Nicht Willkommen? Simran Sodhi droht die Abschiebung
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Simran Sodhi spricht fließend Deutsch, sie hilft Migranten in ihrem Alltag und ist in Berlin zu Hause. Und dennoch soll sie nun ausgewiesen werden. Gründe dafür gibt es keine - bis auf seltsame Bestimmungen im deutschen Aufenthaltsgesetz. Sind nur überdurchschnittlich verdienende Ausländer in Deutschland willkommen?
Der letzte Brief der Ausländerbehörde kam am fünften Mai. Spätestens am 31. Mai soll Simran Sodhi Deutschland verlassen. Der Grund? Ihr Job sei von keinem öffentlichem Interesse, sie verdiene zu wenig und sei überqualifiziert. „Als ich den Brief gelesen habe, war ich total panisch. Ich wusste nicht, was ich als nächstes machen sollte. Sofort meine Sachen packen?“, erzählt die junge Frau. Ihre Sachen hat sie bis jetzt nicht gepackt.
2009 kam Sodhi nach Berlin, um an der Humboldt-Universität ihren Master in Europäischer Ethnologie zu machen. Hier hat sie Freunde gefunden und fühlt sich wohl. Seit Januar arbeitet die 27-Jährige als Integrationslotsin für den Verein offensiv’91 e.V. im Bezirk Treptow-Köpenik. Dort unterstützt sie Migranten im Alltag: Gemeinsam sucht sie mit ihnen Wohnungen oder Jobs, begleitet bei Behördengängen, berät bei Diskriminierung oder übersetzt bei Problemen. Sodhi ist ein Glücksfall. Senatorin Dilek Kolat (SPD) hatte das Landesrahmenprogramm für Integrationslotsen im vergangenen Jahr ins Leben gerufen, das nun rund 60 Stellen in Berlin finanziert.
Laut deutschem Aufenthaltsgesetz verfällt 18 Monate nach dem Uni-Abschluss der Aufenthaltsstatus. Es sei denn, das Gehalt ist das eines Akademikers. Und das liegt bei knapp 3000 Euro im Monat. So viel verdient Simran Sodhi nicht. Ihren Unterhalt kann sie mit ihrem Gehalt trotzdem selbstständig bestreiten. Und dennoch ist die gebürtige Inderin für ihren Job laut Behörde überqualifiziert. In einem offenen Brief widersprechen nun zahlreiche Wissenschaftler unter anderem aus den Bereichen Europäische Ethnologie, Soziologie und Migration: Integrationspolitik gelte als eine der aktuellen Kernherausforderungen. An den Hochschulen würden Studierende ausgebildet, um die Absolventen praktisch für eine Arbeit auszubilden. Integrationslotse ist nach Ansicht der Wissenschaftler einer dieser Jobs.
Simran Sodhi gehört mit ihrem sehr guten Abschluss und ihren fließenden Sprachkenntnissen in Deutsch, Englisch, Hindu und Urdu definitiv zur Bildungselite. Dennoch will die Behörde sie abschieben. Und das, obwohl das Aufenthaltsgesetz eigentlich einen Ermessensspielraum erlaubt, wenn „an der Beschäftigung ein öffentliches, insbesondere ein regionales, wirtschaftliches oder arbeitsmarktpolitisches Interesse besteht.“ Doch dieses Interesse scheint nach Ansicht der Ausländerbehörde nicht ersichtlich zu sein.
Realität und Integrationspolitik im Widerspruch
„Das ist eine absurde Situation: Simran arbeitet für ein öffentlich finanziertes Projekt und setzt sich für das öffentliche Wohl ein. Und das soll nicht von öffentlichem Interesse sein?“ fragt Christina Antonakos-Wallace von with WINGS and ROOTs. Die Initiative, die sich für einen neuen Migrationsdiskurs in Deutschland und den USA einsetzt, hatte am Samstag eine Onlinepetition gestartet. „Wir waren zwar total überrascht, dass ausgerechnet Simran ausgewiesen werden soll, aber im Allgemeinen ist so etwas für uns aber nichts Neues. Das hier ist einfach ein strukturelles Problem“, ergänzt Antonakos-Wallace. Die geplante Ausweisung der 27-Jährigen sorgte für breite Empörung. Denn dass ein besonderes Interesse an der weiteren Beschäftigung von Simran Sodhi besteht, darin sind Wissenschaftler, Politiker und Bürger einig.
Neben Wissenschaftlern kritisierten in einem offenen Brief unter anderem auch die Politiker Gregor Gysi (Die Linke), Oliver Igel (Bezirksbürgermeister Treptow-Köpenick), Ska Keller (European Green Party, Bündnis 90/Die Grünen) und Gabriele Gün Tank (Integrationsbeauftragte Berlin, Tempelhof -Schöneberg) die Ausweisung. Bis Dienstagabend hatten darüber hinaus rund 31.000 Menschen eine Petition bei change.org unterzeichnet, die den Verbleib Sodhis in Berlin fordert. Auch Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU), hat sich nun eingeschaltet und die Ausländerbehörde aufgefordert, den Fall Simran Sodhi erneut zu prüfen. Aus seiner Sicht bestehe ein hohes Interesse, dass eine Lösung für die junge Frau gefunden würde. Auch die Stadt Berlin muss prüfen, ob Integrationslotsen demnächst nicht mehr Gehalt bekommen sollten.
Wenn ihr die Ausweisung von Simran auch ungerechtfertigt und unmöglich findet, könnt ihr hier die Petition der Initiatoren von "with WINGS and ROOTS" unterschreiben.