Nobody's Doll - MeToo zu Gast auf der Berlinale
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Als erstes der großen Filmfestivals muss die Berlinale sich in diesem Jahr mit dem Thema MeToo auseinandersetzen - und schlägt sich dabei gar nicht schlecht. Eine Bilanz.
Ein Montagnachmittag in Berlin. Im Theater Tipi am Kanzleramt sitzt das Publikum an kleinen Tischen, auf der Bühne steht SPD-Bundesfamilien- und Frauenministerin Katarina Barley. „Wir merken, in diesem Jahr ist etwas anders hier“, sagt Barley. Sie meint nicht das Tipi, sie meint die Berlinale, die am 15. Februar gestartet ist. Die Veranstaltung, auf der Barley spricht, heißt Kultur will Wandel - in einer Gesprächsrunde soll es um sexuelle Belästigung in Film, Schauspiel und Bühne gehen. Berlin ist nicht Hollywood, aber die MeToo-Debatte hat auch die deutsche Filmbranche erreicht. Mehrere Frauen haben dem bekannten Regisseur Dieter Wedel im ZEIT Magazin und in der ZEIT sexuelle und gewalttätige Übergriffe vorgeworfen - seitdem wird diskutiert: Über Machtstrukturen und Machtmissbrauch in der Filmbranche, darüber, was sich ändern muss.
Berlinale-Chef Dieter Kosslick und seinem Team blieb also gar nichts anderes übrig, als sich zu überlegen, wie man MeToo auf dem Festival thematisieren könnte. Kosslick betonte: „Im Bereich des Filmmarkts diskutieren wir auf mehreren Veranstaltungen Diversität, Inklusion, aber auch Geschlechter-Gerechtigkeit. Als Festival möchten wir nicht nur Entwicklungen verfolgen, sondern auch ein Ort sein, wo Probleme gehört und diskutiert werden.“ Arbeiten von Filmschaffenden, die sich des im Rahmen von MeToo diskutierten Fehlverhaltens schuldig gemacht hätten, zeige man dieses Jahr nicht. Eine eindeutige Ansage. In der Praxis aber war Kosslick nicht ganz so konsequent: Der südkoreanische Regisseur Kim Ki-duk durfte seinen Film Human, Space, Time and Human in der Panorama-Sektion des Festivals zeigen, obwohl eine südkoreanische Schauspielerin ihn der sexualisierten Gewalt bezichtigt. Der Festivalleitung waren diese Vorwürfe bekannt - laut Kosslick traf man aber eine „bewusste kuratorische Entscheidung“, den Film trotzdem zu zeigen. Man wolle einen Beitrag zur Diskussion über die „Trennung von Kunstwerk und Künstler“ leisten, Kim Ki-duk werde in Berlin anwesend und bereit für Fragen sein.
Nichts weniger als einen Kulturwandel
Anderswo ist man über theoretische Diskussionen schon hinaus. Die deutsche Film- und Fernsehbranche kündigte pünktlich zum Berlinale-Start an, eine Beschwerdestelle gegen Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe einzurichten. Dahinter stehen zwölf Berufs- und Branchenverbände, die an die Fernsehsender appellieren, sich finanziell zu beteiligen. Unterstützung will auch die neugegründete Initiative Pro Quote Film. Schon seit 2014 kämpfen Regisseurinnen als Pro Quote Regie für mehr Gleichberechtigung in der Filmbranche, nun haben sie sich auch für andere Berufe geöffnet: Neben der Kamera sind jetzt u.a. Schnitt und Kostümbild vertreten. Das Ziel von Pro Quote Film ist ehrgeizig, nichts weniger als einen Kulturwandel will die Initiative bewirken. Einen Bedarf dafür gibt es, denn Frauen sind in Deutschland hinter der Kamera deutlich unterrepräsentiert: 2016 führten bei nur 22 Prozent aller Kinofilme Frauen Regie und nur 8,8 Prozent der Fördermittel des Deutschen Filmförderfonds gingen an Frauen.
Für den angestrebten Kulturwandel braucht es aber nicht nur ein faires Geschlechterverhältnis in der Film- und TV-Produktion, sondern auch weniger stereotypisierte Darstellungen von Frauen auf der Leinwand, auf dem Bildschirm. Um zu zeigen, wie es um die Repräsentation von Frauen in Film und TV steht, hat Pro Quote Film eine Studie initiiert - und die liefert erschreckende Zahlen: 67 Prozent der Protagonisten auf Fernsehbildschirmen und Kinoleinwänden sind männlich und wenn Frauen gezeigt werden, dann häufiger im Kontext von Beziehung und Partnerschaft. Bis zu einem Alter von Mitte 30 kommen Frauen und Männer in etwa gleich oft vor, überschreiten sie jedoch die 35 verschwinden Frauen mehr und mehr von der Leinwand: Ab 50 Jahren kommen auf eine Frau drei Männer. In Info-Formaten sind es Männer, die die Welt erklären - Experten sind überwiegend männlich, Moderatoren und Journalisten ebenfalls. It’s a man’s world.
Männliche Perspektive
Auf der Bühne im Tipi hat Politikerin Barley mittlerweile Platz gemacht für eine Diskussionsrunde. Schauspielerin und Pro Quote-Mitglied Jasmin Tabatabai findet, „Frau muss kämpfen“. Und zwar für ein faires Geschlechterverhältnis in der Film- und TV-Branche, welches dann hoffentlich langfristig dazu führt, dass die stereotypen Darstellungen von Frauen in Film und Fernsehen sich ändern. Barbara Rohm, Vorstandmitglied von Pro Quote Film, weist darauf hin, dass die Perspektive generell männlich sei und nur „ein paar Perspektiven“ auch Frauen zugestanden werden. Die anwesenden Vertreter von ZDF und Saarländischem Rundfunk (SR) geben sich aufgeschlossen und lernbereit – dummerweise bezeichnet SR-Intendant Thomas Kleist die MeToo-Debatte zwischendurch als „Sex-Debatte“, was doch Zweifel daran aufkommen lässt, ob er wirklich verstanden hat, worum es dabei geht.
Vielleicht könnte er sich im Umgang mit MeToo ein paar Tipps bei Sebastian Schipper abholen. Der Schauspieler und Regisseur, europaweit bekannt geworden durch seinen Kinohit Victoria (2015), gab im Vorfeld der Berlinale ein Interview und sprach darin Klartext: „Meine Wortmeldung ist exklusiv an Männer gerichtet: Ich glaube, es ist der erste wichtige Schritt in der aktuellen Situation für uns, erst einmal zuzuhören, statt den Themenkomplex sexuelle Belästigung zu kapern.“ Außerdem müssten Männer lernen: „Diese Welt ist in großen Teilen auf uns ausgerichtet. Was für ein unglaubliches Privileg das bedeutet […].“
Ich bin nicht dein Püppchen
Männer haben außerdem das Privileg, nicht ständig nach ihrem Aussehen und ihrer Kleidung beurteilt zu werden - sie dürfen auf dem roten Teppich über ihre Projekte sprechen, während Frauen die immer gleiche Frage entgegengeschmettert wird: „Und, welches Label tragen sie?“. Der Schauspielerin und Drehbuchautorin Anna Brüggemann (Silbener Bär 2014 für das Drehbuch zu Kreuzweg) reicht es jetzt. Mit ihrer Kampagne Nobody’s Doll will sie erreichen, dass Frauen auf dem roten Teppich einfach das tragen können, was sie wollen. Warum müssen Frauen immer High Heels tragen? Warum immer Designer-Roben? Eine Anleitung, wie Frauen sich „anders“ anziehen sollen, liefert Brüggemann nicht - die Entscheidung, was sie tragen will, soll jeder Frau selbst überlassen bleiben: „Das hier ist kein Aufruf, in Sack und Asche zu gehen. Dies hier ist ein Aufruf, die eigene Schönheit zum Leuchten zu bringen und sie nicht durch reale oder eingebildete Zwänge einzukerkern.“ Einen „schwarzen“ Teppich sowie Frauen und Männer, die aus Protest Schwarz trugen, wie zuletzt bei den Golden Globes und BAFTAS, gab es bei der Eröffnung der Berlinale übrigens nicht.
Was bleibt also von der Berlinale 2018, einer Berlinale, die sich als erstes der großen Filmfestivals weltweit mit MeToo, mit Machtmissbrauch und Diskriminierung beschäftigen musste? Das Festival, so der Eindruck, hat seine Verantwortung ernstgenommen, hat der MeToo-Diskussion Raum und Aufmerksamkeit gegeben. Das Bewusstsein, dass es ein Problem gibt, scheint da zu sein. Aber das allein reicht nicht: Frauen aus der Filmbranche haben es offensichtlich satt, auf Veränderung zu warten - sie nehmen die Dinge selber in die Hand, tun sich zusammen, sind laut und präsent. Natürlich, die Berlinale selbst muss auch aktiv werden: Von den 24 Filmen, die dieses Jahr im Wettbewerb liefen, stammten nur vier von Regisseurinnen. Richtig revolutionär ist das nicht. Immerhin: Die Berlinale-Jury unter Leitung von Regisseur Tom Tykwer ist paritätisch mit Männern und Frauen besetzt und die auf dem Festival laufenden Filme boten durchaus ein buntes Panorama interessanter Frauenfiguren.
Nein, Berlin ist nicht Hollywood. Berlin ist auch nicht Cannes, nicht Venedig. Aber beim Umgang mit dem Thema MeToo lohnt sich der Blick nach Berlin allemal.