Nur bei den Grünen denkbar
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Cem Özdemirs Wahl ist ein wichtiges Signal, da sie zeigt, dass es Einwandererkinder bis ganz nach oben schaffen können, wenn man sie nur lässt. Allerdings sind die Grünen kaum repräsentativ für die deutschen Parteien. Bis auch andere einen türkischstämmigen Vorsitzenden zulassen, wird noch viel Zeit vergehen. Freitag, 21.
November 2008
Der Vergleich ist schon nach einer Woche so abgenutzt, dass man ihn kaum noch verwenden möchte. Kaum eine deutsche Zeitung, die Cem Özdemir nach seiner Wahl zum Vorsitzenden der Grünen nicht als deutschen Obama feierte, während die türkische Presse in Abwandlung von Obamas Schlachtrufs jubelte: „Yes, we Cem!“ Doch der Vergleich ist berechtigt. Ja, er drängt sich geradezu auf. Auch wenn die Wahl eines Sohn türkischer Gastarbeiter an die Spitze der Grünen nicht mit der Wahl eines Schwarzen ins Weiße Haus vergleichbar ist, bedeutet es doch einen weiteren wichtigen Schritt zur Öffnung der deutschen Politik.
Gerade dass Özdemir nicht als Vertreter der Migranten gewählt worden ist – in seiner Bewerbungsrede auf dem Parteitag der Grünen hat er seinen familiären Hintergrund mit keinem Wort erwähnt – ist bemerkenswert. Inzwischen stellen fast alle Parteien in Stadtteilen mit hohem Migrantenanteil türkischstämmige Kandidaten auf. Der Unterschied zu Özdemir ist aber, dass sie gerade deshalb aufgestellt werden, weil man hofft, dass sie als Migranten Stimmen gewinnen können. Als Politiker unabhängig von ihrem ethnischen Hintergrund werden sie nicht gesehen.
Die Außenseiterrolle überwunden
Neben dem ‚türkischen Schwaben’ Özdemir gibt es inzwischen einige Beispiele von Einwandererkindern, die ihre Exotenrolle überwunden haben. Der Schriftsteller Feridun Zaimoglu etwa war mit ‚Kanak Sprak’ zuerst als Schriftsteller kaum ernst genommen, stattdessen als Vertreter einer unbekannten Literatenspezies bestaunt worden. Mit seinem neusten Roman ‚Liebesbrand’ aber hat er es geschafft, einfach als Schriftsteller gesehen zu werden – egal ob türkischstämmig oder nicht.
Auch der Regisseur Fatih Akin oder die Schauspielerin Jasmin Tabatabai, die bei den Wormser Nibelungenfestspielen sogar die Kriemhilde spielte, werden nicht länger auf ihren ‚Migrationshintergrund’ reduziert. Zu Recht mag man hier einwenden, dass die Welt der Kunst ebenso wenig wie jene des Sports als Gradmesser der Integration genommen werden kann, da hier eigene Regeln gelten. Für die Politik gilt dies aber nicht.
Nicht auf andere Parteien übertragbar
Sie ist durchaus ein Gradmesser. Allerdings kommt den Grünen in der Welt der deutschen Politik eine Sonderrolle zu. Wie keine andere Partei stehen sie für Offenheit, Vielfalt und Toleranz gegenüber anderen Lebens- und Kulturformen. Während für andere Parteien deutsche Kultur noch christlich-abendländisch und eben deutsch war, waren sie bereit, auch andere Einflüsse anzuerkennen und aufzunehmen.
Dass es nun die Grünen sind, die einen Einwanderersohn an ihre Spitze wählen, ist daher kein Zufall - und kaum repräsentativ für andere Parteien. So ermutigend Özdemirs Wahl für die Integration ist, da sie Migranten zeigt, dass sie in der Politik eine Chance haben, selbst dann, wenn sie nicht unter dem Etikett ‚Migrant’ antreten, ist es noch ein weiter Weg bis auch die SPD oder gar die CSU von einem Politiker mit türkischen Wurzeln geführt wird.