Nuit debout: Nicht nur Party am Place Rep
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Juliane BüchnerSeit dem 31. März ist die Ablehnung eines neuen Gesetzesentwurfs in Frankreich nun schon in spontane Demos und die Besetzung des Pariser Place de la République umgeschlagen. Von fern hört man Partylärm. Im Herzen jedoch tagen eine Generalversammlung und verschiedene Arbeitsgruppen, deren Teilnehmer entschlossen sind, konkrete Vorschläge zu formulieren.
Nuit Debout (deutsch: Nacht im Stehen) ist das Ergebnis einer wochenlangen Mobilisierung der Zivilgesellschaft gegen eine geplante Reform des Arbeitsrechts. Wir zählen den 43. März, seit dem 31. März hat in Frankreich eine neue Zeitzählung begonnen - seit über einer Woche besetzen tausende Pariser nun schon den Place de la République in der französischen Hauptstadt. Die Jurastudentin Louise B. hält diese Besetzung für notwendig: „Die Vielfalt der Forderungen und Slogans bei Demonstrationen können den Eindruck einer Bewegung ohne Struktur und ohne echtes gemeinsames Ziel vermitteln. Nach der Demo gehen ja alle ihrer Wege. Wenn wir den Platz besetzen, haben wir wenigstens die Möglichkeit, uns zu vereinen und eine organisierte Gruppe zu bilden.!“
Eine menschliche Erfahrung
Schon länger als eine Woche lang ist der Platz eine Bühne für Erfahrungen, die ihre Spuren in der Erinnerung all jener hinterlassen werden, die hier Stunden und Tage verbracht haben. Paris wird meistens als stressige Stadt, als Mekka der Gleichgültigkeit und der Anonymität beschrieben. Jetzt treffen seine Einwohner sich ganz unbefangen und bauen gemeinsam Zelte auf. Und das alles mit einem beachtenswerten Respekt für den ‚Anderen‘.
Die vielen aktiven Menschen befürchten aber, dass die Besetzung sich in einen Rummel verwandelt, in ein Fest der Einigkeit. Niklas hofft von ganzem Herzen, dass die Bewegung nicht zu einer Party als Selbstzweck wird. Er sagt, er sei „demoralisiert von dieser linken Tendenz, sich selbst mit einer Party zu feiern, die selbst nichts Politisches mehr an sich hat.“
Ist der Platz der Republik also eine einzige phänomenale Party? Die Passanten, die der Bewegung außen vor bleiben, sehen nur ein Volksfest unter freiem Himmel: Musik lädt zum Tanzen ein, Glasflaschen stapeln sich neben den Mülleimern und Stände duften nach Bratwurst und gegrillten Zwiebeln. Man muss näher kommen, um die Leute zu sehen, die gemeinsam überlegen, wie es mit der Bewegung weitergehen kann. Man muss auf dem Platz bleiben, um zu sehen, dass die Generalversammlung vom 36. März (6. April) um 18 Uhr losging und auf allgemeinen Wunsch bis 23 Uhr weitergeführt wurde. Man muss die Redner hören, um zu verstehen, dass man hier anfängt, an einer alternativen Verfassung zu arbeiten.
"Besser als nichts"
Die Menschenmenge, die jeden Abend am Pariser Platz der Republik ihren Mann oder ihre Frau steht, setzt sich vor allem aus Angestellten, Uniabgängern und Studenten, Arbeitern, Arbeitslosen und Gewerkschaftlern zusammen. Der parteilose Charakter der Bewegung lässt aber eine relativ gemischte Gruppe zu. Musikprofessor Joël kam immer mal wieder mit dem Motorrad vorbei und beschloss dann, zu bleiben und einen Blick auf die Sache zu werfen. Er hat durch eine morgendliche Radiosendung auf France Inter davon erfahren und schätzt „die Geselligkeit der Gruppe und ihre 68er-Stimmung.“
Die Radiowellen haben auch die pensionierte Ingenieurin Véronique und die Anwältin Martine ermutigt, sich ein eigenes Bild von Nuit Debout zu machen. „Angesichts des Aufstiegs des Front National und des Zusammenbruchs der Sozialistischen Partei (PS) ist das hier besser als nichts“, bestätigt Véronique. Martine ihrerseits schätzt die Gruppierung dafür, dass sie sich gegen „den Individualismus und das weit verbreitete Konsumdenken“ stellt. Genauso findet sie es interessant, dass die Besetzer relativ organisiert zu sein scheinen, ohne eine Führungsfigur zu brauchen.
„Die Party, und dass wir uns einen urbanen Raum zurückerobern“, sind die Dinge, die Cosme am wichtigsten sind. Der lighting designer ist ein paar Mal gekommen, um diese Menschen kennenzulernen, denen er ständig im Pariser Alltag über den Weg läuft. Ohne an den Generalversammlungen teilzunehmen, macht er bei spontanen Aktionen und Demonstrationen mit. Cosme kommt vor allem auf den Platz, um sich frei zu fühlen und zum Ende der Nacht „mit diesen Leuten aus der Provinz, die ich sonst nie getroffen hätte, auf Arabisch zu singen.“
„Wir erobern unseren Platz zurück“
Eine Stärke der Bewegung ist ihr sorgsam aufrecht erhaltenes Gleichgewicht: Auf der einen Seite Party und Gruppengefühl, auf der anderen militante, strukturierte und konstruktive Aspekte. Während die Generalversammlung näher rückt, machen die Bierverkäufer Platz für all die verschiedenen Arbeitsgruppen, die zur Kontinuität der Besetzung beitragen. Auf einer Seite organisieren Studenten der Universität Paris VIII ein philosophisches Bankett für Sonntag. Auf einer anderen fragt ein Jurist im Informationszentrum, wie er der Bewegung helfen kann. „Zwischen der Reform zur gleichen Redezeit in Wahlkampfkampagnen und dem neuen Gesetz zum Polizeinotstand in einer Situation legitimer Verteidigung“ ist es die wachsende Verbitterung, die ihn dazu bringt, sein Scherflein beizutragen.
Die Existenz diverser Arbeitsgruppen zeigt einerseits die Vielfalt der Themen, die von der Bewegung diskutiert werden und andererseits den starken Willen der Besetzer, etwas Konkretes aufzubauen. Die Versammlungen des feministischen Kollektivs werden auf einer Tafel im Informationszentrum angekündigt. Hier stehen auch die Treffpunkte des Klimakollektivs, der Gruppe für Perspektiven und Programme, Generalstreik, politische Ökonomie, Medientraining oder Aktionen gegen prekäre Arbeitsverhältnisse und Arbeitslosigkeit. Diese Arbeitsgruppen treffen sich parallel zur Generalversammlung, die am 38. März (7. April) mehr als 6 Stunden am Stück dauerte.
Vor dem Informationszentrum, neben dem Pressestand, arbeitet eine Notkrankenschwester im Empfangszentrum/Ruheplatz. Die Freiwilligen mussten sich bis jetzt um Wunden und Unfälle kümmern. „Wir helfen auch Flüchtlingen und Obdachlosen, die zu uns kommen“, erklärt eine der Krankenschwestern.
Es kommt ein Journalist von Radio Debout vorbei, dem kürzlich eingerichteten eigenen Radiokanal der Bewegung. Florent, der zeitweise am Pressestand einspringt, informiert mich, dass einige der Journalisten Streikende und Rentner von Radio France sind. Er ist sich allerdings nicht hundertprozentig sicher. Die Unsicherheit ist die gleiche wie die über die Gründung von Nuit Debout. Nach den Demonstrationen wurde die Besetzung von Lesern der alternativen linken Zeitschrift Fakir von François Ruffin ausgerufen. Davor wurde seine Dokumentation Merci Patron! (Danke Chef!) ausgestrahlt. Convergence des Luttes, die Gemeinschaft, die in dieser Dokumentation gegründet wurde, hat viel zur Organisation und zum Bestand der Besetzung beigetragen. Dank dieser Gruppe wurde auch die Zeitschrift 20 mille luttes (20.000 Schlachten) gratis verteilt, vor allem in der U-Bahn. Florent gibt aber zu, dass „alle sich ein bisschen vom Ausmaß der Unzufriedenheit und des Kampfwillens haben mitreißen lassen“.
Capoeira-Lehrer Félice geht lächelnd mitten durch die Gruppen. „Es gibt nur gute Leute in dieser Demonstration. Sie zu treffen, gibt mir das Gefühl, lebendig zu sein.“ Als wir ihn fragen, was er an dieser Besetzung am besten findet, antwortet er eloquent: „Die Alten, die ich hier treffe, sprechen von einer gewissen 68er-Stimmung. Auf jeden Fall! Wir machen la République zum l‘arrêt publique (öffentlichen Stillstand)!“
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Ich bin ein Pariser. Dieser Artikel wurde von La Parisienne de cafébabel, dem Pariser Localteam, verfasst.
Translated from Nuit Debout : « Sa convivialité et son air de Mai 68 »