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Nothombs Fernseh-Holocaust: KZ zum Anfassen

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Katha Kloss

KulturGesellschaft

In ihrem Roman Reality-Show treibt die belgische Autorin Amélie Nothomb den gesellschaftlichen TV-Wahn auf die Spitze, indem sie ein Konzentrationslager mit der Banalität von Doku-Soaps gleichschaltet.

CKZ 114 ist der Star des neuen Pariser Hype-Formats "Konzentration": schüchtern, von reinster Seele und grundsätzlich ehrlich. Mit ihren Mithäftlingen erträgt sie großes Leid, das ihnen täglich durch die Folterinstrumente der frisch von der Straße weg gecasteten Kapos zugefügt wird. Der voyeuristisch-hechelnde Zuschauer kann seinerseits jeden Abend gemütlich zwei KZ-Häftlinge sprichwörtlich ins Jenseits befördern. Per Fernbedienung in den Tod.

Antagonistin Kapo Zdena, eine medienbesessene, nach Aufmerksamkeit lechzende KZ-Aufseherin, verliert zunehmend die Freude daran, ihr Opfer zu misshandeln. Denn CKZ 114 betört das Publikum durch ihre abgeklärte Gelassenheit. "Einzig das Schweigen war die Lösung", lautet ihr Überlebensmotto - dem Zuschauer gefällts, das ist die Hauptsache.

Wann immer der Quotendarling den Mund öffnet und eines ihrer 'göttlichen' Worte preisgibt, gar ihren Namen offenbart, um einen per Knopfdruck zum Tode verurteilten Mithäftling vor dem Schlimmsten zu bewahren, ist sie die Heldin aller Titelseiten - die gottgleiche Pannonica. So lautet ihr Name. Zwischen beiden Frauen entsteht eine Art Hass-Liebe, die gleichzeitig den roten Faden des Trauerspiels liefert. Was für die Eine ein verbitterter Kampf um mediale Anerkennung zu sein scheint, ist für die Andere der nackte Kampf ums Überleben.

Pervertierte Fernsehlandschaft

Für Nothombs Romanwinzling Reality Show (Original: Acide sulfurique, 2005), der 2007 auch den Rest des europäischen Buchmarkts eroberte, hatte es bereits zu seiner ursprünglichen Veröffentlichung in Frankreich und Belgien eine gehörige Dosis Kritik gehagelt. "Grobschlächtigkeit" hieß es beim französischen Magazin L’Express; "Inkompetenz" schimpfte Le Progrès und Le Monde sprach von einem "pathetischen Aufruf" an die Fernsehergeneration, endlich die Apparate auszuschalten.

"Und es kam der Moment, in dem ihnen der Schmerz der Anderen nicht mehr genügte: sie wollten das Spektakel", so der erste Satz der schauderlichen Fabel. Die Sendung "Konzentration" funktioniert im Grunde genommen wie ein KZ: außer dass jeder Schritt, jede Emotion der Häftlinge über den Äther direkt in die Wohnzimmer der Gaffer befördert wird. Barbarentum in bewegten Bildern. Was von Nothomb grundsätzlich gut angedacht war - die Denunziation einer lüsternen Perversität am Spektakel und der öffentlichen Zurschaustellung des Privaten - wird in Reality-Show allerdings zur Farce. Die Mischung aus Genickschussanlage und Ich bin ein Star - holt mich hier raus ist allenfalls dreist. Reality-Show versucht sich an einem Vergleich, der - über die Banalität mit der er hier angegangen wird hinaus - zum Scheitern verurteilt ist.

Telegene Horrorszenarien

Grundsätzlich scheint sich in den vergangenen Jahren eine Tendenz auf dem europäischen Buchmarkt abzuzeichnen: jedes literarische Werk, das mit dem Stempel Nazi-Vergangenheit gebrandmarkt wurde, führt scheinbar zu medialem Erfolg. Jonathan Littells Bestseller Les Bienveillantes (2006) hat im letzten Jahr reihenweise Preise abgeräumt. Ebenso war Günter Grass 2006 in Verruf geraten, da er seine bisher verheimlichte Mitgliedschaft in der Waffen-SS just vor der Veröffentlichung seines jüngsten Romanwerks (Beim Häuten der Zwiebel, 2006) publik gemacht hatte. Nazi sells.

Den Holocaust aus dem Container hat bisher jedoch noch keiner gewagt. Dünnbrettbohrende Protagonisten, die mit für sie zu schwerwiegenden Worten - Glaube, Résistance, Moral - um sich werfen und geschwollene Phrasen wie "Ihre Augen sind die Mörder" machen das Nothombsche Hirngespinst unglaubwürdig.

Das Fazit von Reality-Show ist dem typischen Nothomb-Stil entsprechend menschenverachtend. In vorangegangenen Romanen wie Die Reinheit des Mörders oder Kosmetik des Bösen hatte sich die gebürtige Belgierin bereits mit der dunklen Seite der Menschheit beschäftigt. Und auch in ihrem 16 Roman versagt der Mensch am Ende kläglich. Am Abend, als Pannonica live-on-screen exekutiert werden soll, beträgt die Einschaltquote 100 Prozent - Poeten, Kinder, Blinde, sogar die Fernsehkonkurrenz glotzt in die Röhre. Schockierend? Ein Griff zur Fernbedienung genügt, um sich ins Off zu katapultieren - oder Pannonica in den Tod zu wählen.

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