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Nicht nur Mann und Frau

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Auch Tschechien hat nun die "Homo-Ehe" eingeführt - die Diskussion in der Gesellschaft ist groß.

14. März 2006, Prag. „Die Familie beginnt mit einem Mann und einer Frau!“, skandiert ein Häuflein Demonstranten auf einer der geschäftigsten Straßen Prags, Na Píkopech, dem Graben. Ein kleine Gruppe von Bürgern, die ihre Ehefrauen und Sprösslinge mitgebracht haben und ihren Unmut über das umstrittene Gesetz zur eingetragenen Partnerschaft äußern. Die entscheidende Sitzung des Abgeordnetenhauses soll am folgenden Tag stattfinden. Überstimmen die Abgeordneten das Veto des konservativen Präsidenten? Diese Frage beschäftigte an diesem 14. März nicht nur Homosexuelle.

Überwindung von Vorurteilen

Plötzlich stellen sich den Demonstranten zwei junge Männer in den Weg. Lukáš und Jakub beginnen sich vor der erbosten Menge zu küssen und lösen damit eine Lawine von Empörung und Beschimpfungen aus. Woher kommt der Hass auf die Homosexuellen? „Ich denke, dass es um die Überwindung von in der Gesellschaft verankerten Stereotypen geht“, sagt der Sprecher der „Schwulen- und Lesbenliga“ Slavomír Goga. „Im 19. Jahrhundert war es unvorstellbar, dass Frauen einmal das Wahlrecht haben würden. Und sehen Sie sich die Situation heute an.“ Vorurteile existieren in der Gesellschaft zweifellos. Die Vorstellung, dass die Ehe von Mann und Frau als Norm zu gelten habe, hat auch im liberalen Europa tiefe Wurzeln. Gesetze über eingetragene Partnerschaften wurden deshalb in jedem betroffenen Land heiß diskutiert, sei es in Frankreich, Deutschland oder Spanien.

Karussel im Parlament

Das Gesetz zur eingetragenen Partnerschaft musste im tschechischen Parlament mehrere Anläufe nehmen. Den ersten Versuch zur Gleichberechtigung von gleichgeschlechtlichen Verbindungen beerdigte die Regierung bereits 1995, die folgenden Jahre brachten nicht viel Neues. Das Gesetz zur eingetragenen Partnerschaft war ein Politikum, das vor allem die Abgeordneten der christdemokratischen Partei KDU-SL mit Ausdauer in die Länge zogen, aber auch Abgeordnete der liberalkonservativen ODS. Vor allem die Christdemokraten blieben stur.

Und da die KDU-SL in Tschechien bis 2002 traditionell als Zünglein an der Waage an der Koalitionsbildung beteiligt war, wurde das Gesetz zur eingetragenen Partnerschaft mehrmals unter den Teppich gekehrt. Erst am 15. März diesen Jahres wurde das Werk vollbracht. Trotz eines Vetos von Präsident Václav Klaus passierte das Gesetz das Parlament mit denkbar knapper Mehrheit: 101 von 200 Abgeordneten stimmten dafür.

Heute kann sich Tschechien des tschechischen Vereins „Gay Initiative“ zufolge gemeinsam mit Slowenien einer der fortschrittlichsten Gesetze der zehn neuen EU-Mitgliedstaaten zum Schutz der Recht der homosexuellen Minderheit rühmen. Personen gleichen Geschlechts können zusammen leben, dem Partner ihr Vermögen vererben, kurz: als eingetragene Parter leben.

„Die Familie besteht aus Mann und Frau!“

Die meisten Bürger Tschechiens stimmen dieser Liberalisierung zu, im Oktober gaben 62% von ihnen an, mit dem Gesetz einverstanden zu sein. Dies hängt sicher auch damit zusammen, dass sich laut einer Umfrage des Instituts STEM 59% als Atheisten bezeichnen. Dennoch wehrt sich die Katholische Kirche lautstark gegen das Gesetz . In eine Mitteilung der tschechischen Bischofskonferenz heißt es: „Es gibt keinen einzigen Grund für die Anerkennung von Sonderrechten welcher Gruppe auch immer allein auf Grund ihrer sexuellen Beziehungen. Die Familie und das Leben bilden eine Einheit, die die Gesellschaft schützen muss. Die öffentliche Gewalt darf ein Zusammenleben, das nicht zur Geburt und Erziehung von Kindern führen soll, nicht so institutionalisieren, dass sie dem Status der Ehe und Familie ähnelt.“

Für die Kirche sind homosexuelle Verbindungen ein gefährlicher Präzedenzfall. Der schleichende Verfall von traditionellen Modellen des Zusammenlebens ist jedoch auch für Nicht-Gläubige ein starkes Argument. Die Demonstraten im Graben sind keinem Aufruf der tschechischen Bischofskonferenz gefolgt. Es sind gewöhnliche Bürger, die einfach Angst vor etwas haben, dass sie nicht kennen. Kinder, die in einer homosexuellen Beziehung aufwachsen, sind für sie eine grauenhafte Vorstellung, die durch das Gesetz zur eingetragenen Partnerschaft gefährlich näherrückt.

Da kann Slavomír Goga nur mit den Schultern zucken: „Was ist heute eine Familie? Vor hundert Jahren waren das ein Vater, eine Mutter und eine Schar von Kindern. Heute bezeichnet man zum Beispiel auch eine alleinstehende Mutter mit einem Kind als Familie.“ Deshalb blickt er optimistisch in die Zukunft: „Begriffe entwickeln sich. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Menschen auch unser Recht aufs Zusammenleben akzeptieren.“