Nuoc: Weltungergang auf Vietnamesisch
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Stell dir vor, die Welt geht unter und du bist ganz allein. Der vietnamesische Regisseur Nguyễn-Võ Nghiêm-Minh erzählt in Nước (2014) davon, wie die Erderwärmung unsere Lebenswelten verändert, und legt damit ganz nebenbei den ersten Science Fiction-Film aus Vietnam vor. Ein ambitioniertes Projekt, aber funktioniert es auch auf der Leindwand?
Sao reißt ungeduldig am Anlasser ihres kleinen Fischerboots. Es folgt ein dumpfes Aufröhren, unruhige Wellen schlagen um den Bug, bis ihr Boot sich langsam ausrichtet - in Richtung einer futuristischen, im Meer versunkenen Stadt. Nachdem ihr Mann von zwielichtigen Industriebossen umgebracht worden ist, lebt Sao alleine in ihrer Palmwedelhütte auf dem Meer. Der durch die Erderwärmung unablässig steigende Meeresspiegel hat ganz Südvietnam unter Wasser gesetzt: Nur Fischerboote gibt es noch, Häuser auf Stelzen und schon lange kein Gemüse mehr. Nachdem der kleine Bruder ihres Mannes Saos Misstrauen geweckt hat, stößt sie bei ihren Nachforschungen in einer örtlichen Forschungsstation auf mysteriösen Salat, gefährliche Gestalten und ihren früheren Liebhaber Thi-Giang, der tief im feuchten Gentechnik-Sumpf steckt.
Vietnams erster Science Fiction-Film
Nguyễn-Võ Nghiêm-Minhs neuer Film Nước (2014), der im Ausland als 2030 vermarktet wird, ist vieles: Endzeitfantasie, Science-Fiction-Streifen, Liebesdrama und Ökodystopie. Zahllose Probleme und ihre Lösungsansätze rund um die Erderwärmung werden hier verwoben, allerdings aus einer asiatischen Perspektive und in einem Setting, das so futuristisch gar nicht wirkt. Wird die ganze Welt untergehen und wenn ja, wann? Cafebabel Berlin hat sich den Film angesehen - und den Kinosaal mit gemischten Gefühlen verlassen.
Offizieller Kinotrailer des vietnamesischen Science Fiction-Dramas Nước (2014).
Lilian: Ich finde die Idee toll, eine Science-Fiction-Geschichte zu erzählen, die gar nicht wie eine wirkt: Ohne Star-Trek-Ästhetik und ohne Aliens, nur der Meeresspiegel ist plötzlich höher. Nước ist damit kein eindeutiger Endzeitfilm, in dem am Ende alles zusammen stürzt und in Flammen aufgeht.
Christina: An sich ist der Stoff wirklich sehr gut. Schade ist aber, dass Inhalt und Dramaturgie im Laufe des Films immer schwächer werden. Am Ende verpufft alles einfach. Außerdem werden einige Motive nicht konsequent entwickelt: Am Anfang sind auf der Forschungsplattform von Thi-Giang überall Securities und Kameras. Sao wird sogar überwacht, als sie in ihre Schlafkoje gebracht wird. Später spaziert sie aber nach Belieben mit einem Messer durch die Gegend. Und dann der Schluss: Die Kamera fährt unter die Meeresoberfläche und man sieht das Café, in dem Sao Thi-Giang das erste Mal getroffen hat. Hier ist fast alles intakt, sogar die Bücher. Dann zieht sich das Wasser auf einmal zurück und das Liebespaar liegt im Sand. Was genau soll das bedeuten?
Problematische Liebeswahl im endzeitlichen sand
Daniel: Ich finde das Ende vor allem deshalb problematisch, weil es nur scheinbar offen ist. Entweder sind Sao und Thi-Giang tot und müssen sich nicht um den Meeresspiegel kümmern oder er ist tatsächlich zurückgegangen. Die Wolkenkratzer und vollbeladenen Schiffe im Hintergrund zeigen, dass sich an der Weltwirtschaft, die für den Klimawandel verantwortlich ist, nichts geändert hat. Der Rückgang des Meeresspiegels in der Schlussszene wirkt gottgegeben. Dieses vertuschte Happy End ist aber trotzdem in bester Hollywood-Manier gefilmt, alles endet paradiesisch.
Lilian: Das Ende ist wirklich unbefriedigend, aber auch wenn der Plot etwas hinkt, sind die blauen Bilder doch sehr schön. Vor allem wenn man bedenkt, dass der Kameramann keine künstliche Beleuchtung einsetzen konnte und vom Wetter und den Gezeiten abhängig war. Auch die Einsamkeit von Sao auf dem Meer wird schön klar. Ihre Figur ist überhaupt sehr spannend: Sie wirkt sehr emanzipiert, hat studiert und agiert gegenüber ihrem Ehemann, dessen Bruder und Thi-Giang sehr selbstbewusst. Sao ist eine sehr starke, aber auch sehr verlorene Figur. Auf der einen Seite ist sie unabhängig, aber nach dem Tod ihres Mannes doch ausgeliefert.
Christina: Das stimmt, die Charaktere sind interessant. Aber mich irritiert, wie schlecht vieles technisch umgesetzt wurde. Da wird die Kamera für ein Bild auf einmal schief gehalten. Wenn das ein konsequentes Stilmittel gewesen wäre, hätte ich es nachvollziehen können. Es tauchte aber nur zwei oder drei Mal auf. Hinzu kommt, dass der Schnitt an einigen Stellen schlecht war. Das lenkt einfach zu sehr ab. Am Ende bricht die visuelle Ästhetik dann ganz ab, weil die animierten Bilder einfach schlecht gemacht sind.
Daniel: Auch wenn die Ästhetik etwas gebastelt wirkt, stört das für mich den Gesamteindruck nicht. Auf dem neutralen Wasserhintergrund treten die Charaktere meditativ, aber deutlich hervor. Nước ist eben ein Märchen, trotz eines so aktuellen und bedeutenden Themas wie dem Klimawandel. Die kapitalistischen und techno-wissenschaftlichen Wirtschaftsstrukturen, für die Thi-Giang symbolisch steht, haben die Erderwärmung verursacht. Durch Saos Liebeswahl werden sie zur einzigen zukunftsfähigen Strategie erklärt. Sogar ihre Liebe zu Büchern wird als passé dargestellt. Was mit der paradiesischen Wasserwelt untergeht, ist nicht nur das alte, bäuerliche Leben und die Schriftkultur. Mit ihr ist auch die Hoffnung dahin, die globale Weltordnung zu revidieren. Saos Entscheidung für Thi-Giang legitimiert symbolisch das passive Weiterträumen unter den gleichen politisch-ökonomischen Rahmenbedingungen. Das ist die problematische Botschaft von Nước, der sein aktuell relevantes Kritikpotenzial verfehlt.
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