszeit als Ratspräsident der EU hat Irlands Ministerpräsident Bertie Ahern das unansehnliche Geschacher noch beendet. Der bisherige portugiesische Ministerpräsident José Manuel Durao Barroso wird neuer Präsident der Europäischen Kommission. Mit dem Mann aus Südeuropa haben die Staatenlenker einen ihrer Kollegen berufen, der nicht in dem Ruf steht, dem Amt des Kommissionspräsidenten mit besonders viel Charisma oder überzeugenden integrationspolitischen Vorschlägen neuen Glanz zu verleihen. Bisher fiel der Konservative eher als braver Biedermann in Reihen der Regierungschefs auf. Zum Beispiel als er vor Jahresfrist am Vorabend des Irakkriegs flugs die Kriegsbefürworter Bush, Blair und Aznar auf die Azoren lud.
Kraftprobe der Konservativen
Genau deswegen sollen sich auch Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac und Deutschlands Bundeskanzler Gerhard Schröder gegen den konservativen Portugiesen gesperrt haben. Aber zum Schluss kam auch die mächtige Achse aus Europas Zentrum nicht mehr an Barroso vorbei. "Eine große Mehrheit
der Regierungschefs", so Bertie Ahern, habe Barroso sofort unterstützt. Und noch ein wichtiger Akteur im Brüsseler Machtpoker erwärmte sich für den Portugiesen: Hans-Gert Pöttering, Vorsitzender der konservativen
EVP-Fraktion im Europaparlament. "Ein überzeugter Europäer und Vertreter der Gemeinschaftsmethode", ist Pöttering mit der Wahl zufrieden. Nach der gewonnenen Parlamentswahl vom 13. Juni hatten Europas Konservative schnell deutlich gemacht, dass sie bei der Besetzung des Kommissionspostens ein
Wörtchen mitreden möchten.
Dass die Kraftprobe der Konservativen erfolgreich ausgeht, ist allerdings noch nicht sicher. Zwar muss das Europaparlament der Ernennung des Kommissionspräsidenten zustimmen. Nirgendwo steht aber geschrieben, dass auch die Mehrheitsfraktion ihre Zustimmung erteilen muss. Mit 280 Abgeordneten hat die EVP zwar die meisten Abgeordneten in Brüssel und Straßburg - für einen Erfolg bräuchte José Durao Barroso aber 367 Stimmen.
Wo die herkommen sollen, das ist noch längst nicht klar. Denn Europas Volksvertreter sind in ihrer Mehrheit nicht wirklich über den Vorschlag der Regierungschefs begeistert. "Ich wüsste keinen Grund, warum ich den wählen sollte", meint der Grünen-Fraktionschef Dany Cohn-Bendit. "Es wird sehr schwierig, die Sozialdemokraten davon zu überzeugen, dass der Nominierte ein geeigneter Kandidat ist", warnt der SPE-Abgeordnete Poul Rasmussen. Auch die Liberalen sind skeptisch. So könnte die Personalfrage der ansonsten so konsenssüchtigen europäischen Volksvertretung einen handfesten parteipolitischen Knatsch bescheren.
Unbegründet wäre der nicht. Denn der geplante Weg Barrosos von der Spitzen der portugiesischen Regierung ins (bürokratische) Herz Europas scheint nicht unbedingt schlüssig. Barroso ist bisher weder als großer Charismatiker bekannt, noch als profilierter Europapolitiker. "Das Charisma kommt mit der Verantwortung", ist einer von Barrosos Lieblingssätzen. Sein Bekanntheitsgrad außerhalb Portugals dürfte gegen Null tendieren, in Brüssel gilt der gemäßigte Konservative als unbeschriebenes Blatt. Was er als Kommissionspräsident genau vorhat, ist weitestgehend unbekannt. Als Professor für Politik und Jura scheint er immerhin die nötige fachliche
Qualifikation mit zu bringen.
Der Zackenbarsch
Auch wird Barroso nicht auf einer Sympathie-Welle aus seiner Heimat gen Europas Hauptstadt getragen. Ein knall-harter Sparkurs bescherte Barroso ein Popularitätstief. Zu Hause wird der einstige Marxist mit dem Zackenbarsch verglichen - weil er in der Vergangenheit seine politischen Ansichten rege wechselte. Welche Position der "Neue" zwischen Europas Föderalisten und den Integrationsskeptikern einnimmt, ist noch nicht auszumachen. Immerhin möchte er eine Brücke zwischen US-Kritikern und überzeugten Atlantikern in der EU schlagen. Europa nach dem Irak-Desaster wieder zu einen, so lautete ein Kernsatz Barrosos nach seiner Ernennung. Die Motivation, ihn zu berufen scheint woanders zu liegen: Mit Portugal stammt Barroso aus einem kleinen Mitgliedsland, dazu ist er nicht Wunschkandidat Frankreichs und Deutschlands. Das macht ihn für alle Staaten wählbar. Auch das sagt schon viel über den künftigen Brüsseler Machtpoker aus.
In Brüssel wartet ein prallvolles Aufgabenbuch auf den neuen Chef. Die darbende Lissabon-Strategie, mit der Europa bis 2010 stärkste Wirtschaftsraum der Welt werden will, wartet auf neuen Pepp. Für Barroso als
Portugiesen eigentlich Ehrensache. Dann muss die Kommission eine Finanzverfassung für die Jahre ab 2006 erarbeiten - da ist der Krach mit so manchem auf's Sparen programmierten Regierungschef vorprogrammiert. Weitere Beitrittsverhandlungen müssen geführt werden. Und die Gräben, die Irak-Krieg und Verfassungs-Debatte zwischen kleinen und großen Mitgliedsstaaten, Atlantikern und Washington-Kritikern aufgerissen haben, könnte der Irak-Befürworter und überzeugte EU-Freund aus einem kleinen Mitgliedsland durchaus zuschütten. Doch vielleicht kommt es ja besser als erwartet. Schließlich ging Barrosos Vorgänger Romano Prodi ging mit vielen Vorschusslorbeeren an den Start und tapste dann durch jedes Brüsseler Fettnäpfchen. Hoffen wir, dass es der Neue andersherum macht.