Nigerianische Prostituierte in Italien: Vom Traum in die Sklaverei
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Irina BrüningLaut der Global Initiative against Transational Organised Crime gibt es mindestens 10.000 junge Nigerianerinnen, die auf den Straßen Italiens zur Prostitution gezwungen werden: Wenn der Traum von einem besseren Leben jenseits des Mittelmeers in die Sklaverei führt.
Olariche ist 15 Jahre alt. Sie lebt in einem kleinen Dorf in der Nähe der nigerianischen Stadt Benin. Ihre Familie überlebt durch den Verkauf von selbst angebautem Gemüse. Das junge Mädchen hilft seiner Mutter; eines Tages schlägt ihr Fatima, eine Stammkundin, die Übersiedlung nach Italien vor. Die Frau bietet ihr an, die Reisekosten zu übernehmen. Nach ihrer Ankunft im Land wird Olariche für einige Monate bei Fatimas Schwester als Babysitterin arbeiten und so die Schulden zurückzahlen können. Danach kann sie tun, was immer sie möchte: In Italien gibt es viele Möglichkeiten und das Mädchen wird genug verdienen, um seine Familie in Nigeria unterhalten zu können.
So oder ähnlich beginnt die Geschichte von Tausenden junger Nigerianerinnen, die jedes Jahr nach Italien gebracht und dann gezwungen werden, sich auf den Straßen zu prostituieren. Einem aktuellen Bericht der Global Initiative Against Transational Organised Crime zufolge steigt die Zahl der nigerianischen Prostituierten dramatisch: Die Rede ist von mehr als 10.000 Mädchen, die sich vor allem auf das Piemont (rund um Turin), die Lombardei und Venetien konzentrieren. Viele von ihnen sind minderjährig und haben keine Ahnung, wie viel Geld sie der "maman" zurückzahlen müssen: Die Zuhälterin wird mit einem französischen Kosenamen angesprochen.
Olariche erklärt den Mitarbeitern des Sozialdienstes, sie und die "maman" hätten sich auf 45.000 Naira geeinigt, umgerechnet 35.000 Euro: „Ich kannte den Wechselkurs nicht, die Vereinbarung erschien mir gerecht", berichtet das Mädchen. Die "maman" sucht sich ihre Opfer unter den jüngsten und unerfahrensten Mädchen aus: Sie überzeugt die Eltern, dass sie sich um ihre Tochter wie um ein eigenes Kind kümmern wird und sagt ihnen eine strahlende Zukunft voraus. Nach ihrer Ankunft in Italien werden die Mädchen an eine andere Beschützerin verkauft, die ihnen unmissverständlich klarmacht, dass die einzige Möglichkeit zum Begleichen ihrer Schulden die Prostitution ist. „Sie hat mir Kondome und knappe Kleidung gegeben": Dies ist der Beginn ihres Sklavendaseins auf der Straße.
Mit der afrikanischen Diaspora nimmt der Menschenhandel zu
Im April dieses Jahres haben in weniger als zwei Tagen mehr als 4.000 Migranten die italienische Küste erreicht. Die afrikanische Bevölkerung wächst rasend schnell und die wirtschaftlichen Errungenschaften führen nicht zu besseren Lebensbedingungen für junge Menschen. Viele Jugendliche sind von der radikalen Ungerechtigkeit zermürbt und sehen den einzigen Ausweg in einer Fahrt über das Mittelmeer. In 80% der Fälle sind die Migranten kriminellen Organisationen ausgeliefert, die Menschen durch die Wüste bis zu den Küsten Libyens und Tunesiens führen und dann nach Italien verschiffen. Die Netze der Händler werden immer engmaschiger: Von Menschenhandel spricht man, wenn das Opfer als Ware betrachtet wird. Der Preis für einen Menschen hängt von seiner Nutzbarkeit als Arbeitskraft ab: Prostitution auf den Straßen Italiens oder Schwarzarbeit auf dem Land sind das Schicksal vieler Menschen, die mit Hilfe von Menschenhändlern ins Land gekommen sind.
Sklaverei mit dem Segen der Geistlichkeit
Mit 177 Millionen Einwohnern ist Nigeria das bevölkerungsreichste Land Afrikas. Obwohl es gleichzeitig auch das reichste des Kontinents ist, lebt ein Großteil der Bevölkerung in extremem Elend. Hinzu kommt der von einigen fundamentalistisch-islamistischen Gruppen verbreitete Terror; hier sei die Gewalt erwähnt, die von der Dschihad-Gruppe Boko Haram ausgeht. Die Terrorgruppe hat schon Hunderte von Menschenleben ausgelöscht und hat Kirchen wie Moscheen angezündet. Ein weltweiter Aufschrei ging durch die Presse, als die Bilder von entführten Mädchen publiziert wurden.
Materielle Not und psychologische Unsicherheit machen es denjenigen leichter, die falsche Hoffnungen schüren; vor allen Dingen für Frauen ist der Ruf Europas sehr verlockend. Die jungen Mädchen vertrauen der "maman", die ihnen zu einem hohen Preis Illusionen verkauft. Zusätzlich zu den finanziellen Schulden wird auf niederträchtige Weise ein psychologischer Druck aufgebaut: Vor Antritt der Reise müssen die Mädchen vor einer geistlichen Autoritätsperson, dem Baba-loa, schwören, dass sie den Betrag zurückzahlen werden. Der vor den Geistern symbolisch besiegelte Vertrag bindet die Opfer und sät in ihnen ein starkes Schuldgefühl, falls sie ihre Schulden nicht begleichen können. Die Mädchen bringen dem Baba-loa persönliche Gegenstände wie Haarsträhnen, Fetzen von ihrer Kleidung oder sogar Blutstropfen, damit er die traditionellen Voodoo-Rituale durchführen kann: Diesen Pakt zu brechen bedeutet das von den Schutzgeistern geschaffene Gleichgewicht zu zerstören. Das Verhältnis zwischen der "maman" und dem Opfer ist niemals gleichberechtigt: Die "maman" entscheidet, wie viel Geld das Mädchen ihr jede Nacht bringen muss, wie sie sich zu kleiden hat und was sie sagen soll, falls sie von der Polizei oder anderen Menschenhändlern angesprochen wird.
Ein quälender Prozess der entmenschlichung
Der beunruhigendste Aspekt ist die abnormale Dialektik zwischen Depersonalisation und Hyperpersonalisation, deren Opfer die jungen Mädchen werden. Auf der einen Seite erleben sie eine ständige Abhängigkeit - zunächst vom Vater, dann von der "maman" und schließlich von den Geistern; auf der anderen Seite sind sie allein für ihre Schulden verantwortlich. Das lähmende Gewicht der Unmöglichkeit, sie zu begleichen, lastet allein auf ihren Schultern. Das Übertragen von Verantwortung bewirkt eine traumatisierende Hyperpersonalisation, die für die Mädchen nicht zu ertragen ist. Zur Auslöschung ihrer Person tragen auch der tatsächliche Wechsel der Identität (eingereist wird mit falschen Papieren) und die Änderung ihres Alters bei. Oft wird nämlich das Alter des jungen Mädchens für die Reise bewusst angehoben: Eine Minderjährige den Wohnsitz wechseln zu lassen, wäre schwieriger für die Schlepper. Nach ihrer Ankunft in Italien kann das Mädchen wieder zu einer Minderjährigen werden, um mehr Kunden anzuziehen. Wenn sie dann auf den Sozialdienst trifft, kann sie ihr Alter je nach Wunsch angeben: Eine Minderjährige bekommt eher Schutz, findet aber weniger leicht Arbeit.
Wenn eine junge Nigerianerin ihre Familie verlässt, ist ihr Schicksal als Sklavin besiegelt. Die Sklaverei sieht zunächst wie Hoffnung aus und zeigt dann ihr wahres Gesicht- genau in dem Moment, in dem die Zukunft zum Greifen nahe scheint.
Translated from Le prostitute nigeriane In Italia: dal sogno alla schiavitù