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Nuits Capitales? Kalte Dusche für Pariser Nachtleben

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Katha Kloss

Lifestyle

Nachdem Paris seit ein paar Jahren als Partypooper Europas gilt, versucht die Stadt - allen voran eine Gruppe tapferer Retter der Nacht - mit allen Mitteln und Kompromissen die legendäre Ville Lumière erneut zum Mekka für Nachtschwärmer zu machen. Mit mehr oder weniger Erfolg…

Schwapp! Eine beachtliche Menge Wasser prasselt aus einem der oberen Stockwerke eines Mietshauses auf eine Gruppe wartender junger Menschen vor einer Bar. Bevor sich die begossenen Pudel darüber bewusst werden, zur Seite ausweichen und sich die nassen Haarsträhnen aus dem Gesicht wischen - schwapp - wird eine zweite Eimerladung Wasser auf die Straße katapultiert. Treffer - wieder sind ein paar Passanten und verdutzte Neuankömmlinge patschnass. Und nicht nur das.

Nach ein paar Minuten stellen die Begossenen nicht ohne Entsetzen fest, dass hier etwas stinkt! Und zwar das Wasser. Bei genauerem Riechen stellt man fest, dass der Wasserladung eine ordentliche Portion Eau de Javel - ein besonders ätzendes und in Frankreich beliebtes Putz- und Bleichmittel - beigemischt wurde. „Meine Jacke wirst Du mir bezahlen, connard!“ ruft ein Franzose, bei dem das Bleichmittel bereits anfängt erste Wirkungen zu zeigen. Dann wird es richtig fies - eine Bierflasche kommt von oben geflogen und zerschellt mitten auf der Straße. Nun reagieren auch die Türsteher, bitten die entnervten Leute sich zu beruhigen, auf der Seite unterzustellen. Polizei wird gerufen. Kurze Zeit später halten 3 Streifenwagen, um die Lage zu sondieren und dann so schnell wie sie gekommen sind auch wieder zu verschwinden. Eine Lappalie?

Der gewiefte Leser mag sich nun fragen, in welcher Dorfkneipe er gelandet ist. Doch weit gefehlt. Unsere Partygänger haben ihre kalte, und obendrein ätzende Dusche mitten in - Paris erhalten. Es ist nach zwei Uhr nachts und die Wartenden vor dem Chez Moune, ehemaliges lesbisches Kabarett unweit von Pigalle, sind in heller Aufruhr. Denn nicht nur sie, sondern das Pariser Nachtleben allgemein erhält seit geraumer Zeit eine kalte Dusche.

Hier: Baiser Salé/ ParisDer Ville Lumière geht das Licht aus: 2009 wurden laut Präfektur insgesamt 119 Pariser Etablissements aufgrund von Lärmbelästigung provisorisch geschlossen. Anzeigen von Anwohnern mehren sich, besonders seit man im Rahmen der Nichtrauchergesetze vom Januar 2008 nicht mehr in Bars und Clubs rauchen darf. Und: Wer sich für eine ordentliche Stange Geld (6000/7000 Euro/qm²) für eine dieser sündhaft teuren Eigentumswohnungen 30 Jahre verschuldet hat, kann ja zumindest erwarten, in der Nacht seine Ruhe zu haben, damit er am nächsten Morgen fit ist. Schließlich will der Kredit ja abbezahlt werden. Sagts und füllt seinen Eimer voll Wasser - einen Spritzer Eau de Javel - Fenster auf - fertig!

Gentrifizierung - ick hör Dir trapsen!

 Es folgten das Entracte und kürzlich der Nachtclub La Loco am Boulevard de Clichy. Allerdings hat man dann doch eingelenkt und anstatt eines Touri-Gourmettempels einen neuen Nachtclub - La Machine du Moulin Rouge - eröffnet. (Im Bild: Opa Bar Paris)Die im Oktober 2009 von DJ Eric Labbé ins Leben gerufene Initiative Quand la nuit meurt en silence [Wenn die Nacht in aller Ruhe ausstirbt] hat sich den Kampf gegen ebendieses Mentalitätsproblem in Paris auf die Fahnen geschrieben. Damals hatten 16.000 Personen eine Petition zur Rettung der Pariser Nächte unterschrieben, eine kontinuierliche Reflektion, die am vergangenen 12. und 13. November in den ersten Pariser „Generalständen der Nacht“ - den Etats généraux de la nuit - gipfelte. Zu diesem Stelldichein diskutierten Künstler, Soziologen, Nachtschwärmer und Anwohnervertreter darüber, wie aus dem dösenden ein wieder tosendes Paris zu machen sei. Sind die Metros, die in der Metropole unter der Woche schon um eins und am Wochenende um zwei Uhr schließen, am Pariser Dornröschenschlaf schuld? Sollte man sich ein Beispiel an Berlin nehmen und Clubs auf freistehenden Flächen im Großraum Paris - dem Grand Paris - eröffnen? Der Tenor der Sitzung schien glasklar: In Paris werde man, so der Geograph und Autor des Buchs Nuits d’Europe [Europa-Nächte], „Zeuge der Kolonisierung der Nacht durch die Aktivitäten des Tages“.

Längst wird die immerhin noch meistbesuchte Stadt Europas (27 Millionen ausländische Touristen jährlich) in puncto Clubbing von Städten wie London, Berlin und Madrid eingeholt. Denn wenn Paris die Rollläden runterlässt, tanzen sich Madrilenen und Londoner gerade warm. Dass die Nachbarn beim geringsten Geräuschpegel direkt auf der Matte stehen, hat natürlich auch damit zu tun, dass sich in Paris (intra muros) mehr als 20.000 Einwohner auf einem km² drängeln. Berlin ist mit einer Fläche von 890 km² fast neunmal größer als Paris (105 km²), Greater London erstreckt sich sogar über 1.500 km².

Als Reaktion auf die Petition lancierte die Stadt Paris im November 2009 die Webseite www.parisnightlife.comDas brummende Nachtleben von Barcelona hat die Mairie de Paris zu einem neuen Ansatz inspiriert: Ab dem nächsten Jahr sollen Clowns und Pantomimen vor den Clubs ‚spielerisch‘ für Ruhe sorgen. Zudem sollen vermehrt Nachtbusse (Noctilien) fahren bzw. öffentliche Plätze wie Parks und Museen für Events genutzt werden können. Die letzten Pariser Aktionen dieser Art wie die Chromatic Night im Centre Georges Pompidou, die Nuit ElectroSFR im Grand Palais und die Berlin-inspirierte Party Die Nacht (Montreuil) hinterließen aufgrund des zu großen Andrangs jedoch einen lauwarmen Nachgeschmack beim Pariser Nachtvolk.

Unterdessen lässt Eric Labbé nicht locker: Nur wenige Tage nach dem „Nachtgipfel“ finden vom 17.-21. November die von ihm initiierten Nuits Capitales statt, in deren Rahmen der Komapatient Paris mit über 500 Musikern zu neuem Leben erweckt werden soll. An 5 Tagen fahren bis in die Morgenstunden Partybusse über die Concorde, werden Metrostationen zum Konzertsaal und hört man Elektro auf den Bateaux Mouches. Zumindest kann man - schippernd auf der Seine - nicht von einer Eimerladung Wasser mit Bleichmittel getroffen werden.

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