Nina Degele: „Homoehe oder das Recht auf Spießigkeit für alle“
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„Selbstverständlichkeiten aufbrechen und gucken, was eigentlich an Sozialem – also weder an Biologischem noch Gottgegebenem – hinter gesellschaftlichen Phänomenen steckt“, das ist die tägliche Mission von Nina Degele, Professorin für Gender Studies an der Universität Freiburg. Wir haben mit ihr über Feminismus in der LGBT-Community, Frauenfußball und das Recht auf Spießigkeit für alle gesprochen.
Lest den vierten Teil unserer Reihe „LGBT-Porträts“.
Kurze Haare, Lederjacke, bunte Hose und geradeheraus – Nina Degele entspricht nicht dem Klischee universitärer Abgehobenheit. „Ich habe mich schon früh für Feminismus interessiert“, lacht die Professorin, die bereits als Jugendliche in Bonn eine Frauengruppe zu Simone de Beauvoir mitgründete. Nach ihrem Coming out pflegte sie während ihres Studiums in München Kontakte in die Frauen- und Lesbenbewegung. Sie hält Feminismus und die Forderung nach Frauenrechten auch innerhalb der LGBT-Community für unabdingbar: „Schwule sind von ihrer Außenwirkung her besser organisiert – oder zumindest war es lange Zeit so!“ Ein Beispiel dafür ist The Castro, traditionell Lesben- und Schwulenviertel San Franciscos, das in den 1990er Jahren fest in schwuler Hand war. „Queer sein in San Francisco ist für Außenstehende gleichbedeutend mit schwul sein. Die Sichtbarkeit der Lesben ist nicht gegeben.“
Verdeckte Diskriminierung dank Political Correctness
"Diskriminierung gegenüber Lesben und Frauen gibt es nach und vor an der Universität – das ist ein Boysclub!"
Diese Ungleichheiten lägen an den unterschiedlichen Startbedingungen von Männern und Frauen, so die 49-jährige Soziologin, die seit 2000 Professorin an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg ist und dort den Studiengang Gender Studies mit aufgebaut hat. Männern fiele es immer noch leichter, sich wirtschaftlich zu etablieren. „Schwule Männer werden viel seltener blöd angemacht, nur weil sie Männer sind, oder deswegen schlechter bezahlt. Das ist ein Problem, das alle Frauen haben, egal ob sie jetzt lesbisch sind oder nicht.“
Die Benachteiligung von Frauen sei auch an der Universität spürbar, so Degele. Allerdings ist sie heute schwerer zu entlarven: denn Political Correctness gehört nicht mehr nur zum guten Ton, sondern hat die Macht, Karrieren zu kreieren – oder vorschnell zu beenden. Wer also die Karriereleiter erklimmen möchte, dem sei geraten, über seine Vorurteile Stillschweigen zu bewahren? Es scheint so. „In der Uni würde mich niemand direkt als lesbische Frau blöd anmachen. Insofern ist Diskriminierung längst nicht mehr so sichtbar wie noch vor 20 Jahren. Da kann man sagen, ‚Das ist gut, niemand muss sich mehr blöd anmachen lassen‘.“ Das heißt allerdings noch lange nicht, dass Gleichberechtigung herrscht, meint Nina Degele: „Diskriminierung, Abneigungen und Vorbehalte gegenüber Lesben und Frauen gibt es nach und vor an der Universität – das ist ein Boysclub! Die passen schon auf, dass sie keine Frauen in Schlüsselpositionen rein lassen, oder nur sehr kontrolliert und nur sehr wenig.“
Frauenfußball: Sex sells – aber bitte heterosexuell!
"Frauen, die Fußball spielen, gelten von Vorhinein nicht als ‚richtige Frauen‘."
Homophobie und Rassismus im Sport und insbesondere im Lieblingssport der Deutschen, dem Fußball, gehört zu den liebsten Forschungsfeldern von Nina Degele. Ihr Fazit ist ernüchternd: „Fußball wird so stark mit Männlichkeit oder Heteronormativität assoziiert, dass Schwule dort keinen Platz haben.“ Aus demselben Grund haben es auch Frauen in diesem Sport nicht leicht: „Frauen, die Fußball spielen, gelten von Vorhinein nicht als ‚richtige Frauen‘ und sind immer mit dem Vorurteil konfrontiert, lesbisch zu sein.“, unterstreicht Degele. Dieses Image versucht der Frauenfußball los zu werden. Sex sells, aber Homosexualität geht dann doch zu weit – und könnte potentielle Sponsoren und Käufer von Fanartikeln abschrecken, so die Professorin. „Während der Frauenfußball WM in Deutschland haben die Veranstaltenden versucht, dem Ganzen ein sehr heterosexuelles Image zu verleihen, um ja nicht die Vermarktungsmöglichkeiten und die Akzeptanz in der Öffentlichkeit zu gefährden.“
LGBT-Rechte in Deutschland: Wann kommt die Gleichstellung?
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„Ich halte die Homoehe nicht für einen Fortschritt. Aber trotzdem bin ich für eine Gleichstellung. Im Grunde geht es darum, dass alle das gleiche Recht auf Spießigkeit wollen. Und ob das jetzt gesellschaftlich oder aus einer queeren Perspektive wirklich ein Fortschritt oder ein sinnvolles Ziel ist, möchte ich sehr bezweifeln.“ Dennoch zeigt die gegenwärtige Debatte inDeutschland deutlich, dass die Forderung nach Gleichstellung und LGBT-Rechten in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist: „Die heutige Diskussion um die Homoehe wäre noch vor 15 Jahren überhaupt nicht denkbar gewesen!“, betont Nina Degele und fährt fort: „Auch wenn es immer noch Widerstände aus der konservativen Ecke gibt, wird es nicht mehr lange dauern, bis die rechtliche Gleichstellung von Hetero- und Homopaaren durchgesetzt sein wird.“ Doch das konservative Lager werde in Zukunft an Einfluss verlieren, glaubt sie.
LGBT-Rechte werden heute von einem Großteil der Gesellschaft gefordert – die Gesetzgebung der Bundesrepublik ist dem noch nicht gerecht geworden. Ein Vorstoß der SPD und der Grünen, die homosexuelle Ehe gleichzustellen, war 2012 vom konservativen Lager abgelehnt worden. Verheiratete Paare genießen in Deutschland ein besonderes Steuerprivileg, das sogenannte Ehegattensplitting, welches vor allem dem traditionellen Ehepaar mit nur einem Verdiener zugutekommt. Momentan wird darüber diskutiert, diesen Steuervorteil auch für homosexuelle Paare zu ermöglichen oder zum Familiensplitting umzubauen. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hatte im Februar in einem Urteil das Adoptionsrecht homosexueller Paare gestärkt. „Man kann nicht sagen, Gesetze gehen voran und Gesellschaft geht nach. Ich denke, das bedingt sich gegenseitig.“, sagt Nina Degele. „Es gibt in der Gesellschaft ja ganz unterschiedliche Ebenen und Gruppierungen – für manche hinkt die Gesetzgebung meilenweit hinterher, für andere ist sie zu weit voraus. Die Frage ist, wann eine kritische Masse kippt.“
Lest auch die anderen Artikel unserer Serie "LGBT-Porträts": Hier geht's zu Teil I, Teil II und Teil III.
Illustrationen: Teaser ©Adrien le Coärer; im Text: The Castor (cc)torbakhopper/Flickr; Nina Degele ©ND