Norbert Hofer: Der Österreich-Flüsterer
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Norbert Hofer spricht fast 50% der Österreicher aus der Seele. Sollte er die Wahl am kommenden 4. Dezember gegen Alexander Van der Bellen gewinnen, wäre der FPÖ-Kandidat der erste Rechtsaußen-Präsident der europäischen Nachkriegsgeschichte. Porträt.
„Haben Sie Pfefferspray dabei? Oder ein Messer?“ Der Security-Mann untersucht sorgfältig meine verdächtige Schminktasche, während ein anderer mit einem Metalldetektor nach vergessenen Schlüsseln fahndet. Das Foyer des Kursalons Hübner in Wien ist an diesem Freitag voller Menschen, die sich in den prunkvollen Saal drängen. Das Publikum ist gemischt. Man findet Stecktuch und Flanellhemd, Abendkostüm und Jogginganzug, Familien und Rentner, Junge und Alte. Ober- und Mittelklasse vereinen sich, gänzlich ohne Ironie, zum vermeintlichen Kampf gegen die Elite in einem mit goldenem Stuck verzierten Saal voller Kronleuchter, mitten im malerischen Wiener Stadtpark. Nichts an der Präsenz von Polizei, Security und fünf Kamerateams wirkt nachvollziehbar oder gar volksnah.
Alle wollen ihn sehen - Norbert Hofer! Ein letztes Mal wird der Kandidat der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) zu seinem Event 'Norbert Hofer Tour' sprechen, bevor am 4. Dezember erneut darüber abgestimmt wird, wer Österreich präsidieren soll. Nach Unregelmäßigkeiten bei der Auszählung der Stimmen im Mai und einem erneuten Anlauf im Spätsommer, zu dem die Klebe-Kuverts der Wahlbriefumschläge nicht richtig hielten, ist der Rechtspopulist Hofer mehr als bereit, erneut gegen seinen Kontrahenten, den langjährigen Grünen-Parteichef Alexander Van der Bellen, ins Rennen zu gehen. Immerhin gewann er beim letzten Mal fast 50% der Wählerstimmen, das beste Ergebnis, das seine Partei jemals erzielte. Österreich ist gespalten, zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg besteht die reale Möglichkeit, dass ein Land in Europa von einem Rechtsaußen-Präsidenten geführt wird.
Norbert Hofer stammt aus Pinkafeld im österreichischen Burgenland, wo er mit seiner Frau Verena in zweiter Ehe und einer Tochter heute wieder lebt. Genau dort hatten im Mai im ersten Durchgang auf Anhieb 61% für ihn gestimmt. Hofer will die „Österreicher gegen die Gefahren einer falschen Zuwanderungspolitik verteidigen. Wir Österreicher haben ein Recht auf unsere Heimat und auf Schutz vor Islamismus und Gewalt“, steht auf seiner Webseite. Dieses Recht seiner Mitbürger möchte „der Blaue“, so die Farbe seiner Partei, mit ganzer Kraft verteidigen. Mit der gleichen Willenskraft, mit der er sich nach einem Paragliding-Unfall wieder aus dem Rollstuhl zurück ins Leben katapultierte. Bis heute geht Hofer am Stock.
Seine Anhänger, von denen heute viele nach Wien gekommen sind, loben sein Durchhaltevermögen. Der Raum des Kursalons füllt sich allmählich. Auf den rot gepolsterten, goldbemalten Stühlen stellt sich ein Servus-Grüß dich ein. Männer mit Anstecknadeln des Ritterordens St. Georg schütteln Hände, hinter mir hat jemand seinen Trafikanten entdeckt und ruft „Servus Hansl!” durch den Raum. Man kennt sich. Einige Minuten später öffnen sich die großen weiß-goldenen Flügeltüren in der Mitte des Raumes und Heinz-Christian Strache, die FPÖ-Spitze, Arm in Arm mit Norbert Hofer, im Schlepptau der ehemalige tschechische Präsident Václav Klaus, flankiert von Bodyguards und aufgeregten Fotografen, treten ein. Der kurze Weg zum Podium, begleitet von tobendem Applaus und frühen Standing Ovations, wird immer länger. Minutenlanges Blitzlichtgewitter gibt der FPÖ-Hochriege eine Kardashian-esque Anmutung.
„Norbert, Norbert!”
Als Hofer ans Rednerpult tritt, gibt es tosenden Applaus. Der Bundespräsidentenkandidat ist beliebt, er blickt lächelnd aber ausdruckslos in die ihm zujubelnde Menge, während HC Strache ergriffen den Moment betrachtet.
FPÖ-Wähler mögen Hofers freundliche Art, sein so natürlich wirkendes Lachen. Sie mögen ihn auch, weil er so ruhig und besonnen erzählt, nie ausflippt. Auch dann nicht die Ruhe verliert, wenn er von der „Invasion der Muslime“ erzählt, die Österreich seit der Flüchtlingskrise überschwemmen würden. Auch Hofers Alter ist ein Argument. Dynamischer Nachwuchs verkauft sich gut. Eigentlich, so war überall in der österreichischen Presse zu lesen, wollte Hofer mit seinen 45 Jahren zunächst gar nicht für den Posten als Präsident antreten. Er fand sich zu jung. Aber der Parteivorsitzende der Blauen, HC Strache, habe ihn ermutigt. Die ständigen Hinweise auf Norbert Hofers 'junge Jahre' wirken jedoch gesetzt. Auch wenn er Flugzeugtechnik studierte und zunächst als Ingenieur bei Lauda Air Engineering beschäftigt war, kann er doch auf eine über 20 Jahre lange Karriere innerhalb der FPÖ zurückblicken und ist seit 2013 Dritter Präsident des Nationalrates.
Im Laufe seiner Kampagne zeichnete sich Hofer auch gerne als den gemäßigten FPÖ-Kandidaten, der völlig parteiunabhängig agieren und dem Volk die Macht wiedergeben wolle, die es verloren habe. Dabei war er maßgeblich am Schreiben des ideologischen Programms der rechten Partei beteiligt. Hofer neigt zum rechten Rand, ist Mitglied der Burschenschaft Marko-Germania zu Pinkafeld. Einige seiner Vertrauten stammen aus der Neonazi-Szene. Norbert Hofer ist alles andere als ein politischer Newcomer.
Das Storytelling rund um Hofers Kampagne ist gewieft. Er sei ein Normalo, wird gern erzählt. Einer von uns. Auch Václav Klaus, den Hofer als Support-Act zu seiner Tour heute nach Wien eingeladen hat, spricht von dieser Normalität. Kurz zuvor hatte der tschechische Ex-Präsident noch in die Menge gefragt: „Ist es denn wirklich möglich, aus Migranten einen europäischen Menschen zu machen?“ Nach der wortgewaltigen Polemik von Klaus wirkt Norbert Hofer nun tatsächlich beinahe gemäßigt. Was folgt ist eine sanfter wirkende Ansprache, in der ideologisch trotzdem eine Wucht steckt. Es gehe um einen „Kampf für die Wahrheit”. Die Bürger Österreich hätten es satt, erklärt zu bekommen, „was man sagen darf und was nicht.” Es beginne ein Umdenken. Endlich! Die Bürger „wollen ihr Österreich zurück.” Die anwesenden Bürger scheinen zuzustimmen und unterbrechen Hofer durch ständigen, langen Applaus. Die Presse nennt Hofer aufgrund seiner Anpassungskünste auch „Chamäleon“ oder „Fuchs im Schafspelz“. Ein cleverer Schachzug.
Kampf den Chlorophyllmarxisten
„Wir dürfen Österreich nicht den Marxisten, Kommunisten und Grünen überlassen!” ruft Hofer nun leidenschaftlich, aber mit leeren Augen. Die Sündenböcke stehen fest. „Chlorophyllmarxisten” nannte sie Heinz-Christian Strache mal in einer bekannten Wortkreation in Anspielung auf alle Andersdenkenden. Auch das Wort 'Kommunist' fällt oft, wenn er von seinem Kontrahenten Van der Bellen spricht. Aber eine genaue Definition der österreichischen Kommunisten bleibt aus. Bei der letzten Nationalratswahl kam die KPÖ auf 0,8%. Schuld seien sie trotzdem an Österreichs Niedergang.
Hofer und sein Team der FPÖ hingegen wollen Österreich vor Ausländern schützen, die dem Sozialstaat auf der Tasche liegen, den Grenzschutz und das Bundesheer stärken und im gleichen Atemzug für mehr Sicherheit sorgen, direkte Demokratie fordern, Partner und nicht Befehlsempfänger der EU sein und zu guter Letzt natürlich die Steuern senken. So ist es im Parteiprogramm nachzulesen.
„Ich wähle zum ersten Mal - und auf jeden Fall Norbert Hofer.” Eine junge Schülerin ist mit ihren Großeltern auf der Veranstaltung. Sie sehe die Beziehung zwischen Ausländern und Österreichern in der Schule und die Probleme, die damit einhergingen. „Er sagt die Sachen, die wir uns auch denken”, erzählen zwei Studenten. Allen ist Meinungsfreiheit wichtig. Man fühle sich eingegrenzt von der politischen Korrektheit, die einen daran hindere, ungefiltert Ideen auszusprechen.
Ein Security-Mann an der Tür gähnt. Der Abend unter dem Motto „Massenmigration nach Europa” hat den typischen Verlauf genommen. Ein heikles Thema wird angesprochen und artet in einer Tirade gegen das „Establishment” und die Gegner der FPÖ und ihre Wähler aus.
Egal, die Menge ist begeistert
„Wir haben die Verantwortung, unser Land unbeschädigt an unsere Kinder weiterzugeben.” In einem scheinbaren „Make Austria great again” wird aber nicht spezifiziert, was genau eigentlich beschädigt sein soll in Österreich. Egal, die Menge ist begeistert. „Ich bin überzeugt, dass alles versucht wird, um diesen Wahlsieg zu verhindern,” ruft Hofer. Die Opferrolle zieht sich immer wieder durch seinen Wahlkampf. Doch an diesem Abend gibt sich der FPÖ-Kandidat zurückhaltend, die US-Wahlen oder den Brexit anzusprechen. Auf seiner offiziellen Facebook-Seite veröffentlicht Norbert Hofer allerdings nicht nur Adventswünsche und den First-Lady-verdächtigen Aufruf seiner Frau Verena, die emanzipierte Frau solle doch bitte am Wochenende von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen, sondern auch einen Zeitungsartikel mit dem Titel „Trump als Turbo für die USA und die Welt“.
Im Endeffekt sind drei Stunden vergangen. Es geht hauptsächlich um Gefühle, es geht darum, Ängste, Vorurteile, Unwissenheit der Zuhörer zu verstehen und anzusprechen. „Er spricht Österreich aus der Seele“, erzählt mir eine junge Frau im Foyer.
Doch unter der Maske des Verständnis' ist kein Inhalt, keine Visionen, keine Lösungsvorschläge. Krieg und Terror sind die vorherrschenden Themen, alles befände sich kurz vor der Zerstörung durch äußere Mächte. Die Redner äußern ihre Skepsis über Medien, politische Korrektheit und die „abgehobene Elite“. Diese Kritik fällt auf fruchtbaren Boden, das Publikum sieht in einen Spiegel. „Endlich jemand, der es anspricht”, erzählt mir eine Dame später.
„Mir wird oft vorgeworfen, ich habe zwei Gesichter. Und ich gebe es zu, es stimmt. Ich habe ein freundliches und ein sehr freundliches Gesicht”, sagt Hofer, ohne die Miene zu verziehen. Der kleine Scherz erfreut das Publikum, Norbert Hofer hat ihre Aufmerksamkeit fest im Griff, in seinem Wechselspiel aus überwältigender Polemik und zwischenmenschlicher Annäherung. Es gibt keinen Zweifel an dem Wahrheitsgehalt seiner Ausführungen in diesem Raum. „Er ist einer von uns”, sagt ein junger Mann nach der Veranstaltung.
„Das Niedrigste aus den Leuten herausholen“, sagt Gertrude, eine 89-Jährige Holocaust-Überlebende, die in einem viral gegangenen Video die aktuelle politische Stimmung in ihrem Land einschätzt. „Das war schon einmal der Fall“, warnt sie.